Joan Osbornes Version des Songs One of Us mit den Zeilen „What if God was one of us / just a slob like one of us / just a stranger on the bus“ ist ein penetranter Ohrwurm. Doch seine Bildhaftigkeit bleibt unbenommen: Wenn Gott heute unter den Menschen wandeln würde – wie sähe er aus? Und wie erst sein Sohnemann!?
Vielleicht so wie Mehdi Dehbi: Der belgische Schauspieler mit tunesischen Wurzeln spielt in Messiah mit Jesusfrisur und Dreitagebart einen Menschen, von dem viele annehmen, er sei der Messias. Doch weil der angebliche Gesalbte in Michael Petronis Netflix-Serie in der Jetztzeit unter den Menschen wandelt, ist das mit dem Auszug der „Israeliten“ und dem „Reich der Gerechtigkeit“ nicht mehr ganz so simpel.
Dabei beinhaltet Petronis Prämisse eine Menge toller Gedanken: So wird der arabisch „Al-Masih“ genannte, meist leise schmunzelnde numinose Mystery Man, der nach einigen Straßenpredigten gegen den IS in Damaskus einen starken Sandsturm übersteht, vor allem über Social Media bekannt. Seine Anhängerschar wächst mit der Geschwindigkeit, mit der Youtube-Videos von ihm die Runde machen. Al-Masih gerät so zunächst in den Fokus des heißblütigen Mossad-Mitarbeiters Aviram (Tomer Sisley), verschwindet aber nach einem Verhör und taucht urplötzlich (ein Wunder?!) in den USA auf. Dort wird die zupackende CIA-Beamtin Eva (Michelle Monaghan) auf ihn aufmerksam. Und während Al-Masih mithilfe eines texanisches Kleinstadtpfarrers (John Ortiz) und dessen mehr oder weniger zweifelnder Familie immer mehr Anhänger (oder Jünger) um sich schart, wird die Geheimdienstarbeit Evas und Avirams peu à peu durch die Gretchenfrage belastet ...
Es ist natürlich kein Zufall, dass die kühle Beamtin „Eva“ heißt und der virile Mossad-Mann „Aviram“ und sie sich näherkommen (im Alten Testament ist „Abiram“ ein Israelit, der sich gegen Moses auflehnte und zur Strafe von der sich auftuenden Erde verschlungen wurde). Neben den vielen biblischen Referenzen (die angesichts unserer Vornamen eh nirgends ausbleiben können) zieht die Serie ihre Spannung aber vor allem aus dem Ungesagten: Nur zaghaft sickern Informationen über die Protagonisten zum Publikum durch. Die spröde, einsame Eva, darf man kombinieren, durchläuft gerade einen traumatischen In-vitro-Fertilisationszyklus; auch Aviram hat einen Sack voll eigener Dämonen zu bekämpfen; der breitschultrige texanische Polizeikollege Will (Wil Traval) ist nicht ganz das, wonach er aussieht; und über den wortkargen Manipulator Al-Masih tröpfeln ebenfalls einige erstaunliche Fakten an die Oberfläche.
Dass Al-Masih in seinen Aussagen nie konkret wird, sondern gleichmütig immer wieder neue Glückskeks- und Tarotweisheiten auspackt und damit einen Zweifelnden nach dem anderen über den Tisch zieht, ist eine hübsch perfide Allegorie auf den gesellschaftlichen Wunsch und die Sehnsucht, doch bitte an irgendetwas glauben zu dürfen – und sei es, dass ein Mann vor dem Weißen Haus über Springbrunnenwasser geht. Und damit (garantiert religionsübergreifend) Follower generiert.
Vor allem in den ersten Folgen halten Petroni und seine Regisseure James McTeigue und Kate Woods die Spannung also meisterhaft aufrecht, stellen Religionen an sich zur Diskussion und inszenieren scheinbare Wunder wie das Auf-dem-Wasser-Gehen nur über Bande, nämlich auf wackelnden Handybildschirmen. Zudem erzählt ein zweiter, etwas flügellahmer Handlungsstrang von einem jungen Araber namens Jibril, der nach seinen Erfahrungen mit Al-Masih selbst zu einer Heilsfigur wird. Und der – das macht die Serie formal zu einem multilingualen, multireligiösen und politischen Vergnügen – im Nahen Osten verschiedene Islamschulen durchläuft.
Somit stecken viele Glaubens- und Wissenskonflikte in der Serie. Dass Jordanien Netflix im Dezember letzten Jahres aufforderte, die angeblich provokante und kontroverse Erzählung für das Land gefälligst aus dem Streamingangebot zu entfernen, ist in diesem Zusammenhang fast schon ein Marketing-Coup. Dabei bleibt Petronis Legende bewusst vage und würde theoretisch sowohl streng religiöse als auch orthodox-atheistische Interpretationen zulassen: Entweder spinnt Al-Masih, und mit ihm sämtliche Menschen, die je von sich behauptet haben, Gott, dessen Nachwuchs oder sonst wie heilig zu sein. Oder hier soll tatsächlich der Messias dargestellt werden – damit verstieße die Serie, zugegeben, gegen das islamische Bilderverbot.
Doch mit dem Fortschreiten der Handlung verwirren sich die vielen losen Enden in Geschichte und Figurenzeichnung, und rutschen den Schöpfern (sic!) aus den Händen. Wie ein religiöser Kladderadatsch eiert Messiah schließlich über den steinigen Weg der Erkenntnis. Umso verflixter, dass Netflix die Serie nach der ersten Staffel genau aus diesen Gründen – vorerst – abgesetzt hat: Vom Publikum wurde das wackelige Narrativ bemängelt. Damit nimmt man der Produktion die Chance, die vielen großartigen, aber schlampig verflochtenen Ideen zu entwirren. Denn natürlich würde man am Ende doch gern wissen, wie die Antwort auf die Gretchenfrage lautet.
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