Putin bedroht uns mit Atom-Raketen! Wirklich?

Whistleblower BILD: Ende letzter Woche enthüllte "Bild", dass nahe Kaliningrad russische Atomraketen (Reichweite: 500 km) stationiert wurden, die das 527km entfernte Berlin erreichen können.

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Dieser Bericht wurde in den dann folgenden Tagen von vielen europaeischen Medien abgekupfert. Ohne den Bild-Schlenker nach Berlin allerdings. (Vermutlich wegen der fehlende 27km Reichweite.)
Inzwischen haben die Russen die Bild-Meldung bestaetigt; behaupten allerdings, die Raketen waeren nicht gegen Europa gerichtet, sondern gegen das US-Raketen-Abfang- System in Poland.
Naja, denkt sich der Bild-Leser, die Russen koennen viel erzaehlen wenn der Tag lang ist.

Soweit zur Gefechtslage.

Um klarer zu sehen, ist es bekanntlich immer gut einige Schritte zurueckzutreten, am besten bis nach Australien.

Auch hier unten hat der Sydney Morning Herald die Bild-Meldung aufgegriffen. Doch anders als in europaeischen Medien hat der Herald Informationen hinzugefuegt, die die Whistleblower der Bildzeitung als "pied piper" (Rattenfaenger) erscheinen lassen.

Eine Zusammefassung dieser Informationen:

1. Die Stationierung der Raketen wurde bereits 2011 angekuendigt, falls die USA ihr Raketen-Abwehr-System in Polen ausbauen sollten. Die USA haben selbstverstaendlich weitergemacht und jetzt stehen die Raketen bei Kaliningrad. "tit for tat" nennt man das auf Englisch.

2. Gegenwaertig haben die Russen etwa 10 Systeme stationiert. Bis 2015 koennten hoechstens 60 weitere Systeme in Russland produziert werden. Viel zu wenige, um den Westen ernsthaft zu bedrohen, schreibt Stratfor, ein amerikanischer Thinktank, auf dessen Informationen sich der Herald bezieht.

3. Die Raketen-Abwehr-Stellungen der USA in Polen dienen offiziell ausschliesslich der Abwehr von Raketen aus "boesen" ("rogue") Staaten wie dem Iran. Die Russen fuerchten allerdings, dass die superschnellen amerikanischen Abfangraketen, leicht umgeruestet als Boden-Boden-Raketen, gegen Russland gerichtet werden koennten, was die USA selbstverstaendlich weit von sich weisen.

Auf Wikipedia beweist das Pentagon mit einer Weltkarte, dass die US-Abfangraketen aus Polen auch viel zu langsam waeren, um russische Interkontinentalraketen auf ihrem Weg in die USA aufzuhalten.

Das hat auch kein russischer Politiker behauptet.

Ueber diese militaerische-strategischen Positionen kann man viel hin und her diskutieren. Weiterfuehrend erscheint mir ein letzter Aspekt, auf den der Sydney Morning Herald hinweist.

Stratfor, der amerikanischen Think-Tank meint naemlich, die russische Raketen Stationierung koennte u.a. den Zweck haben, die Vorbehalte in der polnischen Bevoelkerung gegen die Stationierung der US-Raketen zu verstaerken. Diese Interpreatation hat was, denn in den letzten Jahren waren zwischen 30% und 50% der Polen gegen die US-Raketen in ihrem Land.

Die alarmistische Enthuellung der Bildzeitung, ist in diesem Kontext nicht nur stark verkuerzt und irrefuehrend, sondern vor allem Gegenpropaganda, die die anti-russischen Gefuehle, vor allem in Ost-Europa, verstaerken soll. Damit laesst sich bekanntlich auch in Deutschland prima Politik machen.

Dass sonst eher kritische Medien wie der Spiegel ohne eigene Minimal-Recherche der Bildzeitung auf den Leim gehen, ist allerdings erstaunlich. Oder auch nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Aussie42

Mauerberliner(West) bis 1996, 10 Jahre meditieren in Indien bis 2010, jetzt in Australien. Deutschland weit weg.

Aussie42