„Das nervt mich“

Berlin Über Andrej Holm, den Rücktritt, die Stasi und das Twittern: Jakob Augstein im Gespräch mit Michael Müller
Ausgabe 03/2017
Andrej Holm hat seit dieser Woche keine politischen Probleme mehr. Michael Müller schon
Andrej Holm hat seit dieser Woche keine politischen Probleme mehr. Michael Müller schon

Fotos: Marc Beckmann für der Freitag

In Berlin ist die rot-rot-grüne Regierung noch keine hundert Tage im Amt, da steckt sie bereits in einer Koalitionskrise: Auf Druck von SPD und Grünen musste der Bau-Staatssekretär und Gentrifizierungskritiker Andrej Holm zurücktreten. Die Linkspartei ist darüber schwer verärgert. Holm war vorgeworfen worden, über seine Verpflichtung als Stasi-Offizier nicht die volle Wahrheit gesagt zu haben.

Jakob Augstein: Herr Müller, warum haben Sie verlangt, dass der Bau-Staatssekretär Andrej Holm zurücktreten muss?

Michael Müller: Das hat er sich ganz wesentlich selbst zuzuschreiben. Wir haben ihm als Koalition eine Chance zur Mitarbeit eingeräumt. Es gab keine Vorverurteilung für das, was er in jungen Jahren getan hat. Aber wie Holm mit dem Thema umgegangen ist, seine Stellungnahmen in den letzten Wochen oder auch seine Rücktrittserklärung vom Montag – das trieft vor Selbstgerechtigkeit. An dieser Stelle haben viele in der Koalition, nicht nur führende Kräfte der SPD, gesagt: Das geht so nicht, dass er nicht erkennt, dass er auch in einer Bringschuld ist.

Gibt es Vergangenheiten, die nie vergehen?

Das war nicht der entscheidende Punkt. Man muss mit dem Thema Stasi-Vergangenheit sensibel umgehen. Daran hängen auch noch viele Biografien. Es gibt viele Menschen, die haben in der DDR unter der Stasi gelitten und die nehmen das auch heute noch sehr bewusst wahr, wie selbstkritisch jemand mit so einem Lebensweg umgeht und ob er daraus gelernt hat. Ich sage aber auch: Dafür muss man einen Menschen nicht ein Leben lang bestrafen. Aber ich kann auch von jemandem, der Staatssekretär werden möchte und damit Verantwortung für andere übernimmt und auch eine Vorbildfunktion hat, erwarten, dass er mit der Dummheit, die er mit 18 Jahren begangen hat, transparent und selbstkritisch damit umgeht. Dass er sagt, er hat verstanden, dass das viele Menschen bewegt und dass da auch viel Leid und Unrecht passiert ist. Und er darf nicht bewusst falsche Angaben einem öffentlichen Arbeitgeber gegenüber machen.

Zur Person

Michael Müller ist als Regierender Bürgermeister von Berlin Chef der rot-rot-grünen Koalition. Unter seinem Vorgänger Klaus Wowereit war Müller lange SPD-Fraktionschef und anschließend Senator für Stadtentwicklung.

Was hätte er denn tun müssen, um im Amt bleiben zu können?

Von Anfang an sagen, was ist. Bei der Berufung schon sagen, auch den Linken gegenüber, dass es diese Einstellungssituation bei der Humboldt-Universität gab. Spätestens aber in der öffentlichen Auseinandersetzung sagen: Ja, da ist ein Fehler passiert. Ich entschuldige mich dafür, das hätte nie passieren dürfen.

Sie halten ihn aber nicht selbst für einen Täter.

Das kann ich nicht beurteilen. Ich versuche seriös mit dieser Geschichte umzugehen, ohne Vorverurteilung. Aber immer dieser Ukehrschluss: Er war ja erst 18 Jahre alt, er kann ja nichts dafür. Das nervt mich.

Das meinte ich nicht.

Aber es spielt schon eine Rolle. Es war eine bewusste Entscheidung von Holm, zum MfS zu gehen, die drei Kreuze auf dem Personalbogen der Universität zu machen, ein Interview zu geben oder sich nicht zu entschuldigen. Diese Entscheidungen hat er so getroffen, dass es für uns nicht politisch tragbar war, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Wenn Sie in Berlin eine Koalition mit der Linkspartei eingehen, werden Sie immer den Gegenwind der konservativ-reaktionären Kräfte haben. Sind Sie nicht zu schnell eingeknickt?

Ob wir Gegenwind bekommen oder Konservative uns mögen – das ist nicht relevant für die Frage, ob wir eine Koalition miteinander machen können. Die rot-rote Koalition, die wir 2001 eingegangen sind, hat gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Es hat damals eine Präambel im Koalitionsvertrag gegeben, die hat bundesweit Aufsehen erregt, weil sie ganz eindeutig das DDR-Unrecht benannt hat. Und wir haben gemeinsam den Gegenwind ausgehalten. Aber die Frage ist: Sind die Repräsentanten von Rot-Rot und jetzt Rot-Rot-Grün glaubwürdig mit dem, was sie tun? An dieser Stelle sind wir bei Andrej Holm zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Man kann es auch so sehen: Holm wurde in einem Machtkampf verheizt.

Das ist nachträgliche Legendenbildung. Jeder kann ja Holms Rücktrittserklärung nachlesen, sie steht online. Er hat angeblich alles richtig gemacht und die anderen fechten auf seinem Rücken einen ganz bösen Machtkampf aus. So funktioniert es nicht. Gerade wenn Rot-Rot-Grün mit nur 52 Prozent der Stimmen einen Neustart machen und auf Augenhöhe miteinander regieren will, dann muss ich auch Selbstkritik einfordern können. Die Linke hat einen Personalvorschlag gemacht, den sie nicht rechtzeitig und gut geprüft hat. Sie hat der SPD und den Grünen damit viel zugemutet. Als Koalition müssen wir die Möglichkeit haben, politisch zu reagieren, auch in der Stadtentwicklungs- und Mietenpolitik. Aber wie soll das mit einem Repräsentanten gehen, der politisch verbrannt ist? Diese Selbstkritik würde ich gerne hören. Sonst funktioniert gemeinsames Regieren auf Augenhöhe nicht.

Holms Name steht für vieles, was den Investoren ein Groll ist.

Als ob die gesamte Stadtentwicklung nur vom Staatssekretär Holm abhängen würde.

Er ist eine Symbolfigur.

Aber die Mietpreisbremse, die hat nicht er erfunden. Auch das Zweckentfremdungsverbot und das Mietbündnis mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht. Andrej Holm ist ein kluger Kopf, viele seiner Ideen in der Wohnungs- und Mietenpolitik sind bereichernd. Aber es sind auch viele gute Dinge vor ihm auf den Weg gebracht worden. Auch dass Holm sagt, er hoffe, dass trotz seines Rücktritts noch soziale Mietpolitik in Berlin möglich ist – was sagt das eigentlich über die Senatorin aus, die ihn berufen hat? Dass Katrin Lompscher und die Linkspartei gar nichts zu tun haben mit sozialer Mietpolitik?

Sie waren doch bestimmt schon mal in der Rigaer Straße. Da wurden im Sommer 2016 zwei Häuser abgerissen, obwohl sie unter Denkmalschutz standen. Da werden jetzt noch weitere Investorenobjekte hingebaut. Ist das nicht ein Symbol dafür, was in Berlins Innenstadt gerade passiert?

Was sie beschreiben, sind die letzten Zuckungen einer falschen Politik. Ich bin bereit zuzugeben, dass wir da zu spät umgesteuert haben. Wir haben Stadtentwicklungspolitik in einer Phase konzipiert, in der wir 100.000 freie Wohnungen hatten und der gegenwärtige Bevölkerungszuwachs nicht absehbar war, wo wir froh waren über jede Investition. Dann hat sich die Lage verändert. Berlin ist seit 2011 pro Jahr um 40.000 Menschen gewachsen. Die Mieten sind gestiegen und die freien Flächen sind weniger geworden. In den letzten fünf Jahren hat ein Umdenken in der Stadtentwicklungspolitik stattgefunden. Beispielweise, dass die Grundstücke nicht mehr nach Höchstpreisverfahren verkauft werden. Ein bedeutender Schritt, um Einfluss nehmen zu können auf Stadtentwicklung und Mietpreise. Es mag noch alte Bau- oder Abrissgenehmigungen geben, aber das Umsteuern zu einer grundsätzlich neuen Mietenpolitik – das hat schon stattgefunden und war richtig und überfällig.

Stellt sich das Thema Sicherheit anders dar als vor dem Anschlag am Breitscheidplatz?

Es ist ein Balanceakt der Politik: Wir können nicht die absolute Sicherheit garantieren. Aber wir können versuchen, das Risiko zu reduzieren, und zwar ohne dass wir dadurch unsere Freiheit einschränken. Denn das wäre das Verrückteste, wenn wir unsere Freiheit schützen wollen und sie dann selbst durch repressive Maßnahmen beschneiden. Ein Beispiel: Wir haben nicht gesagt, jeder öffentliche Platz muss mit Videokameras ausgestattet werden. Wir haben uns genau angeguckt, was nötig ist. Wir wollen nachjustieren, ohne über das Ziel hinauszuschießen.

Glauben Sie, dass Sie mit so einer differenzierten Sicherheitspolitik in so einer aufgeheizten Stimmung Erfolg haben können?

Wie lautet der Umkehrschluss? Ich muss den AfD-Quatsch erzählen?

Müssen Sie Ihre politischen Mittel und Strategien nicht auch an das sich verändernde Umfeld ananpassen?

Wenn Sie damit meinen, dass man schneller und besser reagiert, dann stimme ich Ihnen zu.

Sie könnten twittern.

Oh nein, ich will das alles nicht. Keine Mail auf mein Handy, kein Facebook, kein Twitter. Ich bin nicht zu dusselig, die Tasten zu drücken, das kriege ich schon noch hin. Aber wenn man das macht, dann setzt man sich selbst immer mehr unter Zeitdruck. Immer zu reagieren – auf jedes Thema. Ich will die Chance haben, mir etwas durchzulesen, jemanden zu fragen, zu überlegen – und dann erst gebe ich eine Stellungnahme ab.

Info

Der nächste Radio Eins und Freitag Salon findet am 6. Februar statt. Gast ist die Grünen-Politikerin Ska Keller

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