Über den Osten reden oder doch lieber schweigen?

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Lieber Tom,

ich antworte Dir stellvertretend für all die Blogs, die in den letzten Tagen zu meinem Leitartikel "Raus aus dem Untergrund" hier erschienen sind.

Ich bin mit Deinem Blog in allem einverstanden und doch frage ich mich, warum Du das Gefühl hattest, noch einmal auf meinen Text (und auch die anderen mittlerweile erschienenen) einzugehen. Also antworte ich Dir ganz im Sinne einer Frage, die für mich weiterhin offen ist.

Woher kommt die Wehr, im Zusammenhang mit der "Zwickauer Zelle" nach den ostdeutschen Wurzeln solcher Taten zu fragen?

Auch Jakob Augstein ist ja für seine Äußerungen, wie ich finde sehr zu unrecht, hier scharf kritisiert worden.

Ich glaube inzwischen, dass sich dahinter ein Unmut artikuliert, der größer ist und der damit zusammenhängt, wann wir über den Osten sprechen. Und in der Tat, da gibt es eine Schieflage, da gibt es vorschnelle Reflexe, den Rechtsradikalismus schnell den Ostdeutschen in die Schuhe zu schieben. Im Sinne, Schuldige zu suchen und zu finden. Ich aber führe keine Schulddebatte, ich suche nach den Ursachen. Aber klar, wir reden dann über den Osten, wenn etwas schief gegangen ist. Das halte ich ebenfalls für falsch. Und ich arbeite daran, dass dieser Blick auf einen Teil des Landes sich weitet.

Ich kann nur für mich sprechen und nur von mir handelt dieser Blog: ich spreche immer über den Osten oder versuche, in vielen Themen die ostdeutsche Perspektive zu finden. Ja, weil ich glaube, dass es in beinahe allen Themen eine ostdeutsche Perspektive gibt, die sich von der westdeutschen unterscheidet. Es mag auch in Dortmund Rechtsradikale geben. Diese Geschichte muss auch erzählt werden, aber es ist eine andere als jene, die in Jena und Zwickau passiert und passiert ist.

Beinahe alle Geschichten aus Jena sind anders als die aus Dortmund.

Vielleicht liegt darin unser Missverständnis: ich spreche auch über den Osten, wenn es um Robert Enke, Angela Merkel oder Michael Ballack geht. Ich spreche über den Osten, wenn es um das Verhältnis zu Politik, zu Arbeit, zu Gesellschaft, zu Heimat, zu Macht, zu Geld, zu Kunst geht. Ich spreche sogar über den Osten, wenn es um Fragen wie Kindererziehung, Generationenverhältnis oder, ja, vielleicht sogar Liebe geht.

Ausgerechnet bei dem Thema Rechtsradikalismus zu schweigen, das würde ich mir nicht verzeihen. Das würde für mich bedeuten, an der falschen Stelle den Mund zu halten. Gleichwohl ich weiß, dass nun auch jene wieder über den Osten reden, die das normalerweise nie tun.

Also, noch einmal, ich bin in vielem Deiner Meinung, die Defizite des ostdeutsches Diskurses liegen offen zutage. Wir sollten aber über diese Defizite auch sprechen, wenn es um andere Themen gibt. Sonst arbeiten wir weiter an jenem Missverständnis, dass sich nun auch zwischen uns aufgetan hat und von dem ich glaube, dass es zwischen uns eigentlich grundsätzlich gar nicht besteht.

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