Was ist im Boden verborgen?

Koch oder Gärtner? Diese Woche spricht der Gärtner mit Hölderlin, sinniert über einen suizidalen Fisch und empfiehlt, den Boden fruchtbar zu machen

Liebe Gartenfreunde,

nun ist, es hilft nichts, das Jahr des Gärtners an seinem Ende. Die Zwiebeln sind vergraben, der Winterschutz für die Gunnera, das wunderbare Mammutblatt, ist aufgestellt, und die Fische habe ich das letzte Mal gefüttert. „Jetzt gibt es erst im Frühjahr wieder was“, habe ich ihnen zugerufen und mich im selben Moment gefragt, ob mein sonderbar suizidaler Sterlet sich bis dahin nicht ohnehin wieder in Algen verwickelt haben wird. Da unten schwamm er, in seiner Schwärze auf dem Grund des Teichs kaum zu erkennen, überhaupt nur wegen seiner eigentümlichen Bewegung sichtbar. Der Sterlet hat ja etwas Haihaftes. „Das wäre es dann nämlich gewesen“, habe ich also zu ihm gesagt, „weil ich Dich nicht noch mal auspacke, so wie neulich“, habe ich ihm zugerufen, mit beiden Händen vor dem Mund, damit er mich hört.

Ich habe das vor allem wegen der Kinder so gemacht, die daneben standen. Damit es nachher keine Vorwürfe gibt. Aber meine Tochter hat mich nur schon wieder mit so einem mitleidigen Blick angesehen. In Wahrheit sind Kinder ja reichlich unsentimental, was die Entsorgung toter Haustiere angeht. Sie hat das Meerschweinchen damals einfach gepackt, in den Karton geworfen und verbuddelt. Übrigens etwa da, wo die Vormieter ihren toten Hund verscharrt hatten. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass die Knochen nach oben kommen. Es kommt ja immer nach oben, was einer vergräbt.

Am westlichen Rand meines Gartens stieß ich eines Tages auf armdicke Fernmelde-Kabel aus dem Krieg. Nahe der Terrasse fand ich Reste von Betonfundamenten, denen ich gar nicht weiter nachgehen wollte. Und im Osten habe ich eine schmale Zone, die voller Schlacke ist, schwarz, verschmolzen, bald einen halben Meter tief, Gott weiß, woher die stammt.

Als ich hierherzog, fand ich den Boden im Süden als grauen, toten Staub vor. Da war kein Leben drin und es wuchs auch nichts darauf. Er rieselte leblos durch die Finger. Ich habe den Streifen entlang des Zaunes aufgegraben und alles hineingeworfen, was ich finden konnte: Blätter und Gras und alte Äpfel und gemahlene Rinden. Ich habe Wasser in die Grube laufen lassen, mir die hohen Stiefel angezogen, und bin darin herumstampft, habe alles kleingetreten, einen großen, festen Brei daraus gemacht. Mehrere Tage lang. Einen Meter tief. Bodenverbesserung nennt man das, und Sie sollten darüber keine Witze machen: Wenn Ihr Boden nichts taugt, können Sie das Gärtnern gleich bleiben lassen. Sie können Ihre Pflanzen noch so behutsam setzen, sorgfältig düngen, liebevoll gegen trockene und kalte Winde schützen. Auf totem Grund wächst nichts, auf Steinen und Schlacke und Beton und Stahl auch nicht, auf dem Schutt der Vergangenheit. Räumen Sie die Trümmer weg! Machen Sie Ihren Boden fruchtbar! Mit Arbeit und Liebe und mit Begeisterung. Damit vor allem.

„Aber was hilft die Mauer um den Garten, wo der Boden dürre liegt? Da hilft der Regen vom Himmel allein. O Regen vom Himmel! O Begeisterung! Du wirst den Frühling der Völker uns wiederbringen“, schreibt Hölderlin im Hyperion. (Das ist übrigens die Stelle, wo es um den Staat geht, der eben die Mauer um den „Garten der menschlichen Früchte und Blumen“ sei, aber nicht mehr: „Beim Himmel! Der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“)

Also, jetzt, da diesiges Dunkel uns umfängt, nehmen Sie eine Schaufel, gehen Sie durch den Garten und stechen Sie überall tief hinein und sehen Sie zu, was dabei zu Tage tritt. Rechnen Sie mit dem Schlimmsten! Und räumen Sie auf!

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden