Der schöne Schein der Bildung

Zitate: Ein treffendes Zitat zur richtigen Zeit lässt uns als gebildet erscheinen. Doch Obacht: Bildung und Einbildung liegen nahe beieinander. Und: was ist eigentlich Bildung?

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Weil mein Kind nicht so gut richtig schreiben kann, kaufte ich unlängst einen Karteikasten mit Rechtschreibübungen des selbstgesteuerten Lernens wegen. Die Packung verriet, es gäbe auch eine Mini-CD zum Thema. Es handelt sich um die bekanntesten Zitate und Aussprüche.

Ich kann die CD nicht lesen, aber sie hat mich doch zum Nachdenken gebracht. Meine Eltern hatten noch ein ganzes Buch mit Zitaten, die man bestimmt irgendwann einmal gewinnbringend würde anwenden können. Benutzt haben sie es nie. Heute braucht man das auch nicht, es gibt wohl kein bekanntes Zitat, dass sich nicht recht leicht im Netz finden lässt.

Doch wozu braucht man überhaupt Zitate?

Um die eigene (bürgerliche) Bildung zum Ausdruck, zur Geltung zu bringen.

Mittlerweile ist es ja schon Standard, einen Aufsatz, Artikel oder eine Ansprache mit Zitaten zu würzen. Das kann dank Internet ja jeder. Nein, wahre Bildung besteht darin, in der gepflegten Unterhaltung (also nicht unbedingt leicht angesäuselt am Biertisch) Zitate unterzubringen, gern auch im Original. In die Diskussion um Steuermittel lächelnd den Satz einzuflechten "ja, ja, pecunia non olet - Geld stinkt nicht. Das wussten schon die alten Römer..." - das hat doch was...

Bildung und Einbildung

Doch nicht jedes Zitat wird als Ausdruck (bewunderungswürdiger) Bildung verstanden. Es muss passen. Ein Zitat, das nicht zu Adressatengruppe, Redner oder Anlaß passt, wirkt deplaziert wie die ausgestreckte Hand, die keiner schüttelt.

Glauben die Zuhörer, der Sprecher habe das überhaupt nur auswendig gelernt, gilt er als eingebildet (was denkt er, wer er ist?). Ist zwar das Zitieren an sich glaubwürdig, wird das Zitat aber nicht verstanden, gilt der Redner als überheblich (red mal hochdeutsch!).

Auch die Person des Sprechers ist nicht zu unterschätzen. Der Pfarrer darf ruhig mal was auf Latein oder Griechisch zitieren, tut es der Nachbar von Nebenan ist er entweder ein "Studierter" - also per se was besseres - oder ein eingebildeteter Großtuer.

Auch darf der Bürgermeister seine Festrede gern mit Zitaten jedweder Art schmücken, nicht aber die Nachbarin beim Plausch.

Zuweilen gilt schon als gebildet, wer hochdeutsch ohne erkennbare Färbung spricht. Ich jedenfalls musste mich schon einige Male des Vorwurfs erwehren, eingebildet zu sein, weil ich nämlich kein Dialekt spreche...

Was ist Bildung?

Nicht alles eignet sich zum Zitieren, weil nicht alles als Bildung gilt. Europäische Fremdsprachen gehen immer, vorzugsweise englisch, franzözisch und latein. Arabisch, kisuaheli oder hindi sind dagegen ganz unpopulär. Wahrscheinlich gibt es woanders eben keine Kultur. Diese eingebildete Haltung findet sich wunderbar wieder in unserem Verständnis von klassischer Musik. Die haben nämlich nur wir. Andere Kulturen haben Folklore - nett, aber nicht ernst zu nehmend.

Auch sollte das Themenfeld schon im Bereich Literatur, Kunst, Geschichte oder Philosophie liegen und die Zitierten irgendwie bekannte Größen sein. Das liegt im bürgerlichen Selbstverständnis von Bildung. "Den Satz von Pythagoras hab ich nie verstanden." darf man sagen, ohne gleich als ungebildet zu gelten. Wer aber Shakespeare für einen englischen Politiker hält, ist definitiv ungebildet, auch wenn er ein wirklich exzellenter Physiker ist. Sokrates darf, ja soll man ruhig zitieren, Heisenberg bitte nicht.

Auch ist Wissen nicht gleich Wissen. Der gebildete Mensch kennt sich aus im Götterhimmel der Antike, am besten dem griechischen, der römische gibt nicht so viel her. Wer sich in der germanischen Mythologie auskennt, muss schwer aufpassen, nicht in der rechten Ecke zu landen und wer gar im hinduistischen Pantheon bewandert ist, ist ein esoterischer Spinner.

Um als gebildet zu gelten, muss man das natürlich nicht alles wissen. Ein fundiertes Halbwissen reicht. Wer weiß, um was es bei Goethes Faust (dem Inbegriff bürgerlicher Bildung) geht, ist gebildet, egal oder er das je gelesen oder gesehen hat.

Dieser recht arrogante und sehr eingeschränkte Bildungsbegriff ist natürlich nirgendwo festgelegt. Er wabert irgendwie so durch die Welt und hilft, die Menschen einzuteilen. Er markiert den Graben zwischen den zwar gebildeten, aber praktisch Unfähigen (der soll erst mal 'ne Schaufel in die Hand nehmen) und den zwar ungebildeten, aber bauernschlauen Praktikern. Dabei sind jene immer die, die mehr Geld bekommen als diese. Eine Einteilung ist längst nicht mehr sinnvoll, wenn es sie je war. Doch schimmert dieser Bildungsbegriff immer wieder auf in unzähligen Quizshows, in denen der gemeine Fernsehzuschauer mitraten und sein "Allgemeinwissen" testen darf.

In letzter Zeit aber scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Immer öfter grinst mein innere Berater "Hallo Zielgruppe" bei Sätzen wie "Die Lösung ist natürlich 42!" oder "Ja, Herr, wir sind alle Individuen!"

Bildung - im klassichen Sinne - ist längst nicht mehr "alles, was man wissen muss" (Schwanitz).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ismene

Kein Mensch ist freiwillig schlecht.Aber es sind schon viele ganz komisch unterwegs.antigone@weibsvolk.org

Ismene

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