Einzigartiger Glücksfilter

Deutsch-Israelische Kulturtage. Der zweite Abend gehörte Germaw Mengistu und Pierre Jarawan im Roten Salon der Berliner Volksbühne

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Sie nennen sich Beta Israel. Jahrtausende lebten äthiopische Juden in der Diaspora mit der Erwartung, eines Tages in Dorfgemeinschaftsstärke von ihren Kapazitäten dem Gelobten Land zugeführt zu werden. Ab den Neunzehnhundertachtziger Jahren kam es in Israel zur Masseneinwanderung äthiopischer Juden, die Dazugekommenen wurden zu drastischen Anpassungen ihrer Vorstellungen an die Wirklichkeit gezwungen. Das berichtet Germaw Mengistu im Rahmen der seit 2005 jährlich vom Goethe-Institut und von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten Deutsch-Israelischen Kulturtage. https://www.boell.de/de/im-neuland-deutsch-israelische-literaturtage-2016 Mengistu ist nicht nach Deutschland gekommen, um Allgemeinplätze zu verbreitern. Er hat einen konzisen Darlegungsstil. Er beschäftigt sich mit Konstruktionen nationaler Identität in glättenden und aufrauenden Verfahren der Eingliederung und Abweisung von Diasporatraditionen. Die historischen Tatsachen trotzen der Nüchternheit. In “Ein Traum auf Kosten der Würde” schildert Mengistu Menschen, die vollkommen im Vertrauen auf ihren Gott leben. In Generationen haben sie keine festen Häuser gebaut, um ihre Vorläufigkeit vor Ort und ihren Umzugswillen lebendig zu halten. Ihr Auszug vollzieht sich in biblischen Szenen. Dörfer veröden im Anschluss von Gemeinden an ein Volk zu Fuß. Ein Seelenführer schreitet wie Moses dem verlorenen Stamm voran zum Flughafen. In Israel ist alles anders als erträumt. Der Staat zeigt keine Ähnlichkeit mit dem Gelobten Land der Überlieferungen. Eine “halbnackte Verrückte” präsentiert sich als Angestellte der Einwanderungsbehörde. Sie gibt den Ankommenden ungewohnte Anweisungen, die Unterbringung in einem Hochhaus widerspricht äthiopischen Gepflogenheiten. Die Administration erwartet eine zügige Übernahme der Richtlinien des normativen Judentums. Die alten Würdenträger bezahlen dafür mit Statusverlust.

Germaw kollabiert seelisch. Er verschließt sich. “Ich dachte, ich könnte mich so bewahren.” Endlich verwirft er seine Vergangenheit, um Israeli zu werden.

”Ernüchterung ist besser als in etwas Unlebbarem zugrunde zu gehen”, sagt Germaw.

Für Deutschland tritt Pierre Jarawan mit seinem Romandebüt “Am Ende bleiben die Zedern” an. Der Autor erzählt von Bürgerkriegsflüchtlingen und ihren Turnhallenunterbringungen zuzeiten der alten Bundesrepublik. Sein Held ist ein Sohn libanesischer Flüchtlinge. Samirs Vater dichtet in einem Verherrlichungstext der verlorenen Heimat paradiesische Züge an. Für den Jungen geht der Libanon als Gelobtes Land durch. Die Geschichte koinzidiert mit Jarawans Biografie, er selbst hat sich den Libanon als Erwachsener erschlossen, so wie Samir auf der Suche nach dem verschwundenen Vater. Beide ernüchterten in einer Dekonstruktion. Davon ist Samir weit entfernt, als sein Vater mit einem Kompass die Satellitenschüssel auf arabische Sendungen versprechende 26,0 Grad Ost ausrichtet. Sämtliche Schüsseln in Samirs Straße sind so ausgerichtet. Geringe Abweichungen bringen eine koreanisch kommentierte Tischtennispartie, italienisches Eishockey und irgendwas Russisches auf den Bildschirm. Die Nachbarn gesellen sich mit Pistazien und Grillangeboten zu Samirs Vater, dem die langwierige Feineinstellung Spaß macht.

“Wenn ihm das Leben die Gelegenheit gab, aus einem gewöhnlichen Augenblick einen besonderen zu machen, ließ er sich das nicht nehmen.”

Jarawan stattet den Mann mit einem “einzigartigen Glücksfilter” aus. Er zeigt ihn gänzlich ungezwungen und von sich selbst begeistert. Endlich fängt die Antenne arabische Musik ein. Ein fremder Libanese ergreift Samir und führt ihn zu einem Straßentanz. “Nichts deutete darauf hin, dass wir in Deutschland waren.”

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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