Ein Meer aus Wackersteinen

Erinnerungskultur In Berlin ist nach langem Ringen die "Topographie des Terrors" eröffnet wurden. Als erinnerungspolitischer Gegenentwurf zum Holocaust-Mahnmal taugt der Ort nicht

Heftig war der Streit, als die Nation vor fast zehn Jahren über ein „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ beriet. Dürfen die Täter den Opfern ein Denkmal bauen? Kann moderne Kunst den Völkermord repräsentieren? Würde das Denkmal eine neue Epoche der Erinnerung einleiten? Eine, in der der „Ästhetisierung des Terrors“ Tür und Tor geöffnet würde? Gerhard Schröders designierter Kulturstaatsminister, Michael Naumann, glaubte, Peter Eisenmanns Entwurf, den er als „elegantes Denkmal“ schmähte, mit einem unterirdischen Informationszentrum komplettieren zu müssen. Dass das Denkmal die historische Katharsis zeitigen würde, die Initiatoren wie Lea Rosh vorschwebte, war nie zu erwarten gewesen. Doch dass der spielerische, individuelle Umgang mit der Erinnerung, der in den fünf Jahren seines Bestehens dort praktiziert wird, das Gedenken trivialisieren würde, lässt sich auch nicht behaupten. Mag das wogende Stelenfeld auch noch so sehr zum beliebtesten Erinnerungs-Schnappschuss der Berlin-Touristen avanciert sein.

Der graue Flachbau der Architekten Wilms und Hallmann, der nun mitten im Berliner Regierungsviertel eröffnet wurde, wirkt wie die nachträgliche Widerlegung des Mahnmaldiskurses von damals. Denn die „Topographie des Terrors“, die Rekonstruktion der Macht- und Schaltzentrale des SS-Staates, verzichtet in so demonstrativer Weise auf jeden ästhetischen Eigenwert, dass man meinen könnte, sie sei in erster Linie gebaut worden, um zu zeigen, dass das Erinnern nach dem Erinnern nicht notwendig im historischen Disneyland enden muss: Ein quadratischer Kasten in einem nahezu zeichenlosen Gelände, eine Ausstellung, die historische Zusammenhänge aufzeigt und die Technokratie des Terrors erhellt.

Der Gebäudekomplex, in dem Himmler und Heydrich residierten, wird gern als „Zentrale des Bösen“ bezeichnet. In seinen Keller wurden an die 15.000 Gefangene gefoltert. Doch nirgends greifen die Verantwortlichen zu zwiespältigen Emotionalisierungsstrategien; ein Gruselkabinett ist die Topographie nicht geworden.

Aus dem gelungenen Konzept nun aber zu schließen, dass der Umbruch der Erinnerungskultur durch ein Höchstmaß an historischer Genauigkeit und den Verzicht aufs Spektakel zu kompensieren wäre, ist ein Irrtum. Denn die letzten Zeitzeugen sterben bald. Und wenn es das Kennzeichen der postmemorialen Etappe ist, dass sie die Erinnerung an die Erinnerung mit reflektieren muss, hat die Topographie des Terrors einen entscheidenden Fehler: Die sichtbaren Hinweise auf die symbolische Grabung Berliner Bürger 1985 auf dem Gelände, die die Gedenkstätte gegen den Widerstand der Politiker überhaupt erst initiierte, sind denkbar rar gesät.

Stattdessen ist das Gelände mit einem Meer aus – nicht zufällig grauen - Wackersteinen überzogen. Ob die Besucher das als eine Metapher für das Geröll interpretieren, zu der die tausendjährig gedachte Geschichte der Nazis zerfallen ist; ob sie es als symbolische Versiegelung eines Geländes verdammen, das eigentlich als „offene Wunde“ (Andreas Nachama) dienen soll; oder ob sie es als chromatisches Ausrufezeichen für die Nüchternheit deuten, in der öffentliche Erinnerung in Deutschland stattfinden sollte – zumindest hier muss auch die Topographie des Terrors, um sich verständlich zu machen, Anleihen bei der Ästhetisierung machen, die sie eigentlich vermeiden wollte.


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