Kunst Peter Lang war das Gegenbild zum mondänen Starkurator, dafür meinte er es ernst mit der Wissensproduktion. Ein schöner Band erinnert an den DDR-Bohémien
Wahnwitzige Skizzen, mechanisch anmutende Konstruktionen, viktorianische Kostüme. Die Besucher staunten nicht schlecht, als sie das Sammelsurium sichteten, das vor vier Jahren im Berliner Künstlerhaus Bethanien ausgebreitet war. War das schon Kunst oder handelte es sich doch bloß um abgedrehte Bastlerarbeiten?
Das mechanische Corps. Auf den Spuren von Jules Verne war die letzte und zugleich eine der erfolgreichsten Ausstellungen von Peter Lang. Was wie historische Objekte wirkte, war tatsächlich ein Kompendium zeitgenössischer Kunstobjekte. Manche sahen wie Uhren aus, Pendel oder Fluggeräte. Was sie einte, war der ästhetische Rückgriff auf das utopische Potenzial von Technologien des frühen Industriezeitalters – in einem Zeitalter, dessen t
Zeitalter, dessen technologisches Potenzial ans Magische grenzt.Die Schau vereinte alles, was den 1958 in Leipzig geborenen Kurator ausmachte: das Interesse an Kulturgeschichte, die Lust an der Grenzüberschreitung zwischen High und Low, die Liebe zu außergewöhnlichen Objekten, unbekannten Kunstformen.Verwundern konnte die Kombination nicht, hatte Peter Lang doch beides studiert: Physik an der Karl-Marx-Universität Leipzig von 1979 bis 1981, Kunst, Ästhetik und Theaterwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität 1982 bis 1990.Kein spleeniger DüsentriebDie Begegnung von Kultur und Technik zog sich als Subtext durch sein Kuratieren. In ganz große Form goss er dieses Interesse, als er 2007 im Historisch-Technischen Museum Peenemünde eine Ausstellung über den „Weltraumphantasten“ Wernher von Braun zeigte. Ihm stellte er den (ost-)deutschen Art-brut-Künstler Karl Hans Janke gegenüber. Der 1988 verstorbene Maler und Erfinder hatte in 40 Jahren in der Psychiatrie Tausende Zeichnungen und Modelle futuristischer Flugmobile entwickelt. Nischenexistenzen, schräge Vögel, skurrile Sammlungen zogen Lang magisch an. Die Ungarische Methode nannte er eine Ausstellung 2012 im Kunstverein Aschersleben. Darin reflektierte er den zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten Algorithmus, der in Verkehr und Telekommunikation eine Rolle spielt, im Spiegel der Kunst.Wie ein spleeniger Daniel Düsentrieb der Kunstwelt oder ein verhinderter Physikprofessor kam Lang freilich nicht daher. Im Verlag des Künstlerhauses Bethanien ist gerade ein schönes Bändchen zur Erinnerung an den 2014 verstorbenen Kurator erschienen. Der Berliner Künstler Markus Wirthmann erinnert sich in seinem Text daran, wie er ihn während einer Recherchereise durch Brandenburg zu Beginn der 2000er Jahre kennenlernte und einen schlecht gelaunten kleinen Mann in Uniform traf. Der punkige DDR-Bohémien pflegte ein Faible für die Zeit zwischen sächsischem Spätbarock und Romantik, deswegen hatte er sich eine lederne Dragonerjacke aus dieser Zeit schneidern lassen. Aufmerksamkeit auf Vernissagen konnte Lang sich darin sicher sein. In dem betressten Rock sah er, wie sich Wirthmann erinnert, „ wie ein Napoleondarsteller auf einer Kleinkunstbühne“ aus. Aristokratisches Gebaren lag ihm jedoch fern. Wenn ihn etwas auszeichnete, dann grenzenlose Neugier, Begeisterungsfähigkeit und schier unendliche Energie.„Ungewöhnliche Themenausstellungen“ war das einhellige Stichwort, wenn von Peter Lang die Rede war. Schwer zu sagen, woher diese Fähigkeit rührte. Die assoziative Art, zu denken, der Zwang zur blitzschnellen Improvisation, mit dem er im nonkonformistischen DDR-Kunstbetrieb groß geworden war. Von 1989 bis 1992 betrieb er in Leipzig die Galerie am Kraftwerk. In dem berühmten, nach der Wende leerstehenden „Specks Hof“ kämpfte er gegen die „Leipziger Kuhwärme“ an. „Wer von den Malern hier spricht schon Englisch?“, regte er sich damals auf. Doch „finanztechnisch“, erinnert sich der Künstler Moritz Götze, „war er meistens ein Chaot“. Lang brannte für Inhalte. Auch wenn die Projekte, die er daraus schmiedete, sein Konto beständig zu gefährlichen Grenzwerten trieb.Dass dieser Mann nach der Wende nicht unterging, verdankte er seinen Netzwerken aus der versunkenen Zeit davor. Die meisten Künstler aus der DDR, die später berühmt wurden, kannte er noch aus Studientagen. Übertriebene Ehrerbietung ihnen gegenüber war ihm vollkommen fremd. Wer mit ihm arbeitete, musste Kritik aushalten können. „Diplomatisches Verhalten war Peters Sache nicht“, schreibt Götze.Nur ein Herold der DDR-Kunst war Lang aber nie. Obwohl er mit zahlreichen Ausstellungen den ostdeutschen Pop-Artisten Götze bekannt machte. Ihn und Neo Rauch in die Sammlung der Deutschen Bank hievte. Und dafür sorgte, dass das Œuvre Hannes Hegens, des legendären DDR-Comiczeichners und Erfinders des Digedags-Trios, nicht in Vergessenheit geriet.Mehr als um Einzelschauen ging es Lang aber um kulturelle Tiefenbohrungen und Querschnittsanalysen. Wie bei der Schau Der Harz 2005 in Aschersleben. Neben vergessenen Büchern und Bildern aus dem Heimatmuseum präsentierte Lang dort Roland Bodens fiktive Dokumentation über das „Alberich-Gerät“, ein Wehrmachtsinstrument zur Unsichtbarmachung. Oder die Idee des Berliner Künstlers Joachim Grommek für einen Aussichtsturm für die Stadt.„Verbindungen zu schaffen, verschiedene Welten miteinander zu vereinen“ – unter den Definitionen, mit denen Hans Ulrich Obrist vor ein paar Jahren versuchte, den seltsamen Beruf des Kurators auf den Begriff zu bringen, trifft diese Beschreibung Peter Langs ungewöhnliche Arbeit noch am ehesten. Heute ist der „Kurator“ zur Chiffre einer selbstbezüglichen Kaste des Kunstbetriebs geworden. Der Prekarier Lang war gleichsam das Gegenbild des mondänen Starkurators. Wichtiger war, dass er es noch mit der ursprünglichen Wortbedeutung hielt – „Pflegen“. Jedes Projekt transportierte seine Vision, dabei blieb er immer ein Partner der Künstler.Kuratoren-KauderwelschWenn heute Kuratoren ihre schwer definierbare Arbeit zur „Wissensproduktion“ aufplustern, dann war Lang ihr Exponent avant la lettre. Ohne allerdings in das (post-)strukturalistische Kauderwelsch zu verfallen, mit dem sie heute präsentiert wird. „Das soll sich ja sinnlich erschließen“, hat er einmal in einem Interview lakonisch seine Arbeitsweise charakterisiert.Wenn man dem rastlosen Meister der Verknüpfung etwas gewünscht hätte, dann ein paar größere Projekte als die zahllosen Galerie-Ausstellungen oder die Themenschauen, die Christoph Tannert, Freund und Kollege aus DDR-Tagen und Direktor des Künstlerhauses Bethanien, ihm dort ermöglichte. Womöglich gar die „Mission: Impossible“ in Venedig. Wie hätte wohl, so einer meiner liebsten Tagträume, der Deutsche Pavillon auf der Biennale ausgesehen, hätte der deutsche Außenminister eines Tages diesen hochtalentierten Outsider zu dessen Kurator ernannt?Dazu ist es nicht gekommen. 2014, mit gerade mal 56 Jahren, starb er in einem Taxi an einem Herzschlag, als er in München eine Ausstellung vorbereitete. So schnell und überraschend, wie er bei Projekten oder Partys auf- und abzutreten pflegte. Wahrscheinlich hat sich der heimatlose Kunstnomade einfach auf den Weg zurück in die Zukunft gemacht.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.