Agenda

Linksbündig Türkische Autoren schlagen Einladung zur Frankfurter Buchmesse aus

Hidden Agenda - geheime Tagesordnung. Diesen Vorwurf hört, wer sich mit Kritikern des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan unterhält. Von der verschleierten Ehefrau des Staatspräsidenten Abdullah Gül bis zur staatlichen Förderung der Prediger-Schulen. Das kleinste Zeichen werten sie als Beleg für ihre These von der "schleichenden Islamisierung". Erdogan kann sagen, was er will: Für viele säkulare Intellektuelle ist und bleibt der charismatische Politiker der muslimische Wolf im Schafspelz der Demokratie.

Der AKP-Chef hat Fehler gemacht, kein Zweifel. Die große Verfassungsreform, die er nach der siegreichen Wahl vergangenes Jahr versprochen hatte, auf die Aufhebung des Kopftuchverbots an den Universitäten schrumpfen zu lassen, war Wasser auf die Mühlen seiner Gegner. Trotzdem gehen selbst konservative Beobachter nicht davon aus, dass am Bosporus die Scharia droht.

In letzter Zeit jedoch häufen sich Vorfälle, die die Bekenntnisse der AKP zum Laizismus und Pluralismus in›s Zwielicht rücken. Angefangen hatte alles Mitte Juni im mittelanatolischen Karabük. Auf einem Kulturfestival geißelte die Schriftstellerin Latife Tekin mit harten Worten die Nuklearpolitik der Regierung. Das ließ Bürgermeister Hüseyin Erer von der AKP nicht ruhen. Er drehte Tekin, einer der bedeutendsten Autorinnen des Landes, während der Podiumsdiskussion das Mikro mit der Begründung ab, er gebe "sein Geld" nicht für solche Statements her. Eine aufschlussreiche Verwechslung seines eigenen Portemonnaies mit dem der türkischen Steuerzahler.

Man hätte das Ganze für eine türkische Provinzpossen halten können, wie jene, wo ein Gouverneur Orhan Pamuks Bücher aus den Bibliotheken verbannen wollte. Wenn nicht vor wenigen Tagen der türkische Autor Nedim Gürsel von den Behörden vernommen worden wäre. Gürsels neuer Roman Allahs Töchter, fand ein Istanbuler Staatsanwalt, verstoße gegen § 216 des Strafgesetzbuches; er spalte das Land und beleidige den Islam. Dem renommierten Autor, dessen Buch Die sieben Derwische im Herbst auf Deutsch erscheint, droht eine Haftstrafe bis zu zwölf Monaten.

Wie das I-Tüpfelchen auf diesen Fällen wirkt da die Absage eines Konzerts auf der Frankfurter Buchmesse. Mit dem Segen des liberalen Kulturministers Ertugrul Günay hatte der bekannte türkische Pianist Fazil Say ein Oratorium zu Ehren Nazim Hikmets vorbereitet. Nun hat das Ministerium die Auftragsarbeit überraschend abgesagt und sich für ein - angeblich kostengünstigeres - Yunus-Emre-Oratorium entschieden. Die Begründung wirkt fadenscheinig. Denn es macht einen Unterscheid ums Ganze, ob man der Weltöffentlichkeit statt eines ausgebürgerten und mit Publikationsverbot belegten, kommunistischen Dichters, der 1963 im Moskauer Exil starb, einen islamischen Mystiker aus dem 14. Jahrhundert präsentiert.

Kein Wunder, dass immer mehr türkische Autoren zu protestieren beginnen. Einige wollen sogar die Einladung des Kulturministeriums zur Frankfurter Buchmesse im Oktober ablehnen. Unter ihnen ist Leyla Erbil, eine Ikone der feministischen Literatur in der Türkei. Wer will schon im Ausland das liberale Feigenblatt für eine Regierung abgeben, die zu Hause kritische Stimmen zum Schweigen bringen will? Trotzdem wäre es falsch, die Buchmesse zu boykottieren. Denn der Marktplatz der Kulturen am Main böte den idealen Resonanzboden für einen überfälligen Streit um die Rolle der Kunst in der Türkei. "Faszinierend farbig" - unter diesem, für die Türkei durchaus revolutionären Motto wollen die Offiziellen gern das Bild von der vielfältigen, kritischen türkischen Kultur zeichnen. Genau hier sollten sie gezwungen werden, zu erklären, welche Agenda sie wirklich verfolgen.

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