Liebe Mutti, … es geht uns gut“. Diesen Satz las Elsa Chotzen im Sommer 1943 auf einer Postkarte mit der Sechsreichspfennigbriefmarke, die das aufgedruckte „Führerporträt“ zeigte. Der aufmunternde Kartengruß, postamtlich korrekt mit „Dresden 29.06.1943 – 15 (Uhr)“ abgestempelt, sollte die seelisch angeschlagene Frau beruhigen.
Im Sommer 1943 waren Ulli und Bubi, ihre Söhne aus der jüdisch-deutschen Mischehe, zusammen mit ihren jüdischen Ehefrauen Ruth und Lisa Chotzen deportiert worden. Der Zug, der sie zum „Arbeitseinsatz im Ostland“ bringen sollte, startete von Berlins Anhalter Bahnhof. Nach einer Irrfahrt durch diverse KZs wurde Ulli im Konzentrationslager Landshut ermordet, sein Bruder starb dort an Misshandlungen.
Das Schicksal zeigt, dass sich die Berliner Initiative Exilmuseum für das Erinnerungshaus, das sie bauen will, das richtige Gelände ausgesucht hat. Am Askanischen Platz in Kreuzberg steht heute nur noch das Portal des einst prächtigen Anhalter Bahnhofs. Dahinter erstreckt sich ein Fußballplatz. Anfang Juni 1942 begannen von hier die Transporte von Berliner Juden nach Theresienstadt.
116 solcher Transporte verließen bis kurz vor Kriegsende den belebten Personenbahnhof; insgesamt wurden von hier über 9.600 Menschen verschleppt, aus ganz Berlin 50.000 Juden. Vom Anhalter Bahnhof starteten aber auch die Exilanten Thomas Mann, Alfred Döblin und George Grosz.
Die Idee zu seiner Museums-Initiative will Initiator Bernd Schultz 2001 gekommen sein. Eine damalige Gedenkveranstaltung für James Simon, den legendären, 1851 in Berlin geborenen Unternehmer, schien dem Chef des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach zu beiläufig und würdelos. Ein Bildband über Exilanten des Fotografen Stefan Moses tat ein Übriges. Schultz glaubte, selbst für eine angemessene Erinnerung an das Exil sorgen zu müssen.
Werbewirksame Personalien
Die Schlüsselszene darf man symbolisch lesen. Denn der 1933 gestorbene Textilunternehmer James Simon sammelte nicht nur – wie Schultz – Kunst und förderte unermüdlich die Künste. 1890 gründete er auch einen Verein zur „Abwehr des Antisemitismus“. Simons Schenkungen bildeten den Grundstock für das 1904 eröffnete Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel. Schultz eifert dem Vorbild des progressiven Kapitalisten nach. Bei einer Auktion zugunsten des Exilmuseums in seinem Auktionshaus versteigerte er Ende Oktober seine privaten Kunstsammlungen für 6,3 Millionen Euro.
Auf den ersten Blick scheint die Initiative einem der vielen Akte der Selbstvergewisserung des Berliner Bildungsbürgertums zu ähneln. Neben Schultz tummeln sich in dem Kreis André Schmitz, Berlins 2014 geschasster Kulturstaatssekretär. Er fungiert sogar als Vorsitzender des Stiftungsvorstands. Der Initiator steht nicht gern im Mittelpunkt. Dazu kommen Peter Raue, der temperamentvolle Rechtsanwalt und furiose ehemalige Chef des Freundeskreises der Nationalgalerie. Und Namen wie Springer-Chef Mathias Döpfner, Konstanza Prinzessin zu Löwenstein, Tochter des zeitweilig exilierten ehemaligen FDP-Politikers Löwenstein, oder die Firmenerbin Gabi Quandt. Als werbewirksamer „Gründungsdirektor“ ist Christoph Stölzl vorgesehen, der eloquente Ex-Chef des Deutschen Historischen Museums, zugleich Berlins Ex-Kultursenator (CDU), derzeit Rektor der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar. Stölzl beschwört mit dem „kathartischen Unternehmen“ gern die untergegangene „Weimarer Culture“ (mit großem C). Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller ist Schirmherrin der Initiative. Eigentlich hätten nur noch Volker Hassemer, Berlins umtriebiger Kulturentrepreneur und Lea Rosh gefehlt, die einst das Holocaust-Mahnmal mit anschob.
Der Kreis ist freilich mehr als ein Charity-Zirkel pensionierter Kulturgutmenschen, denen der passende Rahmen für den Prosecco-Empfang fehlt. Gibt er doch ein nicht zu unterschätzendes geschichtspolitisches Bekenntnis aus der bürgerlichen Mitte, die derzeit unter Verdacht steht, der Neuen Rechten hilflos bis willfährig in die Hand zu arbeiten.
Ihrem Traum sind Schultz&Friends inzwischen einen wichtigen Schritt näher gekommen. Ursprünglich sollte das neue Museum in die Räume des Käthe-Kollwitz-Museums in der Fasanenstraße im Berliner Westen ziehen. Dem neuen Standort auf dem 5.000 Quadratmeter großen Bolzplatz hinter dem Anhalter Bahnhof stimmte Ende September die Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung zu.
Noch ist das Haus nicht gebaut. Aber schon arbeitet ein sechsköpfiges Team an den Plänen. Zu ihnen zählen mit Exilforscher Claus-Dieter Krohn und der Kunsthistorikerin Cornelia Vossen, die 2016 im Berliner Liebermann-Haus die Ausstellung Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne kuratierte, zwei ausgewiesene Fachleute. Wie genau die Wechsel- und Dauerausstellungen für das „Museum der Seelengeschichten“, von dem Christoph Stölzl gern vollmundig spricht, im Detail aussehen werden, weiß das Planungsteam noch nicht zu sagen. Dass sie individuellen Biografien des Exils der 30er Jahre „medial und szenografisch nachspüren“ wollen, klingt vage. So oder ähnlich arbeiten auch schon andere Institutionen.
Exil. Erfahrung und Zeugnis – die Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs in Frankfurt am Main etwa, erschließt sich für den Besucher leitstrahlartig anhand von acht Begleitbiografien. In den Räumen der Deutschen Nationalbibliothek an der Frankfurter Adickesallee können sie sich auch über den Alltag im Exil informieren. Dennoch nennt Silvia Asmus, die Leiterin des Exilarchivs, Schultz’ Museumsidee eine „lobenswerte Initiative“. „Es ist nicht so, dass es dazu nicht genügend Forschung gäbe. Ich verspreche mir davon vor allem eine größere Sichtbarkeit für das Thema.“
Für das virtuelle Museum Künste im Exil der Nationalbibliothek gibt Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bereits 745.000 Euro im Jahr aus. Reichlich wenig, misst man sie an den 19,3 Millionen Euro, die der Bundestag kürzlich in einer Nachsitzung für ein ominöses „Panzermuseum“ der Bundeswehr in Munster lockermachte. Aber immerhin.
Keine Kranzabwurfstelle
Grütters Wunsch, in Berlin eher einen „Ort der Begegnung“ als ein klassisches Museum zu schaffen, kommt das „Exilmuseum“ entgegen: Es soll ohne eigene Sammlung auskommen und mit bereits existierenden Initiativen kooperieren, nicht konkurrieren: der Akademie der Künste oder der Deutschen Gesellschaft für Exilforschung.
Neben den Holocaust-Museen und den Jüdischen Museen könnte das künftige Museum eine Sonderstellung einnehmen, weil es einen vernachlässigten Aspekt der NS-Verfolgungsgeschichte aufgreift. Zu den sechs Millionen von Deutschen ermordeter Juden kommen in den Jahren des NS-Terrors, die AfD-Chef Alexander Gauland einen „Vogelschiss in der Geschichte“ nennt, die 500.000 Menschen, die Deutschland ab 1933 den Rücken kehren mussten.
Nur mit dem pflichtschuldigen Schließen einer Erinnerungslücke will sich das Haus aber nicht zufriedengeben. „Wir wollen definitiv keine Kranzabwurfstelle sein“, sagt Projektleiterin Meike-Marie Thiele. Das „Jahrhundert des Exils“, das es beschwört, war ja 1945 nicht zu Ende. Angesichts von 65 Millionen Menschen, die heute weltweit auf der Flucht sind, erinnert sie an die Leitfrage der Initiative: „Welche Verbindung besteht zwischen Exil damals und heute?“
Der unscheinbare Satz macht die eigentliche Nagelprobe des ganzen Unterfangens deutlich. Mit dem erklärten Willen, zur Gegenwart aufzuschließen und ein „Zeichen gegen jede Form von Vertreibung“ zu setzen, begibt sich die Initiative mitten ins Minenfeld der aktuellen Migrationsdebatte. Ebenso mit ihrer Formel von dem „transnationalen Ideentransfer“, den das erzwungene Exil zur Folge hatte. Gründungsdirektor Christoph Stölzl verweist gern auf das Beispiel Victor Gruens. Der österreichische Architekt und Stadtplaner, 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA emigriert, erfand dort die erste Shopping Mall. Sein Fall belegt die Schlussfolgerung der Initiative, dass „Migration in bedeutsamer Weise kulturelle Muster verändert“.
Fragt sich nur, wie viele Zeitgenossen diesen positiven Migrationsbegriff teilen werden. Noch ist das Echo auf Bernd Schultz’ Museums-Initiative überwältigend positiv. Eine Art Omen für das, womit sie in Zukunft aber auch rechnen könnte, wenn sie mehr als eine historische Initiative sein will, zeigte sich kürzlich an dem künftigen Standort des geplanten Museums. Unbekannte traten die 2008 errichtete Gedenkstele am Rande des Anhalter Bahnhofs um.
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