Zum festen Repertoire von Rechtspopulisten zählt die Kritik am Islam. Auch viele Bürger, die sich eigentlich nicht als „rechts“ verstehen, hegen wachsende Zweifel an dieser Religion, etwa wegen des IS-Terrors, und stimmen im Internet, an Stammtischen und in Wohnzimmerdebatten in die Kritik am muslimischen Glauben ein.
Genau mit dieser Denkweise beschäftigt sich Floris Biskamp. Er forscht zu Rassismus, Antisemitismus und politischen islamischen Strömungen. „Den“ Islam gebe es nicht, schreibt Biskamp in seinem neuen Buch. Wer in solchen Verallgemeinerungen denke oder spreche, fördere nur die Ausgrenzung.
der Freitag: Herr Biskamp, einige der Anschläge und Gewalttaten dieses Sommers waren religiös begründet. Sollten wir das nicht ernst nehmen – und ausdrücklich auch nach den religiösen Motiven fragen, nicht nur nach den sozialen, wie es Linke gern tun?
Floris Biskamp: Das ist an sich richtig. Aber hier zeigt sich ein Dilemma: Wer nun mit dem Finger auf „den Islam“ und „die Muslime“ als Gefahr zeigt, arbeitet an einer Polarisierung der Gesellschaft mit, die die Attentäter ja wollen. Zudem macht man damit die zahlreichen muslimischen Opfer insbesondere des Anschlags von Nizza implizit zu Mitschuldigen.
Andererseits sagen Sie, dass ein kritisches Sprechen über den Islam auch für Muslime eine befreiende Wirkung haben kann.
Nur in der öffentlichen Diskussion können Menschen darüber reflektieren, welche verschiedenen Vorstellungen von einer gelungenen Lebensführung es gibt und was für sie selbst das gute Leben ist. Zudem können im öffentlichen Streit um kulturelle Normen repressive Wertvorstellungen als solche erkannt und problematisiert werden. Mit der Zeit kann das dazu beitragen, dass Traditionen weniger unterdrückerisch und hierarchisch werden – also zu dem, was Jürgen Habermas als „Rationalisierung der Lebenswelt“ bezeichnet.
Zur Person
Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Soziologe an der Univer- sität Kassel. In Kürze erscheint sein Buch Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit. Antimuslimischer Rassismus aus Sicht postkolonialer und neuerer kritischer Theorie (Transcript, 444 S., 39,99 €)
Foto: Uni Kassel
Nun behaupten diejenigen, die sich als „besorgte Bürger“ sehen, gern, dass sie Muslimen die Aufklärung näherbringen. Machen diese Leute es also richtig?
Das öffentliche Sprechen über den Islam kann eine befreiende Wirkung haben – muss aber nicht. In der Summe dürften die sogenannten Islamdebatten der vergangenen Jahre vielleicht eher dazu geführt haben, dass Muslime als „anders“ markiert und marginalisiert werden. Dafür reicht es schon aus, dass „der Islam“ als Ganzes gerade permanent und überall problematisiert wird. Das allein hat schon einen negativen Effekt. Geht man davon aus, dass es in jeder gesellschaftlichen Gruppe Probleme gibt, werden Probleme unter Musliminnen durch die ungleichmäßige Aufmerksamkeit überproportional beleuchtet. Das führt nicht nur zu einer Stigmatisierung, sondern auch zu einer messbaren Diskriminierung von Muslimen, etwa auf dem Arbeitsmarkt.
Wie ließe sich eine befreiende Kritik von einer solchen Stigmatisierung unterscheiden?
Bei dieser Unterscheidung sollte man nicht so sehr nach der Absicht der Sprechenden fragen, sondern in erster Linie nach dem Effekt der Äußerungen. Selbst die „besorgten Bürger“, von denen Sie sprechen, sind fest davon überzeugt, dass sie sich für die Freiheit von Menschen einsetzen. Dementsprechend wehren sie sich, wenn ihnen jemand Rassismus vorwirft. Die Frage, die man sich selbst stellen sollte, lautet: Könnte das, was ich aus meiner Position, in diesem Kontext, in diesem Moment sage, dazu beitragen, dass irgendeine Person irgendwann freier wird? Oder führt es zu Ausgrenzung?
Und wie könnte eine sinnvolle Art der Kritik nun aussehen?
In erster Linie sollte man sich um Präzision bemühen. Kritik sollte sich an konkreten Gegenständen abarbeiten und nicht zu sehr mit Abstraktionen wie „der Islam“ oder „der Westen“ herumhantieren. Wenn man konkrete Aussagen einer bestimmten muslimischen Organisation etwa zum Nahostkonflikt oder zum Geschlechterverhältnis kritisiert, kann dies ein sehr wichtiger Debattenbeitrag sein. Aussagen wie „Der Islam ist eine friedliche Religion“, „Der Islam ist eine gewalttätige Religion“ oder auch „Der Westen ist fortschrittlich“ bringen jedoch mit Sicherheit niemandem einen Gewinn an Erkenntnis oder Freiheit. Neben der Konkretheit der Kritik kommt es insbesondere darauf an, wie Religion und Kultur überhaupt verstanden werden.
Was wären hier die Fallstricke?
Allzu oft wird über Muslime gesprochen, als handelte es sich um Roboter, die ein fest eingeschriebenes kulturelles Programm herunterspulen, sodass alle Verhaltens- und Denkweisen durch die Religion determiniert zu sein scheinen. Damit werden Muslime entindividualisiert. Tatsächlich bezeichnen wir als Muslime Menschen, die sich mehr oder weniger bewusst auf den Islam beziehen und deren Denken und Handeln mehr oder weniger stark durch die islamische Tradition geprägt ist. Jedoch ist dies nur ein Faktor unter vielen: Auch die ökonomische Situation, das Elternhaus, die Schule, das Stadtviertel, der Freundeskreis prägen das Handeln – und das in aller Regel stärker als der Koran und seine Auslegung. Blendet man all dies aus, wird der einzelne Muslim auf seine Religion reduziert und kann nur noch als Muslim auftreten. Er wird nur noch gefragt: „Was sagst du denn als Muslim dazu?“ Das ist sehr schädlich.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Muslimisierung“ junger Menschen.
Die Soziologin Nina Clara Tiesler bezeichnet es als „Islamisierung der Debatten“. Alle möglichen Themen werden heute als „islamische Themen“ diskutiert, alle möglichen Probleme als „islamische Probleme“ angesprochen – von Migration über Antisemitismus bis zu Jugendkriminalität. Das führt zu einer Muslimisierung der Einzelnen. Junge Menschen ohne jede religiöse Vorbildung werden also immer wieder als Muslime angesprochen und begeben sich dann auf die Suche nach ihrer „islamischen Identität“. Wenn sich ein junger Mensch heute fragt, was es heißt, Muslim zu sein, wird er zuerst im Internet nachschauen. Und da landet er zuerst bei salafistischen Seiten, die etwa „Die wahre Religion“ heißen, oder sie landen bei Pierre Vogel. So stärkt die Islamisierung der Debatten letztlich den Salafismus – und umgekehrt.
Die schon erwähnten „besorgten Bürger“ argumentieren – oft von solidem Halbwissen genährt – dass man den Islam an sich kritisieren müsse, weil dieser schon in seinem Kern faschistoid oder gar faschistisch sei.
So argumentiert ja zum Beispiel auch der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad in seinen Büchern und Talkshow-Auftritten. Jedoch ist die Kategorisierung des Islam als faschistisch vor allem eines: sinnlos. Der Begriff des Faschismus entstand im Kontext politischer Bewegungen und Ideologien in modernen Gesellschaften. Man kann begründet darüber streiten, ob bestimmte politisch-islamische Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts als faschistisch zu bezeichnen sind – zu denken wäre etwa an Hizb ut-Tahrir oder an den IS. Diesen Begriff aber umstandslos auf 1.400 Jahre islamischer Tradition und auf anderthalb Milliarden Gläubige weltweit zu übertragen, ist einfach absurd.
Und die Ansicht, der Islam erziehe zu Intoleranz und Gewalt?
Das ist auch wieder absurd, wie so vieles. „Der Islam“ erzieht doch niemanden zu irgendetwas! Wenn irgendjemand Kinder zu Intoleranz und Gewalt erzieht, dann sind es konkrete Staaten, Vereine, Prediger, Eltern. Wir haben es immer mit verschiedenen Auslegungen der religiösen Tradition zu tun. Dabei sind orthodoxe, autoritäre Auslegungen sicherlich vorherrschend – sowohl international als auch innerhalb des deutschen Verbandsislams. Das kann man auch mit guten Gründen problematisieren. Einen befreienden Effekt kann diese Kritik aber nur haben, wenn sie am konkreten Beispiel vollzogen wird. Generalisierungen helfen niemandem außer rechten Scharfmachern wie der AfD.
Vergangene Woche stand gerade die Burka im Mittelpunkt der politischen Rhetorik, Vertreter der Unionsparteien forderten ihr Verbot. Die AfD hat die Ablehnung des Islam sogar in ihr Programm aufgenommen. Da wird moniert, dass der Muezzinruf besage, dass es „keinen Gott außer dem islamischen Allah“ gebe.
Gerade was die AfD da losgetreten hat, ist ein Paradebeispiel für eine Debatte, die nicht zur Freiheit von irgendwem beiträgt. Wenn die Glaubensfreiheit eines garantiert, dann, dass man an die Existenz genau so vieler und genau der Gottheiten glauben darf, wie es einem genehm ist. Monotheisten glauben nun einmal an genau einen Gott und demnach an keinen anderen, entsprechend haben sie alles Recht, genau das in der Öffentlichkeit zu sagen. Ein anderer Fall läge vor, wenn dieser Monotheismus mit einem Herrschaftsanspruch aufträte, um die Glaubensfreiheit anderer einzuschränken. Das mag in Saudi-Arabien oder beim IS der Fall sein, aber bei der übergroßen Zahl der deutschen Moscheen mit Sicherheit nicht. Nur wer die Glaubensfreiheit der anderen bestreitet, stellt sich außerhalb der Demokratie auf. Das gilt für die AfD gleichermaßen wie für viele radikalisierte Islamisten.
Was wäre in der jetzigen Stimmungslage das Beste?
In der aktuellen Gesprächsatmosphäre wäre es wohl besser, wenn insgesamt weniger über den Islam gesprochen würde. Dennoch ist der Islam ein wichtiger Bestandteil sozialer Realität in Europa. Es ist etwa sinnvoll, über einen islamischen Religionsunterricht zu streiten, ob und wie er in Zusammenarbeit mit welchen Organisationen auszurichten ist. Dabei sollte man auch kritisch fragen, welche Geschlechternormen die Organisationen vertreten. Wenn aber Vertreter etwa von der AfD anlasslos eine Islamdebatte anheizen, gibt es dabei nichts zu gewinnen. Besser wäre es, solche Debatten schlicht rechts liegen zu lassen.
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