Verbrechen ohne Strafe

17. Literaturfestival Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer und Afrikaexperte Thilo Thielke im Gespräch über koloniale Verbrechen in Namibia

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Dass Trotha die ganze Nation vernichten oder aus dem Land treiben will, darin kann man ihm beistimmen. Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung oder vollständige Knechtung der einen Partei abzuschließen. Die Absicht des Generals von Trotha kann daher gebilligt werden. Er hat nur nicht die Macht, sie durchzuführen. Alfred Graf von Schlieffen

Gastgeber Bismarck prägte auf der Berliner Konferenz 1884 das Wort vom „Platz an der Sonne“, den sich Deutschland im kolonialen Wettbewerb mit den europäischen Großmächten und dem Osmanischen Reich sichern müsse. Der deutsche Platz an der Sonne war klein und wurde nicht lange gehalten. Das rechnet man heute zu den entlastenden Momenten deutscher Geschichte. Die Einschätzung ignoriert einen Völkermord und vernachlässigt die Tatsache, dass Deutsche seit dem 15. Jahrhundert an globalen Ausbeutungsfeldzügen beteiligt waren. Der Kolonialismus war ein „europäisches Projekt“ (Joseph Conrad), das die Fugger und Welser genauso vorantrieben wie die Medici und die Kaufleute der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Die Trennungen zwischen staatlichen und privaten Unternehmungen waren durchlässig. Kaufleute traten als Statthalter auf und nahmen Regierungsaufgaben wahr. Ein Grundstock der ersten deutschen Kolonie in Afrika war das Lüderitzland (heute Namibia), benannt nach dem Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz. Daran erinnerte der Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer bei einer Veranstaltung des 17. Internationalen Literaturfestivals. Er sprach mit Thilo Thielke, einem Journalisten, der nun in Tansania „Ostafrikas einzige Bauhaus-Lodge“ am Fuß des Kilimandscharo im ewigen Frühling betreibt. Die deutschen Spuren seien in Tansania sehr viel sichtbarer als etwa in Kenia, erklärte Thielke. Deutlicher sind sie in Namibia. Repräsentanten der Nachkommen eines Genozids an Hereros und Namas klagen gegen die Bundesrepublik. Sie fordern auch Entschädigungen für Enteignungen zugunsten deutscher Siedler in der Zeit von 1885 bis 1915. Nach der Niederschlagung des Herero Aufstandes erklärte Lothar von Trotha das Volk für nicht mehr existent. Folglich konnten Hereros kein Land besitzen. Das wirkt sich bis heute aus.

Zimmerer erläuterte, wie sich das kolonialistische Selbstverständnis im 20. Jahrhundert wandelte. Hitler habe Russland „zu unserem Indien“ und die Wolga „zum deutschen Kongo“ erklärt. Großer Pluspunkt – keine britische Marine könne sich dem Deutschen Reich auf dem Weg nach Russland entgegenstellen.

„Wir müssen nicht übers Meer.“

Nach Afrika musste man übers Meer. Das trieb die Reeder an. Die Woermann-Linie hatte ein Monopol auf deutsche Truppentransporte. So rentierten sich die Freiheitsbestrebungen und Verzweiflungsakte auf einem anderen Kontinent. Bis hin zu den Zuhälterkalkulationen auf der Reeperbahn war die Verschiffung von Soldaten ein Geschäft.

„Die kolonialen Verbrechen vollzogen sich ungeniert vor der Weltöffentlichkeit“, schloss Zimmerer seine erhellenden Ausführungen.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick