Auch wenn der sogenannte Islamische Staat die Verantwortung für den Anschlag von Nizza beanspruchte, gibt es bisher keine Hinweise, dass der Täter Mohamed Lahouaiej-Bouhlel direkten Kontakt mit der Terrororganisation hatte. Der 31-jährige Tunesier hat sich nach bisherigen Erkenntnissen vor der Tat vor allem durch das Internet radikalisiert. Sehr gut mit islamistischer Radikalisierung kennt sich Ahmad Mansour aus, der zu den wichtigsten Islamismus-Experten Deutschlands zählt.
der Freitag: Herr Mansour, überall in Europa wird über den Islam gestritten. Wer ist schuld: die Islamisten, die Fremdenfeinde, die Politik?
Ahmad Mansour: Die Frage ist nicht, wer die Schuld trägt, sondern welche Lösungen wir anbieten können. Einfache Thesen helfen uns nicht weiter.
Welche zum Beispiel?
Dass die Muslime unsere Gesellschaft kaputtmachen. Oder dass Ängste vor Islamisten unbegründet sind. Wir dürfen nichts bagatellisieren, sondern sollten in der Mitte der Gesellschaft diskutieren. Aber vernünftig. Über Anschläge und über Probleme in Schulen, auch über den Händedruck, den ein Berliner Imam der Lehrerin seines Sohnes verweigert.
Wieso ist der so wichtig?
Weil es um etwas Selbstverständliches geht, dessen Verweigerung frauenfeindlich wirkt. Darüber muss man reden. Ich weiß, was dahinter steckt – weil ich es selbst praktiziert habe.
Sie haben sich geweigert, Frauen die Hand zu geben?
Ja. Ich bin zwar in einer muslimischen Gesellschaft aufgewachsen, in der Männer und Frauen sich die Hand gegeben haben. Aber ich habe damit aufgehört, als ich radikal wurde. Ich glaubte, dass ein Kontakt zwischen Mann und Frau schon ein sexueller Akt sei.
Und heute ...
… lehne ich die Verweigerung des Handschlags ab. Weil es eine Handlung mit diskriminierendem Hintergrund ist.
… und Teil der Religionsfreiheit.
Nein, da geht es nicht um Religionsfreiheit. Wenn ich mein Gegenüber nicht mehr als Menschen wahrnehme, sondern als Sexualobjekt, dann ist das problematisch. Ob man das Gespräch dann gleich abbricht oder, wie in einem Kanton in der Schweiz, eine Geldbuße von 5.000 Franken verhängt, ist eine andere Frage. Zwang wäre nicht meine Herangehensweise.
Zur Person
Ahmad Mansour, 40, ist palästinensischer Israeli und wäre als 13jähriger beinah selbst radikaler Islamist geworden. Seit 2004 lebt der Psychologe in Berlin, er ist Programmdirektor der European Foundation for Democracy. Von ihm erschien: Generation Allah: Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen. (S. Fischer, 2015)
Sie wären beinah Islamist geworden. Wie ist das passiert?
Ich war 13 Jahre alt. Meine Eltern und Großeltern sind Bauern gewesen, ich musste viel arbeiten. In der Schule wurde ich gemobbt. Obendrein war ich ein Streber und konnte nicht gut Fußball spielen. Irgendwann habe ich es nicht mehr ertragen, dass meine Mitschüler mich stundenlang malträtierten. Meine Krise bemerkten aber nicht meine Eltern oder Lehrer, sondern ein Imam. Er hat mich auser-wählt.
Was heißt das?
Er hat mich sehr nett in seine Koranschule eingeladen, wo ich Freunde kennenlernte. Ich bekam das Gefühl, dass meine Krise zu Ende war. Ich fand Orientierung und Menschen, die sich um mich kümmerten. Anfangs ging es nicht um Ideologie oder Hass. Ich habe angefangen, die Geschichte meiner Vorfahren zu studieren. Ich habe Hocharabisch gelernt und den Koran erkundet. Erst nach und nach ist daraus eine Schule des Hasses geworden.
Hass gegen wen?
Eigentlich gegen alles, was angeblich unislamisch war. Wir lernten, Juden, Christen, Atheisten und Kommunisten zu hassen. Ich sollte meine Nachbarin hassen, die freizügig war. Oder einen Bekannten, der Alkohol trank. Ich begann meine Eltern zu hassen, weil sie nicht beteten, meine Mutter, weil sie kein Kopftuch trug.
Sie fanden einen Ausweg ...
Glücklicherweise. Aber ich war – heute kann ich das sagen – sehr verbohrt. Ich habe voller Überzeugung mitgemacht.
Die islamistische Ideologie als Ausweg aus der Krise?
Das ist sehr typisch. In unserer Beratungsstelle rufen Eltern an, deren Kinder sich radikalisieren. In den meisten Fällen handelt es sich um Jugendliche in einer Krise. Häufig fehlt ihnen eine Vaterfigur.
Ist Radikalisierung nicht vor allem ein soziales Problem?
Biografien von Muslimen, die Deutschland Richtung Dschihad verlassen, zeigen, dass das Problem milieuübergreifend ist. Die Kämpfer kommen aus allen Schichten. Und Islamismus gibt es auch im Ölstaat Saudi-Arabien, der allen Bürgern relativen Luxus ermög-licht. Er ist nicht allein durch Armut zu erklären.
Ist es gefährlich, dass Religion wieder wichtiger wird?
Ich finde es nicht problematisch, wenn Menschen religiös sind. Ich bin auch religiös. Nur ist das eine Privatsache zwischen mir und Gott. Aber wenn ich meine Religion ausübe, indem ich Andere oder die Werte der Gesellschaft ablehne, haben wir ein Problem.
Was ist die Ursache für die Renaissance der Religionen?
Es geht um Orientierung. In meiner Arbeit mit gekränkten Jugendlichen merke ich, dass sie Bedürfnisse haben, die eigentlich nicht religiös sind, auf die sie aber in der Religion Antworten finden: Orientierung, Halt, Struktur im Alltag. Sie leben in einer freien Welt, die ihnen unheimlich viele Entscheidungen abverlangt. Das Gerüst ihrer Religion hilft ihnen nun, Entscheidungen abzugeben. Sie haben plötzlich eine Mission, die sie auf-wertet und ihr Leben ordnet. Leider sind das dann oft extreme Ideologien.
Gibt es „den“ Islam?
Nein, mein Islam zum Beispiel hat mit dem Terror und der Geschlechterapartheid nichts zu tun. Aber mein Islam ist nun mal in der Minderheit. Es gibt viele Arten von Islam-verständnis. Das problematische ist leider weit verbreitet.
Wie sieht dieses aus?
Es ist ein Islamverständnis, das Opfer- und Feindbilder schafft. In ihm ist die Opferrolle für Muslime sehr wichtig. Es herrscht das Bild eines Gottes, der bestraft. Der immer sagt, wo es langgeht, ohne den Gläubigen das Nachdenken oder Hinterfragen zu erlauben. Es ist ein Islamverständnis, das autoritäre Systeme und patriarchale Strukturen unterstützt. Das alles führt mich als aufgeklärten Muslim zur Frage:
Wie kann ich den Jugendlichen von heute ein Religionsverständnis ohne radikale Tendenzen anbieten? Solange das nicht der Fall ist, werden wir weiter vor dem Rätsel stehen, wie das Ungeheuer Islamismus unter uns entstehen konnte und wie es Täter erschafft, die mit einem Lkw 84 Menschen zu Tode fahren.
Kann man gegen Radikalismus andiskutieren?
Diskutieren allein reicht nicht. Aber es ist wichtig. Wir brauchen so etwas wie eine angstlösende Pädagogik: Es muss möglich sein, mit Jugendlichen über ganz fundamentale, tabuisierte Fragen zu sprechen.
Zum Beispiel?
Die Angst vor Höllenstrafen. Die Angst vor der Sexualität – viele Jugendliche können, wenn überhaupt, ihre Sexualität nur unter enormen Schuldgefühlen ausleben. Wir brauchen auch Argumente gegen Antisemitismus und Verschwörungstheorien. Viele Jugendliche konsumieren in beängstigendem Ausmaß Verschwörungsideen.
Aber den Jugendlichen steht heute doch eine Fülle von Informationen zur Verfügung ...
In diesen Kreisen wird das Weltgeschehen nicht über öffentlich-rechtliche Medien bezogen, sondern über einen Mix aus Verschwörungstheorien und extremistischer Gegenöffentlichkeit im Internet.
„Der Islam gehört zu Deutschland.“ Verstehen Sie, warum sich Leute darüber aufregen?
Dieser Satz macht vielen Menschen Angst. Mich als Muslim hat es natürlich gefreut, von Christian Wulffs Wort an ganz offiziell Teil dieser Gesellschaft sein zu dürfen. Aber der Satz ist, ehrlich gesagt, auch zu allgemein. Ein Islamverständnis, das ohne Wenn und Aber hinter Menschenrechten und Demokratie steht, gehört definitiv zu Deutschland. Ein Islamverständnis, das undemokratische Werte in sich trägt, gehört nicht zu Deutschland.
Warum muss man das beim Islam so betonen – und nicht etwa bei Evangelikalen?
Wir reden ja jetzt gerade über den Islam. Und immer nur zu sagen, dass man Muslime nicht kritisieren soll, weil sie die Kritik nicht aushalten – das ist auch eine Form von Ignoranz. Es bedeutet, dass man Muslime nicht als gleichberechtigt ansieht. Sie ernst zu nehmen, heißt auch, ihre Probleme wahrzunehmen.
Wenn irgendwo ein Anschlag passiert, lautet der maliziöse Lieblingssatz des sogenannten Islamkritikers: „Das hat mit dem Islam nichts zu tun.“
Die Formel ist eine Anspielung auf den Zentralrat der Muslime, der ständig betont: „Das hat mit dem Islam nichts zu tun.“ Aber ganz ehrlich: Auch ich als Muslim bin mit dem Satz nicht zufrieden. Er delegiert die Verantwortung weg.
Wie lautet Ihre Alternative?
Ich muss mir als Muslim die Frage stellen: Wie konnte man unsere Religion für diese Taten instrumentalisieren? Wenn jemand sagt, Muslime seien wie wilde Tiere und nicht integrierbar, tut das der Debatte nicht gut. Aber wenn jemand behaup-tet, der Terror hätte nichts mit dem Islam zu tun, bringt uns das ebenfalls nicht weiter.
Was empfehlen Sie?
Wir müssen bereit sein, massiv zu investieren, sonst drohen uns französische Verhältnisse.
Was haben Frankreich und Belgien falsch gemacht?
Sie verschlafen die Integration seit 50 Jahren. Die Moscheen dort haben doch nicht erst vorgestern angefangen, den radikalen Islam zu predigen. Ich hoffe sehr, dass wir jetzt endlich wach werden. Wenn man Berlin anschaut, merkt man allerdings, dass auch hier eine gewisse Naivität herrscht.
Am Ende ist es auch die Revolte einer enttäuschten Jugend.
Auch das. Aber sie läuft in die falsche Richtung. Und das ist eine riesige Herausforderung, weil die islamistische Ideologie so leicht entzündbar ist und mit dem Internet eine neue Form der Verbreitung hat. Wir haben es mit einer Genera-tion zu tun, die ihre Diskussionen in sozialen Medien führt. Sind wir, die Zivilgesellschaft, dort präsent? Nein, gar nicht. Soziale Medien sind rechtsfreie Räume geworden, nicht nur unter Muslimen – auch bei Rechten. Da müssen wir aktiv werden.
Wie soll das gehen?
Wir brauchen digitale Sozialarbeit. Wir müssen Gegennarrative schaffen und den Jugendlichen Alternativen anbieten. Auch die Schulen und der Politikunterricht müssen sich darauf einstellen. Ich habe viele Lehrer erlebt, die nach dem Gazakrieg im Sommer 2014 völlig überfordert waren. Die Schüler wollen über aktuelle Nachrichten reden. Aber weder in Lehrplänen noch in der Lehrerausbildung ist dafür Platz.
Kann man ein ganzes Schulsystem auf den Kampf gegen den Islamismus ausrichten?
Das wäre sicher zu viel. Aber vergessen wir nicht, dass wir in vielen Städten in Schulen 50, 60, teils 80 Prozent Schüler islamischen Glaubens haben. Wir müssen ihnen glaubwürdige Angebote machen. Sonst holen sie sich ihre Infos woanders. Die landen bei Antisemiten und Radikalen, die die Welt in Schwarz und Weiß teilen.
Kommentare 14
Um dieses Interview zu fokkusieren: es ist nun fast 50 Jahre her und ich erinnere mich noch sehr gut daran, welche Energie und Beharrlichkeit mich meine Wehrdienstverweigerung gekostet hat. Ich hätte es sicherlich leichter haben können, wenn ich religiöse Grunde angegeben hätte. So musste ich damals als junger Wehrpflichtiger moralphilosophisch stichhaltig argumentieren, um dem Kriegsdienst zu entgehen.
Hören wir doch endlich auf, der Religion, jedweder Religion, solche Plattformen anzubieten. Religion braucht keine rationalen Einsichten oder Begründungen, es reicht wenn man glaubt. Wie bitte soll Glaube an irgendeine überirdische Allmacht Grundlage für das Weltverständnis sein können? Vielmehr Kritik an Religion im allgemeinen ist notwendig, damit wir uns endlich befreien von Märchengeschichten und damit der Ursache von religiös begründetem Terror entgegenstellen können. Religion befreit nicht, sie engt ein oder besser: sie vernebelt.
Wenn ein Minister seinen Eid auf die Verfassung schwört, warum bitte soll er auch noch den Zusatz..."so wahr mir Gott helfe"...anfügen müssen. Grundgesetz und Religion...nicht einer Religion soll Respekt entgegengebracht werden, sondern Menschen, die in einer freien Gesellschaft ohne religiöse Indoktrination leben dürfen. Was bitte hat der ans Kreuz geschlagene Jesus in einem Klassenzimmer zu suchen? Gleichzeitig gibt es Debatten darüber, ob Lehrerinnen oder...ein Kopftuch tragen dürfen. Heuchlerischer und religiös dominierter geht es nicht mehr.
Ich habe nun dieses Interview "entfremdet", doch einem so hervorragend gebildeten Islamwissenschaftler möchte ich sagen, dass der Religion viel zu viel Aufmerksamkeit zukommt und dies scheint auch der Grund zu sein, warum wir es mit solch fundamentalistischer Zerstörung zu tun haben. Es ehrt Herrn Mansour, dass er sich sehr kritisch mit seiner Religion auseinandersetzt, doch Religion bleibt im Kern Religion.
…eine Angelegenheit zischen mir und Gott. Was Herr. M glaubt, ist seine Sache und das habe ich nicht zu kommentieren. Dagegen gehen mir Menschen auf den Keks, die anderen dauernd vorschreiben wollen, dass sie den Lebenssinn oder ihre Kraft, nicht aus einem Glauben an etwas ziehen dürfen.
Aber natürlich haben wir uns mit Religion zu beschäftigen, da sie gerade wieder einmal im großen Stil missbraucht wird. In Pakistan ist es der Islam, in Indien der Hinduismus und in beiden Ländern (1,5 Milliarden Menschen) sind es unter anderem Feudalsysteme die vom Missbrauch profitieren. Und da es mit der aufstrebenden Wirtschaft nicht so funktioniert, wie versprochen, setzt auch Modi verstärkt auf die religiöse Karte. Umso wichtiger sind Experten wie M., die zu verstehen helfen, wie dieser Missbrauch funktioniert.
Ein I-Phone ist an sich eine gute Idee, wenn man es richtig nutz, aber in der Realität macht es mehr Menschen bala, bala als dass es ihnen hilft, das Ganze besser zu verstehen. Aber sagt irgendjemand man muss diese Dinger verbieten?
Wenn ich mir meine Freunde anschaue, die die Religion für sich nutzen, um daraus Sinn und Kraft zu schöpfen, bin ich schwer beeinddruckt. Beeindruckt von ihrer Toleranz, ihrem kleinen Ego und dem was sie für ihre Mitmenschen tun. Keiner von ihnen hat jemals versucht mich zu konvertieren. Zum Thema Ramadan haben sie alle die gleiche Meinung: Für sie persönlich macht er Sinn, weil sie sich auch intellektuell damit auseinander gesetzt haben und verstehen warum sie ihn machen. Allen „Muslimen“ die es nicht getan haben, raten sie dazu, lieber zu Schummeln, bevor sie ihn nur praktizieren, weil es der Gruppenzwang abverlangt.
Religion ist eine persönliche Angelegenheit zwischen dem Gläubigen und seinem Gott. Um die Probleme zu lösen, die der Missbrauch von Religionen verursacht, sind Menschen wie M. bitter nötig. Nicht die Religion an sich ist das Problem, solange sie eine persönliche Angelegenheit bleiben, sondern diejenigen die sie für ihre Zwecke Missbrauchen. In Pakistan klappt das sogar so gut, dass fast alle hiesigen Zeitungen mit ihrer Berichterstattung über winzige Ausschnitte mithelfen, dass diejenigen die den Islam benutzen, es im Hintergrund ungestört weiter tun dürfen. Jedes Jahr wird dort der Militärhaushalt vergrößert, schöpft eine korrupte Oberklasse den Rahmen ab, während ein funktionierendes staatliches Bildungs-Gesundsheitssystem weiter auf sich warten lässt. Und all die Verursacher der Probleme in Pakistan sind in der westlichen Welt willkommene Gäste, während die Opfer, als die eigentlichen Täter gebrannt markt werden – oder als Wirtschaftsflüchtlinge.
Mit dem Anreiz des Paradieses haben in den 80 Jahren auch die Amerikaner in Zeitungsanzeigen in der muslimischen Welt für den Jihad gegen die Sowjets in Afghanistan geworben. Nun sind es andere die im Internet für den Jihad werben.
Ohne Religion keine Probleme? Erstens gibt es Religionen und sie werden nicht morgen verschwinden und zweitens: Solange es Menschen gibt, wird es Missbrauch geben und nur anstrengende Aufklärung kann die Folgen mindern.
Danke für ihre mühselige Arbeit Sahib Mansour.
Danke für das Interwiev.
"Sie verschlafen die Integration seit 50 Jahren" und es ist "die Revolte einer enttäuschten Jugend" {...}
Die angesprochenen und diskutierten Themen und Fakten sind durchaus wichtig, aber:
Die Radikalisierung hat vor allem wirtschaftlichs-, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Ursachen. Ein Problem der Macht-, Herrschafts- und Kapitalverhältnisse in der jeweiligen Klassen- und Gesellschaftsordnung. So auch in der Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien - und überhaupt in Europa.
Hinter der religiösen Fahne des Propheten sammeln sich die -meistens unklaren- sozialen Erkenntnisse über die kapitalistische und imperialistische (reale) Ausbeutung als Quelle und Ursache der weltweiten Radikalisierung der Jugend.
Die Experten sollten die sozialen Ursachen der Radikalisierung -- auch hinter der vordergründigen religiösen Fahne -- benennen. Die Wurzel der (religiösen) Radikalisierung liegt in der sozialen und ökonomischen Ungleichbehandlung von Bevölkerungsgruppen, Minderheiten und auch ganzen Bevölkerungen. In deren -fortgesetzten und ungebrochenen- differenzierten Diskriminierung und wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ausgrenzung.
Da es weltweit keine nennenswerte sozialrevolutionäre Arbeiterpartei mehr gibt, suchen und finden vor allem junge Menschen ihre vermeintliche Alternative zur sozialen Befreiung unter religiösen Vorzeichen und sammeln sich unter der Fahne des Aberglaubens. Dieser Weg ist allenfalls ein irrationaler terroristischer Umweg, und beinhaltet keine (notwendige) sozialrevolutionäre perspektivische Befreiung von den kapitalistischen und imperialistischen Übeln dieser Welt.
Es bedarf einer sozialrevolutionären Partei, - keiner terroristischen Organisation, mit einer klaren sozial-ökonomisch-ökologischen Zielsetzung und Aufgabenstellung für die -zu recht ungeduldige- weltweite Jugend. ---
Es bedarf aber keiner bürgerlichen und rechtssozialdemokratischen und kapitalfaschistischen Integrationspartei. // Es bedarf einer sozialrevolutionären Emanzipationspartei der Jugend und (werktätigen und eigentumslosen) Bevölkerungsmehrheit.
In der Gesellschaftsordnung des Kapitalismus (demagogisch: "Soziale Marktwirtschaft") können die bestehenden ökonomischen, ökologischen und sozialpolitischen Probleme nicht gelöst werden.
Danke. Das haben Sie gut erklärt.
Ich möchte noch erweitern, dass sich keineswegs nur Religion missbrauchen lässt, sondern ebenso alle möglichen anderen Werte, an die Menschen glauben.
Im Kosovo haben wir für Humanität gebombt, in Afghanistan für religiöse Freiheit, Demokratie und Mädchenschulen (geht's noch blöder?).
Sobald Menschen (oberflächlich) an Werte glauben, können Interessierte mit diesem oberflächlichen Glauben, der häufig als Resultat eines Anpassungsbemühens zur Schau getragen wird, die anderen "wahren" Gefühle der Menschen ansprechen: Misstrauen, Fremdenfeindlichkeit, Machtausübungsgelüste etc., um Druck und Gewalt gegen andere auszuüben, bis hin zum Krieg.
Die Show-Tötungen, die bei uns häufig in z.B. der Tagesschau gezeigt wurden, bei denen ein Schwarzweißvideobild einer Drohne eine Straße mit Autos zeigt, dann plötzlich eine Staubwolke und kein Auto, das aus der Staubwolke heraus fährt, begeisterten auch mich spontan ähnlich, wie wenn ich vor einem Computerspiel sitze.
Ich glaube, dass die meisten Menschen da gar nicht mehr hinterfragen, was denn ihr christlicher Glaube zu dieser heimtückischen Tötung sagt, oder wie die Ideen der Aufklärung, der westlichen Werte, die sonst als Mindestanforderung für Bestrafungen eine Anklage, einen Anwalt, eine Verhandlung und einen Richter fordern, damit in Einklang zu bringen sind.
Die Bigotterie, mit der wir in Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen etc. tötend einfallen und aber dann den aufbrandenden (muslimischen) Terror anprangern, der zudem weit überwiegend Muslime trifft, ist atemberaubend. Das zeigt aber, dass alle Werte, bis hin zur Terrorbekämpfung (War on Terror), auch bei uns leicht missbraucht werden können, wenn sich die Schaltstellen der Macht (Regierung, Medien) einig sind.
"Die Radikalisierung hat vor allem wirtschaftlichs-, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Ursachen. Ein Problem der Macht-, Herrschafts- und Kapitalverhältnisse in der jeweiligen Klassen- und Gesellschaftsordnung."
Die Flugzeugpiloten von 9/11 oder auch die Londoner U-Bahn-Bomber waren Studenten aus guten Familien, die in der Fremde in die Selbstfindungskrise kamen, erkannten, dass sie in einer integrationsunwilligen Gesellschaft keine Hoffnung auf Selbstwert durch Spiegelung an der Gesellschaft haben, und die die Lösung dieses Problems mit neuen Werte- und Sinndefinitionen im terroristischen Islam mit seinen radikalen Methoden fanden.
Titel: Wenn ihr mich nicht innig lieben wollt, gebe ich euch Grund, mich innig zu hassen.
Man kann Kommunismus und Sozialismus mit Klassenfragen angehen, nicht aber Lebens- und Sinnkrisen von Teens und Twens.
…meiner Meinung nach.
Ihrer Meinung nach.
Aber auch Teens und Twens stehen nicht außerhalb der Klassengesellschaft. Ebenso wenig wie die Kinder und Studenten aus guten Familien.
Nicht nur in den Vereinigten Staaten gibt es Wohnorte, selbst wenn sie über persönliches Eigentum und Arbeitsvermögen verfügen, in denen sie mit der 'falschen' bzw. 'unpassenden' Hautfarbe keine Wohnung bekommen! Diese persönliche Erfahrung --der sozialen Ausgrenzung-- machen auch die Kinder der Wohlhabenden und Vermögenden.
In sozialrevolutionären (historischen) Organisationen waren (die vormaligen) Kinder der Bourgeoisie und Gutbürgerlichen -nicht gerade selten- zusammen mit Jugendlichen, Frauen und Männern, der sozialen Unterschicht*en, häufig organisatorisch, ideologisch und politisch führend tätig.
Übrigens, Friedrich Engels, - der Bourgeois und Handelskapitalist im 19. Jh., finanzierte mit seinem Privatvermögen, - auch aus seiner aktiven Beteiligung an der Ausbeutung von Arbeiter*innen, die wissenschaftliche Arbeit von Karl Marx und beförderte damit auch die Arbeiter- und soziale Befreiungsbewegung.
Merke: Nur aus den Quellen des materiellen Reichtums lassen sich die historischen und gegenwärtigen Ausbeutungsverhältnisse und die heute noch fortbestehenden Entfremdungsverhältnisse überwinden und beseitigen. [Und eben nicht durch idealistisches Gutmenschentum: Kosmetik fürs Kapital der Finanz- und Monopolbourgeoisie und quandtschen Hauptaktionäre.]
Und ich dachte, die Leute, die alles mit den sozialen Verhältnissen erklären wollen, würden auch zu den idealistischen Gutmenschen zählen.
"Solange es Menschen gibt, wird es Missbrauch geben und nur anstrengende Aufklärung kann die Folgen mindern."
"Ich möchte noch erweitern, dass sich keineswegs nur Religion missbrauchen lässt, sondern ebenso alle möglichen anderen Werte, an die Menschen glauben."
Ich glaube, dass wir uns in diesem Fall einig sind und würde deswegen gerne nochmal auf die Wichtigkeit der Arbeit von M. hinweisen.
Wie M. selber aufzeigte, wäre er mit etwas Pech einen anderen Weg gegangen und so geht es vielen Menschen einer bestimmten Gattung: Menschen, denen es nicht egal ist, was um sie herum passiert. Leider ist der Ausschnitt vom Ganzen den mal als junger Mensch hat, in der Regel ein kleiner. Zwei meiner pakistanischen Bekannten wurde in ihrer Jugend weisgemacht, das man den bösen Indern Kaschmir entreissen muß. Beide wollten sie etwas tun, sofort: Der eine schloss sich den "Freiheitskämpfern" an, um Inder zu töten, der andere der pakistanischen Armee. Dem einen wurden die Augen beim Sturm auf die rote Moschee in Pakistan geöffnet( Er hatte Glück, das er überlebte), der andere sah, worum es in der pak. Armee eigentlich geht: "Das Anhäufen von Grundstücken" wie er sagte. Beide sind sie mittlerweile engagierte Bürger, die Jugendlichen Orientierung geben wollen, bevor andere sie schnappen.
Ich habe in Nepal junge Männer mit der Waffe in der Hand gesehen, die glaubten sie machen Revolution und alle Menschen lieben sie. So viel Stolz kann man kaum in einem Gesicht eines jungen Menschens sehen. Stolz bis zur Verblendung, das man garnicht mehr mitbekommt, das die Menschen denen man die Revolution bringt, einem nur zustimmen, weil man eine Waffe in der Hand hat.
Ich möchte damit nicht alles und jeden Entschuldigen, einfach nur unterstreichen, wie wichtig soziale Arbeit mit jungen Menschen ist und damit die Arbeit von M.
"Ich möchte damit nicht alles und jeden Entschuldigen, einfach nur unterstreichen, wie wichtig soziale Arbeit mit jungen Menschen ist und damit die Arbeit von M."
Das ist das, was man im Kleinen machen kann.
Natürlich kommen die eigentlichen Probleme von den großen Strukturen. Afrika ist im Ganzen chancenlos, weil es in vielen benachteiligende Handelsverträge gebunden ist, die ihnen von geldgebenden Institutionen wie Weltbank oder/und IWF aufgezwängt wurden. Dort kann sich nur Korruption entwickeln.
Die Länder im Nahen Osten kennen seit der Kolonialzeit nur Besatzer, Diktatoren und sonstige Zwangssysteme. Die wenigen Male, wo dort Demokratie zu wachsen begann und tatsächlich dem Volk verpflichtete Regierungschefs im Amt waren, wandten sich diese gegen die Interessen der alten Kolonialmächte und wurden prompt geputscht.
Pakistan ist seit Bestehen auf Kriegsfuß mit Indien und mit Machtgelüsten auf Afghanistan. In Afghanistan gibt es alle paar Jahrzehnte Interventionen von außen oder wenigstens ausländische Interessenten, die Geld und Waffen ins Land schaffen. Ähnlich wie die letzen Jahre im Irak und in Syrien.
Gegen die äußeren Einflüsse ist jede Sozialarbeit unterm Strich zum Scheitern verurteilt, auch wenn einzelne vorzeigbare Erfolge vorgewiesen werden können. Diese Länder ermüden und zerbrechen an den äußeren Einflüssen, wenn sie nicht durch diktatorische Systeme im Innern stabilisiert werden. Unter diesen Bedingungen kann im Volk keine demokratische Kultur oder nur ein demokratisches Bewusstsein wachsen. Die Zivilgesellschaft besteht aus Individuen, die sofort wenn sie Macht erlangen, diese Macht gegenüber Machtloseren bis zur Neige ausüben und darüber hinaus.
Einige der Konflikte werde von unseren Medien, wenn die dortigen Machthaber nicht auf der richtigen Seite stehen wie in Syrien, extrem heroisiert. Das wird immer junge Menschen anziehen, die etwas aus der Bahn sind und die die Konflikte und die Nachrichten darüber nicht adäquat einordnen können. Die politische Bildung in Deutschland versagt an dieser Stelle absichtsvoll. Nicht dass die jungen Menschen in den Krieg sollen, aber dass die Politik Spielraum z.b für Waffenlieferungen bekommen soll, oder wie im Beispiel Kosovo, dass tatsächlich ein Kriegsgang parlamentarisch möglich wird.
Ebenso, wie die kommunistische afghanische Regierung in den 80ern an den vom Westen ausstaffierten Mudschahedin an der Modernisierung des Landes scheiterten, scheiterte danach der Westen an den von den Saudis und Pakistani unterstützen Taliban. All diese Länder sind für die Demokratie ungeeignet, solange die Einflussnahmen und die Geldgeber von außen nicht einhalten und sich die Machtverhältnisse im Innern selbständig auspendeln können, weil stets Situationen provoziert werden, die die ausländischen Geldgeber zu neuen Gaben anstacheln sollen.
Wenn in der Ukraine stets von der Korruption der Oligarchen die Rede ist, muss man verstehen, dass diese Oligarchen die beiden Revolutionen mitgetragen haben, weil sie noch mehr Geld ins Land brachten und jeder wusste, wenn nicht sie mit den Ausländern kooperieren, tut's ein anderer Oligarch und sie haben das Nachsehen.
Timoschenko und Jazenjuk oder jetzt der Nachfolger Groisman sind die ukrainischen Gesichter dieses Systems der ewigen Korruption im Namen der Korruptionsbekämpfung. Das Kosovo versinkt seit 25 Jahren darin.
Zu Ahmad Mansours Arbeit auch mein schon etwas älterer Beitrag (Fotos: Alex Völkel) über dessen Vortrag zu seiner Arbeit bzw. über eines seiner Bücher in der Auslandsgesellschaft NRW in Dortmund.
Ich fasse ihre Zeilen mal zusammen: Es sieht sehr schlecht aus auf der Erde.
Das Positive: Immer mehr Menschen sind fähig, den Gesamt-Zustand nüchtern zu erfassen – der erste Schritt zur Problemlösung. Das wird auch in den Debatten bei uns zwangsläufig da zuführen, dass eine oft genannte Phrase: „Was können wir denn dafür, wenn die ihre Länder nicht in Ordnung halten können“, weitgehend ausgehebelt wird. Das haben sie ja beinahe nüchtern, ohne viel Anklage, deutlich gemacht, was wir damit zu tun haben.
Die Frage, ob es denn reichen wird, dass am Ende „alles gut wird“ stellt sich für mich nicht.
Im Rahmen seiner Möglichkeiten tut M. sehr wichtige Arbeit und auch im Fall Pakistan tun es viele Menschen auf ihre Art (woanders ebenso). Leider ist halt nicht nachweisbar, wie schlimm es aussehen würde, wenn es dieses Menschen nicht geben würde.
Ein Dank auch an Asansöpress 35 für den Link!
Könnte man das erstarken der Recht in Europa auch als eine Art Radikalisierung im Gleichen zusammenhang sehen?
Ich denke nicht nur muslimische Jugendliche haben Ihre Probleme mit der Gesellschaft.
Das nach Rechts abtrifften großer Bevölkerungsteile sowie die Radikalisierung von Muslimen ist eine sehr gefährliche Kombination, die sich durch Eskalation sehr gut selbst befeuern kann. Durch Europa läuft ein gefährlicher Spalt. Schließen kann man Ihn nur in den man sich beiden Gruppierungen annimmt und für soziale Sicherheit sorgt.
Ansonsten wird uns das ganze um die Ohren fliegen, wobei das derzeit ja schon passiert...
„Die Kämpfer kommen aus allen Schichten“
ja: jeder gegen alle - siehe Sozialdarwinismus
fein