Dürfen Flüchtlinge wirtschaftlich handeln?

Der Homo öconomicus. Das Streben nach Wohlstand ist Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung. Warum sollte diese Maxime also nicht auch für Menschen gelten, die zu uns kommen?

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DER WIRTSCHAFTSFLÜCHTLING

Wer kennt nicht den Satz: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. Ob klimatische oder politische Ursachen, immer waren Wanderungsbewegungen darauf ausgerichtet, für sich selbst und für die nachfolgenden Generationen nach neuen Perspektiven zu suchen. Dies galt auch einmal für die zahlreichen Auswanderer Deutschlands, deren Nachfahren heute beispielsweise in den USA leben. Im Gegensatz zu Deutschland spricht dort allerdings niemand mehr von Menschen mit Migrationshintergrund, nur weil jemand mit dem Namen "Meier" irgendwo vorstellig wird.

Wie in vielen Jahrhunderten zuvor, wird auch das 21. Jahrhundert von Verteilungskämpfen und Eroberungsfeldzügen geprägt sein. Die neuen Eroberer sind heute jedoch global agierende Wirtschaftsunternehmen. Ihre Armeen sind Geld, Macht und gekaufte Politiker. Ihre Waffen bestehen aus Big- und Smart Data, den weltweiten Freihandelsabkommen und der damit verbundenen Privatjustiz durch Schiedsgerichte. Diese Global Player plündern ganze Kontinente. Wer nicht für Hungerlöhne arbeiten oder in Kriegswirren sein Leben lassen will, wird die Flucht ergreifen. Früher oder später werden diese Menschen als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge Europa und damit auch Deutschland erreichen.

GILT DAS STREBEN NACH WOHLSTAND NUR FÜR UNTERNEHMEN?

Ein Unternehmen wird allgemein definiert als eine wirtschaftlich selbstständige Organisationseinheit, die mit Hilfe von Planungs- und Entscheidungsinstrumenten Markt- und Kapitalrisiken eingeht und nach dem höchstmöglichen Gewinn strebt.

Auch Menschen sind selbständige Organisationseinheiten. Sie planen und gehen bei jedem Schritt ihres Lebens ins persönliche Risiko. Sie managen jeden Tag erneut ihr eigenes Leben. Warum soll die im Wirtschaftsleben akzeptierte und erwünschte ökonomische Betrachtungsweise also nur für juristische und nicht für natürliche Personen gelten? Wenn in prekären Verhältnissen lebende Fabrikarbeiter aus Bangladesh reihenweise ihre Heimat verlassen würden mit dem Ziel direkt in den Abnehmerländern ihre bisherigen Lebensumstände nachhaltig verbessern zu wollen, könnte man dies emotionslos durchaus als ein planvolles und wirtschaftliches Handeln bezeichnen. Ist das Streben nach Wohlstand nicht Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung, die dann jedoch logischerweise natürlich auch für alle Marktteilnehmer gelten muss? Vielleicht werden sich die großen Polarisierer daran gewöhnen müssen, dass auch die ökonomische Brille stets zwei Gläser besitzt.

MÜSSEN EINWANDERER EINE NUTZFUNKTION ERFÜLLEN?

Hier schließt sich die unmittelbare Frage an, welche Nutzfunktion überhaupt ein Mensch erfüllen soll. Ist er nützlich, weil er Konsument ist und damit einigen wenigen zu Gewinnen verhilft oder weil er während seiner Existenz Steuern und Abgaben zahlt? Welchen Nutzen hat der Arbeitsplatz, wenn wir auf Kosten nachfolgender Generationen leben und den Ressourcenverbrauch mit dem damit verbundenen Schwund globaler Lebensgrundlagen nicht einmal ansatzweise in den Endverbraucherpreis oder in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit einfließen lassen? Was kostet ein Menschenleben und wie hoch ist die hierfür anzusetzende Kalkulationsgrundlage, um die bloße Existenz eines Menschen absichern zu können? Erste Wertansätze finden sich bereits in der gültigen Sozialgesetzgebung und im Asylbewerberleistungsgesetz.

ES GIBT AUCH EINE ZWEITE ART VON WIRTSCHAFTSFLÜCHTLINGEN

Es sind die, die das Land aus steuerlichen Gründen verlassen, sich künstlich arm rechnen und sich so ihrer sozialen Verantwortung gänzlich entziehen. Bei der Rechnung aller "Nutzfunktionen" sollten wir nicht vergessen, dass die 500 reichsten Deutschen über ein Vermögen von gut 612 Milliarden Euro verfügen. Zum Vergleich: Der Steuerhaushalt der Bundesrepublik Deutschland umfasst gerade einmal gut 570 Milliarden Euro.

Wenn also einige politische Parteien den Raubbau der Sozialsysteme so sehr fürchten, was läge näher, als von den oben erwähnten und weiteren einkommensstarken Leistungsträgern einen Extra-Solidarbeitrag abzufordern, der ausschließlich in ein Sondervermögen für aufzunehmende Migranten fließt. Diesen Abgabegedanken könnte man natürlich auch europaweit und finanztransaktionstechnisch fortsetzen. Der Ausgabe 36 des "Stern" aus dem Jahre 2010 war unter dem Titel "Das globale Wettbüro" unter anderem zu entnehmen, wie hoch die Nominalwerte aller an den Terminbörsen gehandelten Derivate waren: rund 334 Billionen Euro. Das ist siebenmal mehr als alle Unternehmen weltweit erwirtschaften. Mit dieser Summe könnte man weit mehr als 300.000 Flüchtlinge problemlos versorgen, die Staatsschulden der Bundesrepublik Deutschland 185mal zurückzahlen, könnte den damaligen aktuellen Bundeshaushalt 600 Jahre finanzieren oder jedem Menschen auf der Erde etwa 50.000 Euro ausbezahlen. Man sollte gut darüber nachdenken. Denn auch die meterhohen und überwindungssicheren Stacheldrahtzäune im Süden Europas werden die zukünftigen Flüchtlingsströme nicht mehr aufhalten können. Denn ein besseres Leben ist und bleibt nun mal ein legitimes Menschenrecht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

initiative146

Die Initiative 146 wirbt für eine Verfassung in Deutschland und hat dazu bereits einen ausformulierten Verfassungsvorschlag ins Netz gestellt.

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