Die Welt endet nicht mit einem Knall, sondern mit Gewimmer. Das gilt auch für die Welt von Angela Merkel. Weil sie den Abschied in Würde verpasst hat, beginnt nun ihr Abschied ohne Würde. Sie hätte bei den Wahlen im vergangenen Jahr nicht antreten müssen – nicht antreten dürfen. Das Paradoxon der Macht liegt darin, dass ihr Ende bereits eingetreten ist, wenn es in Sicht ist. Und es war in dem Augenblick in Sicht, als Merkel zur Wahl antrat, obwohl alle wussten, es würde ihre letzte sein. Ein Regierungschef, der sein eigenes Schicksal in der Hand behalten will, muss das Feld ohne Ankündigung räumen, auf der Höhe der Macht. Aber wer hat dazu schon die Kraft?
Nun ist aber das Bundeskanzleramt kein Austragshaus und Merkel keine Altbäuerin, die man dort in Ruhe ihre Rente verzehren lassen kann. Das Zentrum der Macht darf nicht leer sein. Im daraus entstehenden Sog geht die alte Ordnung unter und es bildet sich eine neue. Erst recht in der CDU verhält es sich so. In keiner anderen Partei hängen Gefolgschaft und Erfolg so unmittelbar miteinander zusammen.
Jetzt ist es Angela Merkel nicht gelungen, ihren Vertrauten Volker Kauder im Amt des Fraktionsvorsitzenden der Union zu halten. Das ist ihre schwerste Niederlage. Schlimmer als der Verlust eines Bundeslandes. In Deutschlands Kanzlerdemokratie kann der Regierungschef zwar ganz gut eine Weile gegen den Wähler regieren. Aber nicht gegen die eigenen Abgeordneten.
Der SPD-Linke Ralf Stegner hat über seine Partei gesagt, sie nähere sich in der Großen Koalition „dem Ermüdungsbruch“. Eine solche Abnutzung hat auch die CDU erfasst. Man kann sich fragen, ob Merkel dieses Ergebnis hätte abwenden können. Angenommen, das Thema, das den Abgeordneten auf den Nägeln brannte, war die Migration – wohin hätte die Kanzlerin sich wenden sollen? Was die praktische Politik angeht, hat diese Bundesregierung sich schon lange von jeder Flüchtlingsfreundlichkeit verabschiedet. Und Abschiebungen sind leichter zu fordern als zu vollziehen. Die Zehntausende, die nach den unsinnigen deutschen Regeln eigentlich ausreisepflichtig sind, wie soll man die außer Landes schaffen? Rein praktisch gesehen? Darauf hat der kluge Wolfgang Schäuble gerade im Vorübergehen hingewiesen und den Kollegen der Bild-Zeitung wurde gleich die Kaffeesahne sauer. Anerkenntnis der Wirklichkeit ist nicht jedes Journalisten Sache.
Aber in Wahrheit spricht mehr dafür, dass das Murren der Abgeordneten nicht nur mit der Migration zu tun hat – sondern mit der Kanzlerin selbst. Merkel hat die CDU beherrscht, geprägt, verändert – auf eine sonderbare Art und Weise wirkte sie dabei in der Partei immer wie eine Fremde. Aber diese Entfremdung hat zugenommen und nun offenbar ein unerträgliches Maß erreicht. Wenn es nur um die Wirtschaftszahlen ginge, wäre Merkel in Sicherheit. Für die Klientel der CDU sind die Zahlen gut. Aber Verunsicherung, Entheimatung, die Angst vor Kontrollverlust, das wächst ganz unabhängig von den Zahlen, und das trifft die sicherheitsfixierten Anhänger der Union ins Mark. Merkel hat darauf keine Antwort. Sie gibt keine Sicherheit.
Man kann der Union zurzeit dabei zusehen, wie sie nach Orientierung sucht, die ihre Anführerin nicht vermitteln kann. Horst Seehofer schlägt um sich, Jens Spahn versucht es mit Rechtspubertieren, und Annegret Kramp-Karrenbauer übt sich in der Rolle als Mini-Merkel. Aber es ist doch sicher, dass die CDU ohne Merkel sich selbst wieder ähnlicher werden wird. Auch die Wahl des neuen Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus ist dafür ein Zeichen. Brinkhaus ist ein Wirtschafts- und Finanzpolitiker vom alten Schrot und Korn. Unter ihm wird es sehr viel mehr Wirtschafts- und sehr viel weniger Sozialliberalität geben.
Gute Wirtschaftspolitik hat Ralph Brinkhaus im März in einer Rede im Bundestag so beschrieben: „Dass wir als Staat ganz demütig sagen: Wir schaffen nachhaltig keinen einzigen Arbeitsplatz. Dieser Arbeitsplatz wird von den Unternehmen geschaffen. Wenn das so ist, dann bedeutet das auch, dass wir die Unternehmen machen lassen müssen.“ Natürlich ist Brinkhaus ein Kämpfer für die „schwarze Null“, für jene neoliberale Haushaltsideologie, der die Deutschen ihre marode, rückständige Infrastruktur zu verdanken haben.
Was nun? Die SPD könnte ihre Minister und Ministerinnen zurückziehen. Oder die Bundeskanzlerin könnte die Vertrauensfrage stellen. So oder so – das Beste wären Neuwahlen, damit die Deutschen wissen, woran sie sind. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Unions-Abgeordneten, die im vollen Bewusstsein der Konsequenzen gegen ihre Kanzlerin stimmten, das Ende der Ära Merkel eingeläutet haben.
Es fällt einem niemand ein, der stärker ins Erbgut der deutschen Politik eingegriffen hätte als Angela Merkel. Sie hat mit vormals linken Ingredienzien eine neue politische Mitte definiert. Die SPD hat dabei – unter freundlicher Mitwirkung der Genossen – ihren Charakter als Volkspartei eingebüßt. Die FDP verlor ihre Identität, und die Grünen mutierten zur ökoliberalen Partei. Aber das eigentliche Geschöpf dieser Kanzlerin ist die AfD. Nach allem, was man jetzt sieht, ist es das, was von Angela Merkel bleiben wird.
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