Grausame Bilder aushalten

Im Reisegepäck In der europäischen Flüchtlingsproblematik treiben politische Apathie und neo-völkisches Denken die internationale Bürgerkriegsmaschinerie an. Wo bleibt Demokratie ?

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Die in Bewegung geratene Parteienlandschaft hört im Hintergrund Einstimmungen auf ein bürgerkriegsähnliches Gewaltpotential in Europa. Bekannte Akteure werden unversehens zu Kombattanten in einem Machtkampf um die Regularien des hoch geschätzten europäischen Friedens.

Schon das Verhältnis von Freund und Feind in den inneren Bezirken der bürgerlichen Gesellschaft ist ein ernstes Problem. Aufgemischt mit den täglichen Bildern einer brutal-anachronistischen Wirklichkeit, werden unübersichtliche Flüchtlingstrecks und Brandstifter von ‚Asylantenheimen‘ zu feindseligen Bedrohungen. Aus dem verborgenen Hinterhalt scheinen diese ‚Angriffe‘ unsere ‚Wohlstandskultur‘ zu bedrohen, Ränkeschmiede zu durchsichtigem Geschäft zu animieren.

Aufgeheizt und scharf sind bereits vielerorts Konflikte, wo organisierte Empathie einer ‚Willkommenskultur‘, beispielsweise ehrenamtliche Flüchtlingshilfe, auf den neo-völkischen Frust trifft. Länger schon fühlen in dieser unbearbeiteten Seelenregion Menschen sich von der ‚Lügenpresse‘ gegängelt, vom antirassistischen Tabu, von realen und eingebildeten Sorgen bedrückt.

Im Zentrum dieses Konflikts stehen sich demokratische und antidemokratische Kräfte auf dem Boden Europas gegenüber. Im eigenen Selbstverständnis betonen neo-völkische Propagandisten die ‚Alternative‘ zum Bestehenden. Zugleich aber bestehen sie darauf, nur eine Variante bürgerlich demokratischer Politik betreiben zu wollen. Tatsächlich ringen hier im großen Stil Freiheitsidee und Abschottungs-, Festungsdenken ganz handfest um die Vorherrschaft. In diesem Ringen beobachten wir moralisch und rechtlich motivierte Schachzüge, welche der Gewinnung von ‚Anhängern‘ dienen. Das eigene ‚Lager‘ soll aufgerüstet, der Prozess eines integrierten Europa in einer sich neu formierenden Welt gefördert oder erwürgt werden. Das ist die wirkliche Alternative.

Täuschend wirkt die unschuldige Annahme, wer wolle, könne sich da heraushalten und der Staat spiele gewissermaßen die Rolle eines neutralen Schiedsrichters. Wie die Affäre um die Mörderbande NSU dokumentiert, gab es ein erschreckendes Maß an staatlicher Verstrickung, ohne eine realistische Zurechnung der Verantwortung bewerkstelligen zu können. Und wie können beispielsweise die Strukturen des selbstverschuldeten, international agierenden Terrorismus zurückgestutzt werden, ohne den gezielten Einsatz staatlicher Mittel? Da kann es keine von jeder Realität losgelöste Beurteilung geben.

Die kurzatmigen Rezepte des neo-völkischen Auftriebs sind gefährliche Lösungsversprechen, Teil der zitierten bürgerkriegsähnlichen Situation. Daher ist auch die Warnung vor faulem Wunschdenken angebracht, die betreffenden Organisationen seien gar nicht fähig, realpolitisch Lösungen der gesellschaftlichen Konflikte anzubieten. Doch: Es würden eben nur furchtbare sein, deren Grauen letztendlich verantwortungslos macht.

Das weiß der vorausschauende völkische Ideologe sehr genau. Er redet öffentlich und ohne Scheu davon, dass ‚Wir‘ die Grenzen ‚dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten müssen‘. Und er versäumt auch nicht, uns allen mit der politischen Rute zu drohen, sollte bei uns human-demokratische Empathie gewachsen sein, die angesichts des weltweiten Elends zur Solidarität entschlossen ist. Dagegen soll unsere ‚Nation‘ -am liebsten ‚rein‘, unvermischt, jedenfalls nicht multi-kulturell-, empfindungslos dem überlieferten Wahngebilde eines aparten staatlichen Souveränitätsglaubens sich einfügen.

Es fehlt nur noch der militärische Befehlston, um im Zustand der Erstarrung den fürchterlichen Satz stumm zu ertragen: ‚Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen‘. Wie gesagt, es sind ja vorerst nur die ‚grausamen Bilder‘, die wir ‚aushalten‘ sollen. Griechenland und die Türkei erleben aber bereits direkt den international organisierten Bürgerkrieg auf dem Rücken von Flüchtenden und ‚eigener Bevölkerung‘, die planmäßig erzeugtem Elend und der gefühlten Perspektivlosigkeit zu entkommen versuchen. In den Poren und vernachlässigten Sektoren der bürgerlichen Gesellschaft können alle nur denkbaren Übel sich einnisten, zu denen Menschen fähig sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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