Braune Soße

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Braune Soße gehört auf den Teller und nicht in die Köpfe junger Leute!“ lese ich auf der Speisekarte eines gemütlichen kleinen Restaurants und muss grinsen. Und dann überlege ich, wie die braune Soße da wohl reingekommen ist, also in die Köpfe junger Leute. Einige von denen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen kennengelernt zu haben.

Junge Männer z. T. mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung einem Job (nie ganz das, was sie wollten, aber mit einem guten Auskommen), aus einem eher SPD-orientierten Arbeitermilieu, die einen Abscheu gegen alle „Intellelis“ hatten und mit mir ernsthaft diskutieren wollten, dass es unmöglich gewesen sei, sechs Millionen Menschen zu ermorden. Da seien rein logistisch höchsten zwei Millionen drin gewesen. Sprachlos über solche Argumentationsstrukturen frage ich mich, ob ich in der gleichen Welt lebe wie sie und erkenne ziemlich schnell: die sind ziemlich verunsichert.

Wahrheiten wie „wer zwei rechte Hände hat, der findet auch Arbeit!“ gelten nicht mehr. Die schiere Arbeitskraft wird nicht mehr gebraucht. Der Job ist jederzeit gefährdet, weil andere billiger arbeiten. Ihre Rolle im sozialen Gefüge ist ins Wanken geraten, was sich besonders in ihrem Verhältnis zu Frauen zeigt. Autoritäten oder Leitbilder, an denen man sich orientieren könnte, sind weggebrochen. Der einzige übergreifende Identifikationspunkt, der bleibt, ist die Nationalität (mal abgesehen vielleicht von der jeweiligen Fußballmannschaft).

Für diese Menschen bildet die NPD einen Kristallisationspunkt. Hier finden sie die Parolen, die sie suchen, und die Ideen, bei denen sie sich zu Hause fühlen und die sie auf Partys rauf- und runtergrölen (inkl. der dazu gehörigen Musik).

Dabei ist vieles davon „nur“ Provokation, lautes Lospoltern und letztlich das Betteln darum, wahr- und ernstgenommen zu werden. Denn einzeln sind viele von ihnen durchaus vernünftigen Argumenten zugänglich. Es eint sie die empfundene Trost- und Sinnlosigkeit ihres Lebens und daraus folgend der Drang, möglichst viel Spaß zu haben, solange es noch geht.

Das ist – dessen bin ich mir bewusst – nur ein Ausschnitt des rechten Spektrums. Trotzdem denke ich, dass es sich lohnt, diese Menschen zu umkämpfen und frage mich, wie das geschehen kann. Ich persönlich kann ja nicht im ständigen Dialog stehen und will das auch gar nicht. Aber das sind auch keine Außenseiter. Sie leben völlig unauffällig in der Mitte der Gesellschaft ohne Hakenkreuzfahne an der Wand – aber mit Hitler-Bier im Schrank.

Parallelgesellschaften gibt es eben viele…

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Geschrieben von

Ismene

Kein Mensch ist freiwillig schlecht.Aber es sind schon viele ganz komisch unterwegs.antigone@weibsvolk.org

Ismene

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