Die Meisterin seiner Sprache

Interview Ursula Gräfe übersetzt die Bestseller des japanischen Autors Haruki Murakami. Nun übertrug sie dessen Opus magnum Mister Aufziehvogel erstmals direkt aus dem Japanischen

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Haruki Murakami
Haruki Murakami

Foto: Henning Bagger/Scanpix Denmark/AFP/Getty Images

Jan C. Behmann: Thomas Bernhard sagte, ein übersetztes Buch sei wie ...
Ursula Gräfe: ... eine Leiche. (lacht)

Haben Sie zuhause eine Kühlkammer für die Übersetzungen oder wie stehen Sie zu Bernhards These?
Die Einschätzung teile ich natürlich nicht. Denn wenn man so anfängt, dann kann man das Übersetzen auch lassen. Es gibt durchaus sehr viele, sehr lebendige Übersetzungen. Die, da mag Bernhard recht haben, immer etwas entbehren, was das Original transportiert. Das liegt nicht immer an der Übersetzung, sondern auch am Leser, der einen anderen Hintergrund hat, als der Leser des Originalwerkes. Besonders wenn man von Werken aus Japan, China und außereuropäischen Ländern ausgeht.

Würden Sie sagen es gibt eine wirkliche Übersetzung oder ist es ein fremdsprachlicher Hybrid, der da entsteht?
Das stimmt, es ist ein fremdsprachlicher Hybrid. Weil Japanisch oder auch Chinesisch so entfernte Sprachen sind, brauche ich als Übersetzerin viel Einfühlungsvermögen, einen ähnlichen Ton und eine passende Atmosphäre zu kreieren.

Könnte man einen Text 1:1 übersetzen?
Sie meinen integral, Wort für Wort? Das ginge, wäre aber nicht mehr verständlich.

Musik trägt den Übersetzerinnenalltag

Sie haben Haruki Murakamis Mr Aufziehvogel erstmalig direkt aus dem Japanischen übersetzt. Wie kam es dazu?
Bisher lag nur eine Version aus dem Englischen vor. Ich habe auch den Roman Gefährliche Geliebte (neuer Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne) neu und direkt aus dem Japanischen übersetzt. Es gab wohl viele Anfragen von Lesern und da Mr Aufziehvogel das einzige Werk Murakamis war, welches nicht aus dem Japanischen ins Deutsche übertragen war, lag es wohl nahe, dies nun zu beauftragen.

Ich las, Sie bräuchten für einen großen Roman circa 12000 Stunden. Wie lange haben Sie für den Aufziehvogel mit 1000 Seiten gebraucht?
Das kann ich so genau gar nicht sagen, da ich zwischendurch noch etwas anderes gemacht habe. Im Oktober 2019 habe ich den Vertrag unterschrieben und Mitte August 2020 den Text beim Verlag abgegeben.

Wie fühlt man sich dann?
Nicht außerordentlich anders. Man denkt ein wenig „Huch!“.

Gibt es auch schlechte Tage?
Bei mir wirklich selten. Manchmal denke ich, an was anderes gehen zu wollen.

Der Verlag sendet Bücher statt PDF

Wie sieht genau Ihr Arbeitsalltag aus?
Ich stehe in der Regel früh auf, so gegen sechs halb sieben und arbeite bis abends.

Murakamis Texte sind oft von Musikthemen getragen. Hören Sie dann Musik aus dem Buch oder etwas anderes?
Aus dem Buch! Aktuell habe ich eine Geschichte von Murakami übersetzt die heißt Charlie Parker plays Bossa Nova. Die ganze Zeit habe ich Bossa Nova gehört. (lacht)

Ging es dadurch noch besser?
Weiß ich nicht, ich denke aber schon.

Per Kopfhörer?
Nein, beschallt im Raum.

Nachts arbeiten Sie gar nicht, oder?
Nein, nachts kann ich nicht gut arbeiten.

Was erreicht Sie als Übersetzungsvorlage?
Bei Murakami sind es in der Regel Bücher, keine digitalen Erzeugnisse.

Wie geht Übersetzen?
Ich lese ein paar Sätze durch, denke darüber nach und schreibe dann die Übersetzung nieder.

Sie lesen das Buch nicht erst einmal ganz durch?
Nein, das habe ich früher gemacht. Diese dann folglich vielen, viele Überarbeitungen strengen zu sehr an. Jetzt übersetze ich es so, als wenn ich es das erste Mal lesen würde und das macht es spannend.

Murakami antwortet, sofort

Wann ist der Tag für Sie gelaufen?
Wenn man Sorgen hat.

Martin Suter erzählte eine Übersetzerpanne: Der Protagonist hatte eine Alkoholfahne und rausgekommen war aber eine Standarte am Auto. Suter konnte die Übersetzung lesen und fragte dann den Übersetzer, warum er ihn nicht gefragt habe. Der war aber gar nicht auf die Idee gekommen, da Suter der erste lebende Autor des Übersetzers gewesen war. Fragen Sie bei den Autoren nach?
Ja, wenn mir etwas nicht klar ist, schreibe ich Murakami eine Email.

Er hat wirklich eine eigene Emailadresse?
Ja. Er oder seine Assistentin, antworten sofort. Wenn die Assistentin im Urlaub ist, dann er.

Hat Murakami eine Fantasieemail?
Ja, es ist eher ein Pseudonym.

Sie korrespondieren in Japanisch oder Englisch?
Englisch. Das ist notwendig, da dabei auch Dritte mitlesen müssen, die kein Japanisch lesen können. Und mir persönlich ist es auch sicherer, um Missverständnisse zu vermeiden.

Die Geschichte des Sturmbandführers

Gab es bei Ihnen Übersetzungspannen?
Ja, da gab es eine Figur, die „Sturmbannführer“ hieß und ich habe daraus „Sturmbandführer“ gemacht. Das Buch wurde dann im Literarischen Quartett besprochen, und ich hatte so eine Angst, aber sie haben es nicht angesprochen. Es wurde sogar in der Frankfurter Rundschau gemutmaßt, ob das ein Witz war. Und es gab noch einen zweiten Fehler: In den Romanen Q1084 kommt eine Sekte vor und die habe die fälschlicherweise als „Zeugen Jehovas“ übertragen.

Wie fanden die Zeugen Jehovas das?
Die haben es nicht gemerkt, aber Murakami. Irgendjemand hat ihm das gemeldet. Er hat dann ganz freundlich gebeten das zu ändern, da er es so nicht meinte. Ich habe mich kniefälligst entschuldigt und der Verlag hat es in allen späteren Ausgaben geändert.

Wie nehmen Sie Murakami im Umgang wahr?
Ganz normal. Er entspricht einem Japaner seiner Generation.

Was zeichnet diese Generation aus?
Sie sind sehr höflich, drängen sich nicht in den Vordergrund und verfügen über eine gewisse Bescheidenheit.

Differente Wirklichkeitsauffassung

Manche Chinesen lernen für den Faust Deutsch. Sollten wir für Murakami Japanisch lernen?
Ich denke, dass ist für Murakami nicht nötig. Er pflegt einen nicht-experimentellen Schreibstil. Ihm ist die Geschichte wichtig.

Wie unterscheidet sich die Wirklichkeitsauffassung von uns und Japanern?
Die unterscheidet sich stark. Es ist eine generell andere Einstellung zur Umwelt. Alles ist irgendwie lebendig und, interessanterweise, gleichwertig. Dieses Herausgehobene des Menschen, empfinde ich bei Japanern nicht so stark.

Ist die Gefühlswelt damit eine andere? Oder auch die Emotionsausschläge?
Ja, das denke ich. Das Exaltierte ist eher weniger akzeptiert oder nur in bestimmten Räumen.

Ist Murakami etwas für Menschen, die die Bodenhaftung im Alltag leicht verlieren?
Das kann ich schwer sagen. Was ich immer höre und auch selber so empfinde, dass sein Werk immer etwas Ermutigens und Tröstliches hat. Man fühlt sich besser und mehr aufgehoben in der Welt.

Im Schreiben ist er glücklich

Sind die Protagonisten sein Alter Ego?
Ich denke, ja.

Er ist Einzelkind und hat keine Kinder?
Ja, wie es bei seinen Figuren auch der Fall ist.

Ist er ein glücklicher Mensch?
Vermutlich ist er kein überschäumend glücklicher Mensch. Ich denke, er ist im Schreiben glücklich.

Hat sich Murakamis Stil in den letzten Jahren geändert?
Ja, er ist gewachsen, eindeutig. Beim Aufziehvogel habe ich das gemerkt. Es ist sprachlich noch nicht ganz so ausgefeilt, wie in späteren Büchern. Er ist nun mehr Meister seiner Sprache.

Warum wurde der Titel von Mr Aufziehvogel zu Chroniken des Aufziehvogel geändert?
Das ist der neuen Übersetzung geschuldet. Einen „Mister“ gibt es da gar nicht, sondern „Herr Aufziehvogel“ ist der Spitzname des Protagonisten. Die Chroniken sind aber nicht von dem und daher war der Titel eigentlich nicht korrekt.

Führt ein Weg nach Stockholm?

Er hat über fünfzig Übersetzer weltweit. Wie schafft er das zu händeln?
Er hat eine gute Mitarbeiterin, die viel für ihn erledigt. Er selber will oder schafft das sicherlich zeitlich gar nicht.

Würden Sie gerne mit nach Stockholm fahren, wenn er den Nobelpreis erhalten würde?
Wenn er ihn bekäme, natürlich. Ich bezweifle es aber. Aktuell hat Ishibudo den Preis bekommen. Ich denke, Murakami ist zu erfolgreich und es kommt doch selten vor, dass Weltbeststellerautoren den Nobelpreis bekommen.

Ursula Gräfe wurde in Frankfurt am Main geboren und studierte an der dortigen Universität Japanlogie. Seit 1988 arbeitet sie als hauptberufliche Übersetzerin und überträgt seit Jahren das Werk von Haruki Murakmi und anderen japanischen Autoren ins Deutsche. Gräfe lebt in Frankfurt am Main.

Haruki Murakami: Die Chroniken des Aufziehvogel, übersetzt von Ursula Gräfe, Dumont Verlag 2020, 1004 Seiten, 34€

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