Mammas und Pappas in Uniform

Tarnen und Taeuschen Familienfreundliche, attraktive Arbeitsplaetze verspricht die neue Verteidigungsministerin der Truppe. Unerhoert zivile Toene. Was steckt dahinter?

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Frau von der Leyens Absicht, Familienleben und Soldatenalltag besser kompatibel zu machen, hat zumindest irritiert.

http://www.heartofmeditation.com/image-files/bundeswehr-280.jpg

Pazifisten sehen darin einen perfiden Versuch, das Motto "Soldaten sind Moerder" aufzuweichen und durch "Soldaten sind Vaeter und Muetter" zu ersetzen. Widerstand. Widerstand. Auch in der FC.

Die Stahlhelmfraktion auf der anderen Seite ist entsetzt. Die Einsatzbereitschaft der Truppe ist in Gefahr, wenn jetzt Kinder in der Kaserne auf den Panzern rumturnen. So geht's nicht! Jawoll! Jawoll!

Schliesslich muessen sich auch noch die Alt-Stalinisten einmischen. "Das ist doch wie im Kombinat Schwarze Pumpe", sagen die ganz Treuen, "die hatten schon '49 Kindergaerten und Ferienlager, um die Kinder fruehzeitig an das Paradies der Arbeiterklasse zu gewoehnen."
Lassen wir den Streit der Meinungen und wenden uns den staatstreuen Medien zu.

Dort wird ueber die Motivation von Frau Ministerin spekuliert. Ist sie als siebenfache Mutter auf die Idee der Kasernen-Kitas gekommen oder als ehemalige Familienministerin? Hat ihr dieses Konzept ein Werbe-Consultant gefluestert, um deutsche Teens und Twens fuer den Beruf an der Knarre zu begeistern?
Man weiss es nicht.
Wie auch immer, Frau Ministerin ist in den Headlines. (Gings ihr vielleicht nur darum?)

Soweit so lustig.

Koennte es sein, dass dieses Getoese um Kasernen-Knirpse nichts anderes ist als Ablenkung? Tarnen und Taeuschen ist bekanntlich bei deutschen Militaers, etwa seit Herrman dem Cherusker, sehr beliebt.

Diese Taktik wurde in der westdeutschen Innenpolitik auch am Beginn des Kalten Krieges erfolgreich eingesetzt.

Damals, in den 60er Jahren, wurde das Konzept "Staatsbuerger in Uniform" kreiert und in der Oeffentlichkeit intensiv diskutiert. Kurz gesagt ging's darum, den boesen Kommisskopp-Soldaten der Wehrmacht (umgangssprachlich: "Landser") abzuschaffen und stattdessen den deutschen Soldat als guten Staatsbuerger und Demokraten neu zu erfinden. Das Ganze war eingebettet in die brandneue "Innerer Fuehrung", die den preussischen Kadavergehorsam ersetzen sollte. (Mal ganz verkuerzt zusammengefasst. )

Auch damals gabs heftige Kontroversen mit der "Deutschen National und Soldaten Zeitung" auf der einen Seite, und "Konkret" auf der anderen. Dazwischen das noch heute bekannte Spektrum von Spiegel bis BamS

Waehrend dieser Debatte tobte, wurde ohne grosse mediale Aufmerksamkeit und ohne Widerstand der Bevoelkerung, die Bundeswehr mit nuklearen Waffen ausgeruestet. Nun gut, die letzte Entscheidung fuer den Einsatz, sei sich dem US-Praesidenten vorbehalten, hiess es. Aber der kann seine Augen ja auch nicht ueberall haben.

Die Einsatzsysteme, das Neueste vom Neuen, hatten die Deutschen den Amis abgekauft. Bedient wurden diese Schmuckstuecke von in den USA trainierten deutschen Staatsbuerger in Uniform.

Die Starfighter waren die sichtbarsten nuklearen Einsatzsysteme, vor allem weil sie dauernd abstuerzten. Die meisten Traegersysteme fuer den nuklearen Krieg bekam aber das Heer. Dutzende mobiler Kanonen, die atomare Granten ueber eine Distanz von ca. 30 km schiessen konnten dazu ballistische- und Lenk-Raketen mit einer Reichweite von maximal 200km. Alle diese sogenannten nuklearen "Gefechtsfeldwaffen" sollten die Ueberlegenheit des Ostens bei den konventionellen Waffen durch einen nuklearen Erstschlag der Nato "ausgleichen".

Diese selbstmoederische Planungen wurden von den Politikern aller Parteien im Bundestag abgesegnet, oeffentlich aber kaum wahrgenommen. Stattdessen ereiferten sich die Medien ueber den "Staatsbuerger in Uniform" und den Erfolg oder Misserfolg der inneren Fuehrung.

Geschichte, die sich heute zu wiederholen scheint.

Debattiert wird ueber "Muetter und Vaeter in Uniform" und die familienfreundlichen Streitkraefte mit Kitas in der Kaserne.
Und waehrenddessen wird die Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee ausgeruestet einschliesslich Drohnen, Transportflugzeugen, leichten Hubschraubern etc.

Was kann man tun, um diese Entwicklung aufzuhalten?
Pazifistische Maximal-Forderung wie "Bundeswehr abschaffen!" oder "Raus aus der Nato!" sind ehrenwert aber m.E. wenig erfolgversprechend.

Stattdessen sollten Diskussionen angezettelt werden, die die politisch-militaerisch-industriellen Interessenvertreter in Deutschland gern vermeiden moechten.

Das Wichtigste waere, den Afghanistan Krieg oeffentlich zu diskutieren.
In diesem laengsten Einsatz einer deutschen Armee seit dem 30jaehrigen Krieg, hat sich die Bundeswehr endgueltig ihre Kriegstauglichkeit "verdient". Dafuer mussten tausende Menschen sterben, afghanische Zivilisten, Taliban und auch Nato-Soldaten. Und keines der politischen Ziele der Interventionstruppen wurde erreicht.
Ist diese Form des Krieges die Zukunftsvision fuer die Bundeswehr? Diese Frage draengt sich auf.

Die USA haben bereits zweimal, die Auswertung eines Krieges, an dem deutsche Truppen massgeblich beteiligt waren, verhindert. Beide Male mit verheerenden Konsequenzen.

Anfang der 50er war die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ploetzlich keine Thema mehr. Schlussstrich. Der Kalte Krieg hatte begonnen.

Anfang der 90er Jahre wurde die Aufarbeitung des Kalten Krieges verhindert.
Die Rolle der westlichen Staaten wurde zum Tabu. Nur die Sowjetunion war verantwortlich fuer den Kalten Krieg. Schlusstrich. Der "arabische Terrorismus" war der neue Feind. Der 20jaehrige Krieg gegen "radikale" Muslime hatte begonnen.

2014 ist auch dieser Krieg zu Ende. Das militaerische Interesse der USA hat sich bereits nach Ostasien verlagert.

Dieser beinah beendete Krieg kann und muss jetzt oeffentlich diskutiert werden! Vor allem die Verantwortung von deutschen Politikern fuer die Dauer eines Krieges, der von Anfang an von einer Mehrheit der Bevoelkerung abgelehnt wurde.

Die Entscheidung ueber Einsaetzen der Bundeswehr darf nach diesen Erfahrungen nicht mehr allein dem Parlament ueberlassen werden.

Eine unabhaengige Ueberpruefung jeden Einsatzes durch das Verfasungsgericht waere beispielsweise denkbar und zwar vor einer Entscheidung im Bundestag und vor dem Beginn des Einsatzes. Vielleicht koennte so ein zweites Afghanistan verhindert werden.
Vielleicht.

Doch die Politiker spielen auf Zeit.

Weitere Interventionen der Bundeswehr stehen unmittelbar bevor, diesmal in Afrika. Die militaerischen Vorbereitungen laufen. Gestritten wird nur noch darueber, wer bezahlen muss.

Und es gibt weitergehende Planungen, die Bundeswehr in einem anderen Krisengebiet einzusetzen.

In dieser Situation moechte Frau von der Leyen natuerlich eine oeffentliche Diskussion ueber den 10jaehrigen Krieges in Afghanistan um fast jeden Preis vermeiden.

Darum macht sie sich lieber mit dem Vorschlag laecherlich, Soldaten als "Mammas und Pappas in Uniform" zu sehen und Kindergaerten in Kasernen einzurichten. Da hat die Journallie was zu laestern.

Tarnen und Taeuschen hat die Dame schnell gelernt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42

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