„Hören ist das neue Sehen“

Mediensalon Viele Medien springen auf die Audio-Welle auf und produzieren eigene Podcasts. Was bedeutet das für den Journalismus? In der taz Kantine wird diskutiert

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Medium mit Zukunft
Medium mit Zukunft

Foto: Vecchio/Three Lions/Getty Images

Wie viele es sind? Schwer zu sagen. Es kursieren unterschiedliche Zahlen. Eine Studie will herausgefunden haben, dass jeder siebte Deutsche regelmäßig Podcasts hört. Zum Mediensalon in der taz Kantine sind an diesem warmen Abend Anfang Juni viele von ihnen gekommen. Journalistinnen, Journalisten und andere Medienschaffende wollen unter dem Titel »Das Audio-Comeback« diskutieren. Als bräuchte das Thema noch eine dramatische Wendung, fragt die Unterüberschrift: »Rettet der Podcast-Boom den Journalismus?«

Um es vorweg zu sagen: Der Journalismus wird auch an diesem Abend nicht gerettet werden. Trotzdem lohnt es, über ein Phänomen zu sprechen, dem einerseits ein Boom nachgesagt wird, das aber andererseits für viele Menschen immer noch unter dem Radar läuft. Sandra Sperber, Leiterin des erst vor einigen Monaten gegründeten Audio-Ressorts des „Spiegel« berichtet von dieser Diskrepanz: Einige Leserinnen und Lesern müsse man den Begriff erklären, während man vor allem Jüngeren zu dem Thema nichts mehr Neues erzählen könne.

2017 habe der »Spiegel« mit »Stimmenfang« begonnen, die ersten eigenen Podcasts zu produzieren. »Wir waren natürlich inspiriert vom amerikanischen Podcast-Boom«, erzählt Sandra Sperber. Auch andere deutsche Zeitungen und Verlage wie »die Zeit« oder »die Süddeutsche«, aber auch lokale Medien setzen auf Audio-Angebote. „Das war ein Versuch, unserer Berichterstattung eine zusätzliche Facette hinzuzufügen«, erklärt die Spiegel-Audio-Chefin.

Die Podiumsgäste scheinen sich einig zu sein, dass Podcasts vielfältige, neue Möglichkeiten bieten – den Journalismus aber nicht revolutionieren werden. Podcasts können eine interessante Säule in einem Gesamtpaket sein, sagt der Medienjournalist Daniel Bouhs. »Es ist ein kleines Beiboot unter vielen«, urteilt auch Anja Pasquay, Pressesprecherin des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Sie betont, dass der Einstieg in die Podcast-Produktion niedrigschwellig, da technisch nicht besonders aufwändig sei. Es sei es ein Medium, auf das häufig Volontärinnen und Volontäre angesetzt würden, weil man sich von ihnen neue, frische Blickwinkel erhoffe.

Die Diskussion zeigt auch, dass die Podcast-Landschaft auch in Deutschland schon sehr ausdifferenziert ist. Da gibt es nicht mehr nur die klassischen, ungeschnittenen »Laber-Formate«, in denen sich zwei Menschen teilweise über Stunden unterhalten, sondern auch journalistische, stärker erzählende und aufwändiger produzierte Angebote.

Dabei scheint die enorme Länge einiger Podcasts nicht abzuschrecken. »Das Erfolgskriterium ist nicht die Kürze«, sagt Daniel Bouhs und zitiert damit aus einem Vortrag eines Spotify-Mitarbeiters, den er am selben Tag gehört hatte. Wichtig hingegen aber die Regelmäßigkeit. Das Publikum wünsche sich Verlässlichkeit – wie bei einer klassischen Zeitung, sagt Anja Pasquay.

Auf Spotify sei »Fest & Flauschig« mit Jan Böhmermann und Olli Schulz das erfolgreichste Format, berichtet Daniel Bouhs. Ein Format, dass aus journalistischer Sicht »in weiten Teilen berieselnde Belanglosigkeit“ verströme. Aber auch das kann Podcast: Unterhaltung.

Inhaltlich sind die Präferenzen verschieden. Journalistische Formate, die auf Hintergrund und Recherche setzen, finden ebenso ihre Hörerinnenschaft wie Instagramerinnen, die sich über Schminktipps und Sex unterhalten.

Das verwundert kaum – schließlich sind Podcasts ein Medium, mit dem sich ganz unterschiedliche Inhalte und Erzählformen verwirklichen lassen. Für die freie Journalistin Patrizia Schlosser sind sie vor allem »eine Chance, tiefgründige Geschichten zu erzählen». Sie hat für ihren investigativen, von Audible produzierten Podcast »Im Untergrund« den Deutschen Radiopreis gewonnen. Mit ihrem Skript hatte sich die Journalistin auf eine Ausschreibung bei Audible beworben – und erhielt den Zuschlag für eine Story, die manch einem zuerst einmal hanebüchen erscheinen mag. Gemeinsam mit ihrem Vater, der zu Hochzeiten der RAF Streifenpolizist war, wollte sich Schlosser auf die Suche nach drei noch immer untergetauchten RAF-Mitgliedern machen. »Das ist eigentlich Wahnsinn«, sagt Patrizia Schlosser und lacht. Trotzdem biss Audible an und finanzierte die aufwändige Produktion, für die die Journalistin unter anderem nach Jordanien reiste.

Solche Geschichten werfen die Frage nach der Finanzierung von Podcasts auf. Trotz der hartnäckigen Nachfragen des Moderators, »Welt«-Journalist Johannes Altmeyer, spricht Tim Kehl nicht über Zahlen. Der Vorteil, den die Amazon-Tochter „Audible" hat: Solche Produktionen müssen sich nicht direkt refinanzieren. Podcasts seien ein Zusatzangebot für Abonnentinnen und Abonnenten, erklärt Tim Kehl von Audible. Das bedeutet: Das mit ihnen verfolgte Ziel ist in erster Linie, die Kundinnen und Kunden zu begeistern und bei der Stange zu halten.

Für Medienhäuser sieht das anders aus. Beim »Spiegel« etwa finanzieren sich die Podcasts über Werbung, erklärt Sandra Sperber. Die Hosts der Produktionen sprechen am Anfang Werbung ein. Zwar gibt es nun eine eigene Audio-Abteilung im Haus, aber man wolle auch Ressourcen anderer Kolleginnen und Kollegen nutzen. Wenn jemand eine spannende Geschichte zu erzählen hat – warum sollte er es nicht auch im Podcast tun? Manche Verlage lagerten die Audio-Schiene auch an externe Dienstleister aus, erzählt Sandra Sperber. Deutlich wird in jedem Fall: Im Audio-Bereich tut sich was.

Warum ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Radio-Sender nicht schneller auf den Zug aufgesprungen sind, will eine Zuhörerin aus dem Publikum wissen. Auch dort stelle sich die Finanzierungsfrage, erklärt Daniel Bouhs. Wenn Kolleginnen und Kollegen für Podcasts abgestellt werden, müsse man beim aktuellen Programm Abstriche machen. Außerdem musste sich erst die Einsicht einstellen, dass Radio und Podcast unterschiedliche Medien seien. Sendungen online in einer Mediathek zu Verfügung zu stellen, macht aus einem Radio-Beitrag schließlich noch keinen Podcast.

Sandra Sperber ist überzeugt, dass das Format Zukunft hat – auch, weil Menschen Podcasts zu Zeiten nutzten, zu denen sie früher keine anderen Medien konsumiert hätten: Beim Kochen, Putzen oder Bahnfahren. Auch zum Einschlafen werden Podcasts gerne gehört. Trotzdem habe eines seiner Lieblingsprojekte »Träumende Tiere« nicht gut funktioniert, erzählt Tim Kehl. »Leute wollen einschlafen und Leute lieben Tiere«, sagt er. Ihnen beim Schlafen zuzuhören, hat trotzdem wenig Fans gefunden. »Schade, dass einige Schnapsideen nicht funktioniert haben«, sagt Kehl.

Andere wiederum schon. »Sag du mal als Physiker« sei beispielsweise wider Erwarten ein Publikumsliebling geworden. Was dem Zuhörerinnen und Zuhörern gefällt und was nicht: Das lasse sich vorher nie sagen, erklärt Tim Kehl. Das Unternehmen produziere deshalb immer eine Pilotfolge.

Nicht nur die Inhalte von Podcasts, auch die Technik verändert sich. Wie und auf welchen Geräten werden Podcasts gehört? Welche Rolle spielen sprachgesteuerte Assistenten wie Siri und Alexa? Als Amazon-Tochter setze Audible natürlich auch auf die Kompatibilität mit Alexa, sagt Tim Kehl.

Sprachsteuerung werden immer wichtiger, sagt Zeitungsverlags-Vertreterin Anja Pasquay und betont: »Hören ist das neue Sehen.« Aber deshalb räume sie Podcasts nur den Stellenwert eines „Zwischenschritts“ ein, bevor die Menschen ganz in der Welt ihrer smarten Homes versinken. Wäre das wirklich eine Konkurrenz? Werden die Menschen tatsächlich so viel mit Siri und Alexa quasseln, dass sie keine Zeit mehr zum Zuhören haben? Möglichkeiten, sich mit Partnern oder Partnerinnen zu unterhalten, gäbe es ja auch heute schon. Vom Podcast-Hören hält das die Menschen offenbar nicht ab.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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