Die Opposition hofft noch

Polen Zwei Monate vor den Parlamentswahlen gehört nun auch eine Linksallianz zur Phalanx der PiS-Herausforderer
Ausgabe 33/2019

Von politischer Sommerpause kann in Polen keine Rede sein. Eine schrille Debatte, verbunden mit Akten der Gewalt, durchzieht das Land. Ausgelöst wurde sie laut der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) durch die „LGBT-Ideologie“, gemeint sind unter anderem lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Menschen. Hört man auf die Opposition und die LGBT-Organisationen ist der Kampf gegen Diskriminierung das Entscheidende. Ende Juli griffen bei einer Gleichheitsparade im ostpolnischen Białystok LGBT-Gegner die Teilnehmer an und verletzten mehrere von ihnen. Die PiS polemisierte: Die LGBT-Bewegung sei eine „Bedrohung für unsere Identität und Nation“, so Parteichef Jarosław Kaczyński. Die regierungsnahe Gazeta Polska legte ihren Heften einen Aufkleber bei: „LGBT-freie Zone“. Verstärkt fand sich die Anti-LGBT-Front von der katholischen Kirche, Erzbischof Marek Jędraszewski nannte LGBT-Aktivisten eine „rote Seuche“. Umfragen belegen eine wachsende Intoleranz. „Es reicht ein Funke, damit es zum Ausbruch von Hass kommt“, schrieb Piotr Pytlakowski im Magazin Polityka und sprach von einer „Stimmung vor dem Pogrom“.

Das scheint der PiS offenbar ganz recht, denn voraussichtlich am 13. Oktober werden der Sejm und Senat gewählt, weshalb die Partei die ihr verbundenen Wähler mobilisiert, die traditionelle Werte gefährdet sehen – oder sehen sollen. Sich in Stellung zu bringen, ist aus Sicht der Regierung nötig, denn die Opposition hat sich neu aufgestellt. Und es scheint so, als sei nach der Europawahl, bei der die PiS mit über 45 Prozent triumphierte, eine Mehrheit für die nunmehr drei Oppositionsblöcke denkbar.

Der bedeutendste davon ist die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), die zur EU-Wahl eine Europäische Koalition geschmiedet hatte, diese aber inzwischen aufgab und die postkommunistische Allianz der Demokratischen Linken (SLD) aus ihrem jetzt als Bürgerkoalition (KO) firmierenden Bündnis verstieß. Die SLD hat daraufhin eine Koalition mit Parteien geschmiedet, die wie sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden, wollten sie allein antreten, darunter die linksliberale Wiosna des homosexuellen Politikers Robert Biedroń sowie die basislinke Partei Razem. „Die Linke hat Chancen auf ein zweistelliges Ergebnis, da es im Land genug linke Wähler gibt“, schreibt der Politologe Rafał Matyja. „Die Frage bleibt, ob man zu einer einheitlichen Plattform findet.“ Damit könnte die Linke womöglich dazu beitragen, die PiS von der Macht zu verdrängen – im Verbund mit der KO und dem dritten Koalitionär, der Bauernpartei PSL und ihrer kleinen konservativen Koalition Polska.

Die drei Blöcke kommen in einer repräsentativen Umfrage von Ende Juli zusammen auf gut 50 Prozent (30 Prozent für die PO, elf für die Linke, neun für die PSL), während die PiS beim Wert 46 steht. Sollte die Momentaufnahme auch das Wahlergebnis sein und der nationalistische Block „Konfederacja“ unter fünf Prozent bleiben, könnten die Tage der PiS-Regierung gezählt sein.

Der Premier gibt sich links

Um das zu verhindern, hat Premier Mateusz Morawiecki zuletzt starke sozialpolitische Akzente gesetzt und sich auf diesem Feld wie ein „verdeckter Linker“ präsentiert. Mit ihm spricht die PiS Verlierer einer ab 1989/90 beschleunigten Transformation an, die sich stets im Stich gelassen fühlten. „Die wirtschaftlichen Veränderungen in Polen haben die Interessen von Millionen von Menschen nicht berücksichtigt“, so Jarosław Kaczyński bei Wahlkampfauftritten. Man wolle einen Mindestlohn einführen, Steuerfreiheit für unter 26-Jährige, ein angehobenes Kindergeld. „Mit ihrem national-sozialen Programm hat die PiS einen Teil der Wähler der Linken vereinnahmt“, konstatiert die liberale Gazeta Wyborcza.

Freilich können die unter manchen Geburtswehen entstandenen drei Allianzen der PiS nur gefährlich werden, wenn sie mit klarem Profil antreten. Die Linke, vermerkt der Politologe Michał Sutowski, könne nun „sozial-progressiv-ökologische Themen“ darbieten, die für andere Oppositionsparteien obsolet seien. Sie könne für progressive Steuersätze werben, für den Bau von Sozialwohnungen, ein liberalisiertes Abtreibungsrecht und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Schließlich ist das soziale Gesicht der PiS nur die eine Seite der Medaille, die andere spiegelt eine ins Autoritäre drängende Partei, die sich demokratiefeindlicher Mechanismen bedient wie in Ungarn die Fidesz von Viktor Orbán. Kaczyński lässt keinen Zweifel: „Vielleicht noch nicht nach dieser Wahl, doch es wird eine Zeit kommen, in der wir die Verfassung ändern, um eine wirkliche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit zu gewährleisten.“ Für die einen klingt das verheißungsvoll, für andere bedrohlich. „Die PiS-Politik ist sehr nahe an faschistischen Projekten der Zwischenkriegszeit“, meint der Publizist Jacek Żakowski. „Das bedeutet: eine starke ethnische Gemeinschaft, verbunden mit einem starken Solidarismus. Wenn wir auf die Anfänge des Faschismus damals in Polen, Frankreich und Großbritannien blicken – ich mag gar nicht auf die radikalen Fälle wie Deutschland und Italien verweisen –, dann sehen wir, welche gefährlichen Machtmodelle möglich sind.“ Die Ausschreitungen gegen die LGBT-Minderheit bestätigen das, zugleich solidarisierten sich Menschen mit den Diskriminierten. Kurz nach den Vorfällen in Białystok kam es landesweit zu Protestmeetings. In Polen steht ein heißer Wahlherbst bevor.

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