Er liebt ihn halt nicht

Hegelplatz 1 Jakob Augstein kann mit Sport eigentlich nichts anfangen. Wegen der äußerst menschlichen Ehe von Lisa und Thomas Müller änderte sich das für einen kurzen Moment
Ausgabe 45/2018
Am Fußball mochte Jakob Augstein nur die Autos
Am Fußball mochte Jakob Augstein nur die Autos

Foto: Claus Bergmann/Imago

Wir hier am Hegelplatz lieben den Sport. Also manche von uns. Ich zum Beispiel nicht so. Ich bin erstens vollkommen unsportlich, und zweitens leide ich an einem Kindheitstrauma. Der Sportunterricht in der Schule hat mir jede Form körperlicher Bewegung, die nicht sozusagen lebensnotwendig ist, vollkommen verleidet.

Wir hatten einen Sportlehrer, der einmal Mitglied der argentinischen Handballnationalmannschaft war, das Land aber aus politischen Gründen verlassen musste. Wenn ich die Angelegenheit nach meinen Erfahrungen beurteilen soll, würde ich sagen, dass seine Methoden der Militärjunta zu brutal waren. Jedenfalls begegnete er Disziplinmangel gern mit der Drohung, zur Peitsche zu greifen, was wir ihm ohne Weiteres glaubten. Mich hatte er besonders im Auge. Eine seiner gefürchteten Schimpfreden beinhaltete das Gleichnis vom faulen und vom gesunden Obst und die Erkenntnis, man müsse das faule Obst vom gesunden absondern, damit es dieses nicht anstecke. Ich habe Grund zur Annahme, dass ich das faule Obst war. Einmal stellte er mich ins Handballtor, verteilte Bälle an alle meine Mitschüler und hieß sie zu werfen. Von dieser Erfahrung rührt meine tiefe Überzeugung her, dass Menschen im Einzelnen reizend sein können, in der Gruppe aber ausnahmslos Arschlöcher sind.

Ich schweife ab. Gruppensportarten kommen jedenfalls seitdem überhaupt nicht mehr infrage. Fußball zum Beispiel: wahnsinnig anstrengend, unfassbar langweilig und obendrein nervtötend, da alle Nase lang weite Teile des öffentlichen Lebens wegen irgendwelcher Meisterschaften praktisch lahmgelegt werden. Das einzige, was mich beim Fußball wirklich schon immer schwer beeindruckt hat, sind die Autos. Ich weiß, dünnes Eis. Aber ich komme eben aus einer Gegend und einer Generation, da die Spieler des HSV in ihren Corvette C3 Coupés die Reeperbahn hinunterbrausten: überall Rundungen, Schwellungen, Wölbungen.

Ich würde jetzt nicht auf die Spielerfrauen zu sprechen kommen, gäbe es nicht einen Anlass. Lisa Müller, Ehefrau des deutschen Nationalspielers Thomas Müller, hat während eines Spiels im Internet geschrieben: „Mehr als 70 Minuten bis der mal nen Geistesblitz hat.” Ich hätte, ahnungslos, gar nicht verstanden, worum es ging. Aber offenbar war das als Kritik am Trainer der Mannschaft gedacht. Gut, das ist was für Fachleute. Aber diese kurze Szene hat mich für einen Augenblick mit dem Fußball – wenn schon nicht mit dem Sport an sich – versöhnt. Lisas Mann Thomas war die Sache nachher nämlich ein bisschen peinlich. Also sagt er: „Es war aus der Emotion heraus. Sie liebt mich halt, was soll ich machen?“ Sport ist so – menschlich.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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