Land zwischen Baum und Borke

Digitalisierung young+restless nimmt die Digitalagenda des 19. Bundestages unter die Lupe

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Noch steckt vielen der Schock über die gescheiterten Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition in den Knochen. Was ist aber mit den Inhalten? Trotz der fühlbaren Lähmung diskutieren beim Netzwerktreffen young+restless im Telefónica BASECAMP Mitglieder des im Herbst neu gewählten Parlaments mit Vertretern von Start-up-Szene und Internetwirtschaft über die digitale Agenda des 19. Bundestages.

Alexander Rabe, Leiter des Hauptstadtbüros und Mitglied der Geschäftsleitung vom eco – Verband der Internetwirtschaft, steigt in seinem Impulsvortrag mit einigen Kernforderungen ein. »Wir sind eine Schlüsselbranche. Letztendlich werden wir die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft mitgestalten«, betont er. Er fordert einen höheren Stellenwert des digitalen Wandels in der Politik und ein Ministerium, das für dieses Thema steht. Auf der Agenda des Verbands stehen außerdem die Förderung der digitalen Wirtschaft und der digitalen Bildung. »Die Weiterbildung von Lehrern ist Milliardeninvestition«, unterstreicht Rabe. Bei der Verfolgung von Straftaten im Internet dürfe sich der Staat nicht aus der Verantwortung ziehen. Löschen statt Sperren lautet dabei die Forderung des Verbands der Internetwirtschaft. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur über ein Glasfasernetz und und die europäische Regelung von Freiheit und Datenschutz im Netz seien weitere Kernpunkte.

Alexander Rabe liefert damit bereits einige zentrale Stichpunkte für die Podiumsdiskussion, moderiert von Diana Scholl, der stellvertretenden Leiterin Volkswirtschaft des Bundesverbands mittelständischer Wirtschaft. Anfang November sei der Durchbruch bei den Verhandlungen zum Thema Digitalisierung verkündet worden, merkt sie an und will wissen, was dahintersteckt. Tatsächlich scheinen aich die Jamaika-Verhandler in den Grundlinien einig gewesen zu sein. Manuel Höferlin, FDP-Abgeordneter des Bundestags und Digitalisierungsexperte, berichtet von einem Konsens in Bezug auf den Breitbandausbau und darauf, dass digitaler Wandel ein beherrschendes Thema ist. Uneinig hingehen sei man sich bei der Finanzierung gewesen.

Die Enttäuschung über den Abbruch der Verhandlungen liegt an diesem Abend noch in der Luft. »Nach dem Jamaika-Sondierungsprozess einfach zur Tagesordnung überzugehen, fällt mir schwer«, sagt Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und deren netzpolitischer Sprecher. »Das ganze Land ist in einem Zustand zwischen Baum und Borke«, sagt er und beschreibt damit den aktuellen Zustand des politischen Deutschlands.

Allerding lässt sich dieser Befund auch auf die Situation der Digitalpolitik des Landes übertragen. Während sich die vier Bundestagsabgeordneten als Fachpolitiker in weiten Teilen zu verstehen scheinen, beschreiben sie Vorbehalte aus den Reihen der eigenen Parteien. Hier scheinen unterschiedliche Geschwindigkeiten am Werk zu sein, die das Land in einem unentschlossenen Zwischenzustand feststecken lassen.

»Niemand wartet auf den Digitalstandort Deutschland«, betont Alexander Rabe und fordert von der Politik Klarheit, was das Land bis 2015 erreichen will: »Was fehlt, ist ein politisches Narrativ.«

Einig sind sich die Diskutierenden, dass der Themenbereich strukturell gebündelt werden soll. Der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann erklärt, er unterstütze persönlich die Idee eines Digitalministeriums, könne sich aber auch andere Möglichkeiten vorstellen. Konstantin von Notz sieht diese Idee kritisch. Zwar plädiert auch er für einen »Platz am Kabinettstisch«, aber inzwischen hätten die einzelnen Ministerien eigene Digitalabteilungen geschaffen. Diese dort wieder herauszubrechen, halte er für »latent wahnsinnig«.

Nadine Schön, Teil des geschäftsführenden Fraktionsvorstands der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion, hebt die Initiativen hervor, die der Ausschuss Digitale Agenda in der vergangenen Legislaturperiode lanciert habe. »Ich finde, das war nicht nur so ein Laber-Gremium.« Allerdings fordert auch sie, dass der Ausschuss nicht nur beratende Funktionen, sondern die Kompetenz haben sollte, auch eigene Gesetze einzubringen.

Bereits in der Legislaturperiode von 2010 bis 2013 hat eine Enquete-Kommission des Bundestags zu den Themen Internet und Digitale Gesellschaft gearbeitet. Konstantin von Notz betont, dass diese Kommission damals bereits 100 Handlungsempfehlungen verabschiedet hat, die fraktionsübergreifend bestätigt wurden.

Der Tenor des Abends lautet: Es liegt alles bereits auf dem Tisch und muss nur noch umgesetzt werden. So äußert auch Nadine Schön die Hoffnung, dass ein Konzept zur digitalen Bildung, das bereits mit den Ländern abgestimmt worden sei, nun in anderer Konstellation durchgesetzt werden wird.

Während dies ihr Herzensthema ist, fordert Konstantin von Notz die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Manuel Höferlin setzt seine Prioritäten bei der digitalen Transformation der Verwaltung und einer Diskussion über die Bündelung von Kompetenzen im digitalen Bereich. Jens Zimmermann plädiert in seinem Abschlussstatement für eine selbstbewusste Digitalpolitik Deutschlands und die Förderung des Breitbandausbaus.

Neben einem Gefühl von Lähmung sind in der Debatte auch leise Hoffnungsschimmer spürbar. Vor acht Jahren sei er im Wahlkampf noch gefragt worden, ob er sich nicht lieber vernünftigen Themen widmen wolle, erzählt Manuel Höferlin. Langsam ändere sich das.

Janina Mütze, Gründerin und CEO des Berliner Online-Umfrage-Startups Civey berichtet, dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung Digitalisierung als ein wichtiges Thema begreife. Sie betont aber auch, dass dies ein komplexer Begriff sei, über den es vielen Menschen an Klarheit fehle. Sie fordert mehr Geschwindigkeit in Deutschland – vor allem beim Thema digitale Bildung.

Welche Anreize es geben kann, unter der Borke ans Tageslicht zu krabbeln und digitalen Chancen gesamtgesellschaftlich mit mehr Mut zu begegnen, diskutieren Besucher des Abends später an einzelnen Thementischen. Mit dabei sind neben den Podiumsgästen auch Chris Berger vom Bundesverband Gesundheits-IT bvitg e.V. und Vertreter des Stallwächterabends, einem Stammtisch für digitalpolitische Themen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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