Zwischen Melk-Roboter und digitalem Neuland

Landwirtschaft Über digitale Äcker, Datensammlungen in der Landwirtschaft und die Macht der Konzerne diskutieren Politikerinnen und Politiker beim Talk-Format »whatnext«

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Zwischen Melk-Roboter und digitalem Neuland

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Internet auf dem Acker?! Klingt irgendwie komisch? Warum eigentlich? In vielen ländlichen Gegenden in Deutschland scheint schnelles Internet ein Wunschtraum zu sein. Das spiel nicht nur für junge Unternehmen im digitalen Bereich, sondern auch für die Landwirtschaft eine Rolle. Denn entgegen so manch einem Vorurteil ist die Branche hochgradig technisiert und digitalisiert. Über die Frage »Wie digital ticken unsere Äcker?« diskutierte die Moderatorin Alice Greschkow Ende Juni mit Bundestagsabgeordneten beim morgendlichen Veranstaltungsformat »whatnext – Der young+restless Breakfastclub« der Meko Factory in der Telefónica Digital Lounge in Berlin.

Mehr Unterstützung für ländliche Regionen gefordert

Ende 2018 hatte die Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) in der Debatte um die Einführung des Mobilfunkstandards 5G für Wirbel gesorgt. Sie sagte, dass man sich noch ein bisschen Zeit lassen könne, denn 5G brauche es nicht an jeder Milchkanne. Ist das wirklich so?

Carina Konrad (FDP), Obfrau des Ausschusses Ernährung und Landwirtschaft, hat kein Verständnis dafür, dass heute noch darüber diskutiert werde, ob jeder Hof einen Internetanschluss bekommen sollte. »Das macht eigentlich fassungslos«, sagt sie. Denn Arbeitsplätze im ländlichen Raum könnten nur geschaffen werden, wenn die digitale Infrastruktur vorhanden sei. »Das merken die Leute auf dem Land, dass sie da abgehängt werden«, sagt die Politikerin, erklärt aber auch, dass darüber im Bundestag Einigkeit herrsche. »Dass das ein Standortfaktor ist, ist überall angekommen.« Sie betont, dass es schneller gehen müsse und fordert mehr staatliche Unterstützung – beispielsweise für private Initiativen, die sich die Gräben für ihre Glasfaserkabel selbst buddeln.

Das Feld nicht den großen Konzernen überlassen

»Wie sind in einer Situation, in der wir tatsächlich viele Dinge verpasst haben«, räumt Rainer Spiering. Der agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Obmann im Ausschuss Ernährung und Landwirtschaft betont, die Anbindung ans Internet sei Teil der Daseinsvorsorge und appelliert an den Staat, Verantwortung zu übernehmen. Als positive Beispiele erwähnt er staatliche Verkehrsgesellschaften in Frankreich oder der Schweiz, bei denen der Zugverkehr reibungslos funktioniere. Privatisierung sei der falsche Weg – auch im Telekommunikationsbereich. So sei es ein Fehler gewesen, der Telekom die Entscheidung darüber zu überlassen, wo Investitionen lukrativ seien und wo nicht.

Spiering plädiert dafür, die Verwertung von Daten nicht Konzernen wie Google und Microsoft zu überlassen, sondern mit staatlichen Mitteln eine Art »Master-Plattform« aufzubauen, die auf Open-Source-Technologien beruhe, keine Daten sammele und es mit den großen Playern aufnehmen könne. Auch Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, unterstreicht die Schutzfunktion des Staates.

Kühe entscheiden, wann sie gemolken werden wollen

Carina Konrad, die selbst mit ihrer Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, berichtet von der Bedeutung digitaler Technik in der Branche. Ihre erste Investition nach dem Studium sei ein Melk-Roboter gewesen, erzählt sie. Dadurch werde die Arbeit nicht weniger, aber flexibler. Feste Melkzeiten gebe es nicht mehr. Die Kühe entschieden selbst, wann sie gemolken werden wollen. Durch die Sammlung verschiedenster Daten über die Tiere könne beispielsweise die Futterverwertung verbessert werden – ein wichtiges Thema auch bei Klimafragen.

Rainer Spiering erklärt, dass die Erfassung und Auswertung von Daten über die Landwirtschaft Phantomdiskussionen über scheinbare Probleme verhindern könnte. Die Auswirkungen auf Wasser, Boden und Luft sollten erforscht und öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Als Vorbild nennt er Estland, wo die Digitalisierung weit vorangeschritten ist und der Staat umfassenden Einblick in die Daten landwirtschaftlicher Betriebe habe.

Transparenz auch für Kundinnen und Kunden

Vertrauen und Transparenz sind die beiden Schlagworte, auf die Spiering pocht. Konsumentinnen und Konsumenten sollten wissen, was sie kaufen – beispielsweise, wie alt das Schwein geworden ist, das sie essen, oder ob es seinen Ringelschwanz behalten durfte. Peter Pascher vom Deutschen Bauernverband meldet sich aus dem Publikum zu Wort. Auch er begrüßt eine Sammlung von Daten zu Wasser, Boden und Luft. Was die Überwachung jedes Quadratzentimeters der Höfe betrifft, sei „die Seele der Bauern“ jedoch schon strapaziert, betont er.

Wie ihr Kollege und ihre Kollegin aus dem Bundestag spricht sich auch Kirsten Tackmann von der Linken für eine stärkere Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen in der Landwirtschaft aus – auch, wenn dadurch Arbeitsplätze wegfallen könnten. Denn heutzutage sei es für die Betriebe schwierig, überhaupt Mitarbeiter zu finden. Bei Melkerinnen und Melkern sei das beispielsweise ein Problem. Tackmann sieht jedoch auch Probleme, was die zunehmende Digitalisierung betrifft. »Als Tierärztin warne ich vor einer Diktatur der Algorithmen«, sagt sie. Denn diese könnten nur den Ist-Zustand widerspiegeln, aber keine neuen Entwicklungen und Zusammenhänge abbilden. Sie spricht sich für eine gesellschaftliche Debatte aus. Es brauche einen Konsens darüber, was mit der Digitalisierung erreicht werden soll.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Inga Dreyer

Freie Journalistin in Berlin. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Politik. Für die Meko Factory berichtet sie über Veranstaltungen.

Inga Dreyer

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