Freies WLAN oder Berlin, dein Wille geschehe. Nicht.

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Als ich vor Jahren nach Kreuzberg zog, war meine erste Bezugsquelle für Internet zunächst der "Freifunk". Zumindest bis unsere Leitung endlich gelegt wurde, was für die hiesigen Anbieter vor allem ein Problem darstellte, weil unser Haus, ein Eckhaus, zwei Postleitzahlen besaß. An so etwas darf man als Dienstleister in Deutschland scheitern, schließlich leben wir in einer Dienstleistungsgesellschaft und in keiner Servicewüste.

Zurück zum Freifunk, dessen Organisator sich sogar die Mühe machte, uns zu erklären, wie und wo wir was genau aufstellen müssten, damit wir Internet bekämen. Und dass auch bald unsere Kirchen strahlen würde. Nicht heilig, sondern WLAN. Diese Art der Umnutzung gefiel mir. Und für einen Moment nutzte ich den Freifunk mit dem Vergnügen bei etwas großem Kleinem dabei zu sein.

Allerdings muss ich zugeben, dass mit dem Einzug unseres eigenen WLANs und dem dazugehörigen Router, mit dessen Konfiguration man heute noch immer mal wieder besinnliche Nachmittage verbringen kann, auch das Interesse am Freifunk erlosch. Ab und zu hörte man noch etwas, manchmal bat er sich als Option in den verfügbaren Netzwerken an, doch das war es. Ich, ein Ignorant. Oder sie, ein gescheitertes Projekt. Ich war mir nie ganz sicher.

Schließlich hatte unterdessen auch die Stadt Großes im Sinn: WLAN für alle. Und wenn die Stadt mal will, ist unter Umständen nur noch wenig Platz für semiprofessionelles, dezentrales Tüfteln einiger Geeks. Jetzt ging es um Geld, Prestige und Arbeitsplätze. Alternativen: nicht gefragt.

Gestern aber liest man nach Jahren des Wartens das vermeintlich Undenkbare. Die Wirtschaftsverwaltung der Stadt teilt den Bürgern mit:

„Der Senat beschließt, die Durchführung eines Wettbewerbsverfahrens zur Errichtung eines privat finanzierten und betriebenen öffentlich zugänglichen WLAN im Berliner Innenstadtbereich unter exklusiver Nutzung der öffentlichen Verkehrsanlagen (Lichtmasten der Straßenbeleuchtung und Lichtsignalanlagen) nicht weiter zu verfolgen.“

Dazu heißt es auf Netzpolitik:

"[.] Vier von fünf Parteien, die allesamt WLAN für Berlin fordern. Und der Senat scheitert an diesem Vorhaben."

Wer hätte das über den Berliner Senat gedacht? Warum indes aktiv gescheitert wurde, scheint niemand so genau zu wissen. Es darf aber gemutmaßt werden, dass man sich innerhalb der Koalition nicht ganz grün war, bekanntermaßen immer ein gutes Argument für Schlussstriche jedweder Art.

Das ist aber zumindest langfristig irrelevant, als dass Berlin - vor allem die Bürger - ein Netz für alle und überall will. Diese Nische ist real existent. Es stellt sich also mehr die Frage, wer sie wann füllen wird.

Es bleiben im Gros zwei Alternativen: Die Stadt nimmt es selbst in die Hand und streicht das "privat finanziert" aus obiger Meldung, oder aber die Freifunkler und ähnliche Projekte werden bezuschußt und erhalten so die Möglichkeit, diese Versorgungslücke effektiv zu schließen. Machbar ist wohl beides, nur wäre es langsam an der Zeit. Zu befürchten bleibt allerdings, dass hierzu noch ein paar IT-Gipfel bzw. Wahlen ins Land ziehen müssen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

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