Mehr Los wagen!

Alltagskommentar Viele Außenstehende belächeln die Kopten, weil sie über ihren Papst per Los entschieden haben. Dabei könnte dieses Verfahren einige Probleme lösen. Ein paar Vorschläge
And the winner is ... Die ägyptischen Kopten bei der Papst-Wahl
And the winner is ... Die ägyptischen Kopten bei der Papst-Wahl

Foto: Mahmud Khaled/AFP/Getty Images

Als die ägyptischen Kopten vergangenen Sonntag ihren neuen Papst bestimmten, sorgte der Weg der Entscheidung bei vielen Außenstehenden für irritiertes Kopfschütteln oder gar Belustigung. Und das nur, weil die christliche Minderheit ein uraltes Verfahren anwandte, das zielsicher zum gewünschten Ergebnis führte: das Losen. Hierzulande vor allem aus der Sportschau beim Suchen von Pokalspielgegnern bekannt, warfen die Kopten drei Kugeln mit den Namen der Papst-Kandidaten in einen gläsernen Kelch und ließen einen Jungen mit verbundenen Augen eine ziehen. Tawadros II. wurde so zum Oberhaupt gekürt.

Was Atheisten schnöde als Zufall bezeichnen mögen, ist für die Kopten "Gottes Wille". Bevor man nun aber mit aufklärerischer Verve gegen irrationale Rituale wettert, sollte man kurz innehalten und sich fragen: Warum sollte das Losen eigentlich ein schlechteres Verfahren sein als jene, mit denen in unserer Gesellschaft sonst Entscheidungen herbeigeführt werden?

Nehmen wir das meistdiskutierte Bauprojekt der vergangenen Jahre: Während bei der Neuerrichtung des Stuttgarter Bahnhofs vielen Bürgern lang nicht klar war, wer hier was und in wessen Sinne entschieden hatte, pochten die Befürworter auf bereits geschlossene Verträge, an die sie sich bei wachsenden Kosten aber selbst nicht mehr halten wollten. Statt einer langatmigen Schlichtung hätte man daher auch losen können. Die Übertragung der S21-Kugelziehung hätte Phoenix sicher noch bessere Einschaltquoten gebracht als die Heiner-Geißler-Show.

Endlagersuche mit der Lostrommel?

Potential hat das Los auch bei der Endlagersuche. Kein Bundesland, kein Landkreis will den Atommüll für die nächsten paar tausend Jahre nehmen, aber „irgendwo muss das Zeug ja hin“ (Winfried Kretschmann). Warum also nicht die Kandidaten in die Trommel werfen, dreimal kräftig herumwirbeln – und voilà, der Bundesumweltminister müsste nicht mehr mit einem Endlager-Suchgesetz drohen.

Auch die Spitzenkandidatenwahl der Grünen ließe sich so abkürzen. Wobei der Parteibasis allerdings viele Vorstellungsrunden mit schrägen Kandidaten und einigem Unterhaltungswert vorenthalten worden wären.

Bedenkenträger mögen anmahnen, das Losverfahren unterlaufe demokratische Prozesse, weil nicht alle Interessen angemessen berücksichtigt würden. Um dies zu entkräften, reicht allerdings ein Wort: Betreuungsgeld. Oder will jemand wirklich behaupten, die Entscheidung dafür sei rationaler zustandegekommen als jene in der Kairoer Kathedrale?

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