Ich versteh Dich nicht

Flüchtlinge Was ist eigentlich los mit den Flüchtlingen? Und mit uns? Und was ist eigentlich Integration?

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In die Klasse meiner Tochter geht seit einiger Zeit ein Flüchtlingsmädchen. Anfangs war es schwierig, sie hatte extra-Unterricht in Deutsch, aber es ging immer besser und jetzt, am Ende des Schuljahres ist sie sogar mitgefahren auf Klassenfahrt. Ein Segeltörn. Das finde ich beachtlich für ein Mädchen, das in einem Boot geflüchtet ist und auf dem Wasser fast das Leben verloren hätte…

Meine Tochter hat mir erzählt, wie irritiert dieses Mädchen war. Sie könne gar nicht verstehen, wie die Mädchen alle im Bikini an den Strand gingen. Da seien doch Männer und Jungen, noch dazu fremde.

Dabei fällt mir die Empörung ein, mit der eine Freundin, die im hiesigen Helferkreis für Flüchtlinge aktiv ist, von einem Flüchtling erzählte, der in einem Weingut nicht arbeiten konnte, weil dort Alkohol hergestellt wird und der mit Frauen sowieso nicht arbeiten kann.

Flüchtlinge müssen sich integrieren. Finde ich auch. Aber was heißt das eigentlich? Klar, die Sprache lernen, das ist die Grundlage, ohne geht es nicht. Aber dann. Natürlich will ich mein Leben ungehindert weiterleben können. Natürlich muss man sich an eine neue Situation anpassen. Aber ich bin sicher, dass das gar nicht so einfach ist.

Wie kann sich jemand integrieren, für den eine Frau, die rumläuft wie ich eigentlich nur eine Hure sein kann? Jemand, der vielleicht nicht gelernt hat, dass es meine Welt gibt, die anders ist als deine Welt, der nur eine Welt kennt mit klaren Richtigs und Falschs? Ich fange an zu begreifen, dass jemand, der hier lebt, nach lebensgefährlicher Flucht dem Grauen entkommen, beginnt zu denken, es wäre vielleicht doch besser, in der Heimat ums Leben gekommen zu sein als hier an diesem sündigen Ort leben zu müssen.

Wohlgemerkt: ich finde diese Vorstellungen nicht richtig und ich halte diese Menschen auch nicht für blöd. Und doch ist es leichter, andere Sicht- und Lebensweisen zu akzeptieren, wenn man in einem liberalen Klima aufgewachsen ist bzw. lebt, als wenn man in einem geschlossenen System sozialisiert wurde.

Dabei kann ich mir gar nicht wirklich vorstellen, wie Menschen in Syrien oder Afghanistan leben bzw. gelebt haben. Alles, was ich weiß, weiß ich aus dritter, vierter, fünfter Hand. Und bei den wenigen persönlichen Kontakten merke ich schnell, wie fremd das für mich ist und fremd meine Normalität für die anderen ist.

Integration ist nicht so einfach. Es geht an existentielle Wahrheiten, die nicht meine sind. Ein Anfang kann es sein, den anderen überhaupt erst einmal verstehen zu wollen, klar. Vielleicht gehört ein bisschen Anpassung von mir auch dazu oder muss ich unbedingt in Hot Pans und Spaghetti-Träger-Top in die Kleider-Verteilungsstelle laufen? Schwierig.

Ja, wer zu mir ins Haus kommt, muss sich an meine Regeln halten, aber: ich stelle mich auch auf meine Gäste ein. Sie sollen sich wohl fühlen in meinem Haus. Ich muss nicht alles tun, was ich kann, aber ich muss auch nicht auf jede Befindlichkeit Rücksicht nehmen, manchmal reicht es auch, wenn ich sie einfach kenne.

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Geschrieben von

Ismene

Kein Mensch ist freiwillig schlecht.Aber es sind schon viele ganz komisch unterwegs.antigone@weibsvolk.org

Ismene

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