Wir wollen den Krieg nicht !

Netanjahus Rechnung Vielleicht läuft sich das Säbelrasseln von Israels Ministerpräsident ja tot. Wir gehen die Sache trotzdem mal durch, denn Deutschland ist auch involviert.

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Israels Regierung will das Ayatollah-Regime im Iran angreifen, dessen Atomprogramm zerstören. In Teheran sitzen die dunkel gewandeten Herren nicht sicher im Sattel, sondern auf einem Pulverfass. Aus religiöser Verblendung treiben sie Politik. Darin überwiegt die Illusion, freie Verfügung über die Technik der Kernspaltung verleihe ihrer Herrschaft Sicherheit und Dauer.

Und tatsächlich: Um eine religiös deklarierte Herrschaft ernsthaft zu sichern, bleiben den Ayatollahs keine anderen Mittel, als auf die wissenschasftlichen Grundlagen der ökonomischen Interessenwahrung und der Zerstörungspotentiale des verteufelten Feindes zurückzugreifen. Sie versuchen in diesem beschränkten Sinne durchaus rational Stützpunkte zu errichten, um ihre politische Isolierung zu durchbrechen. Das Machtvakuum bei ihren Nachbarn Irak und Syrien bietet angesichts "endloser" Gewaltexzesse Ansätze für diese Strategie.

Es handelt sich um Störmanöver, die für die Großmächte unbequem sind. Die israelische Regierung begleitet die aktuellen Freiheitsbestrebungen in den islamisch geprägten Ländern mit zwiespältigen Gefühlen. Sie könnte sich mit ihnen arrangieren, wäre da nicht der iranische Staat und der Machtfaktor Al Kaida, der durch konventionellen Krieg nicht besiegbar ist.

Die kritische Opposition zur Netanjahu-Regierung rechnet interessanterweise mit den gleichen Fakten, nur in selbst eingeschätzter, emanzipativer Weise. Sie ist beheimatet unter Intellektuellen und der jüngeren Generation, die sich nicht von einem latenten Rassismus hat blenden lassen - beispielsweise der Schriftsteller Nir Baran. Nehmen aber Zeichen der Bedrohung aus israelischer Sicht zu, erscheint stimmig: Zuschlagen, bevor es zu spät ist, denn Pazifizierung des Ayatollah-Regimes ist gescheitert!

Würde diese Rechnung nach der UN-Generalversammlung im September 2012 und vor der US-Präsidentenwahl Anfang November tatsächlich umgesetzt, unruhige und diktatorische Zeiten stünden bevor. Polizeistaat und Militäreinsatz im Inneren wären die Mittel, um die Ordnung in einer steigenden Zahl von Ländern aufrecht zu erhalten. Wir sprechen im Konjunktiv, weil von zwei Seiten starke Argumente gegen diese Perspektive vorgebracht werden und internationale Krisenzusammenhänge den selbstgefährdenden Gewaltschlag noch hemmen.

Zuerst setzen die USA und Europa mittelfristig auf Diplomatie und Embargo, weil durch den Druck Handlungsspielräume des Regimes in Teheran eher eingeengt werden als durch Militärschläge. Die berechtigte Frage, ob Obama mit den gleichen Lügen wie die Bush-Administration die Stimmung der Öffentlichkeit zu beeinflussen versucht, bleibt auf der Tagesordnung, ist aber im Moment noch nicht entschieden. Zudem sind unter dem gleichen Patt Israels Streitkräfte nicht in der Lage, das iranische Atomprogramm zu zerstören, bestenfalls dessen Entwicklung zu verzögern. So lässt jedenfalls die US-Regierung verlautbaren. Netanjahu darf in unterschiedlicher Intensität mit dem Säbel rasseln.

Noch schwerwiegender scheint mir die ungelöste Finanzkrise in ihrer globalen Vernetzung. Keine Parteigesinnung ist in der Lage, eine politische Entschärfung des Gewaltpotentials anzubieten, das in einem riesigen Schuldenberg aufgestaut ist. Allein in den Büchern europäischer Banken sind seit 2008 >faule Kredite< von einer Billion e verzeichnet. Ihre Bereinigung durch den Markt reißt sämtliche Versprechen auf eine gesicherte Zukunft nieder und fördert Gewalt und Willkür in den Metropolen. Die Gefährdung der Demokratie aus eigentümlichen inneren Gründen erhält so eine Verstärkung, wenn Israel durch eigene Militäraktionen unkalkulierbare Kettenreaktionen auslöst.

Zweitens ist die Stimmung in Israel schlechter geworden. Seit die Regierung die Propagandatrommel rührt, mit Gasmasken und Bunkerübungen den Ernst der Lage betont, leidet die Moral und man glaubt den offiziellen Verlautbarungen aus dem Netanjahu-Lager weniger. Der Staatspräsident Peres, der neben namhaften Intellektuellen zur Zurückhaltung mahnt, weiß um die selbständige soziale Protestbewegung gegen Korruption und Ungerechtigkeit. Er kennt die Kampfpiloten, die zu Dienstverweigerungen aufgerufen haben.

Das sind Vorgänge, die man so in Israel noch nicht gesehen hat und die schließlich ermuntern, Krieg als Massenbetrug zu durchschauen. Von den rückständigsten Investoren im Verein mit Teilen der Kulturindustrie wird er in der Regel inszeniert. Und wenn es um die Frage der Verantwortung geht, erkennen wir plötzlich die unbeteiligt tuenden "Kriegsgewinnler", die von ihrem Handwerk nicht lassen, selbst wenn sie am Galgen dafür bezahlen müssten.

Aus meiner Sicht kann der Beitrag, den Deutschland und die USA durch ihre " Aufklärungsarbeit " hinter den Kulissen leisten, als Veranschaulichung dieser Grunderkenntnis beschrieben werden.Auch der inoffizielle, geheime Krieg gegen das iranische Atomprogramm, von den Mullahs als "friedliche" Nutzung der Kernenergie ausgegeben, hat seine Spuren in Gestalt ermordeter iranischer Atomwissenschaftler bereits hinterlassen.

Offensichtlich hängen all diese "geheimen" Dinge mit dem syrischen Schlachtfeld zusammen. Dort sollen sie nicht weniger als den blutigen Niedergang des mit dem Iran verbündeten und auf globaler Ebene von Russland und China geschützten Assad-Regimes beschleunigen. Freilich mit der Unsicherheit behaftet, dass die Nachfolger auch das Volk erschießen lassen, wenn ihnen das zweckmäßig erscheint und Widerstand hilflos bleibt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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