Kino Die baskische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren erzählt in „20.000 Arten von Bienen“ vom Coming-of-Age eines Transmädchens – mit viel Ruhe, Naturalismus und Poesie
Verunsicherung und Aufbruch: Die neunjährige Sofia Otero wurde auf der Berlinale mit einen Silbernen Bären ausgezeichnet
Foto: Gariza Films, Inicia Films
„Nenn mich nicht Cocó!“, schimpft Aitor (Sofía Otero) die ältere Schwester, als die ihn im Zug auf dem Weg zur Oma neckt. Doch so verkehrt scheint der Achtjährige, der sich in seinem Jungskörper nicht zu Hause fühlt, den Kosenamen dann doch nicht zu finden. Jedenfalls stellt sich das Kind den Dorfkindern dann als Cocó vor. Gemeinsam mit Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) und den beiden älteren Geschwistern verbringt Cocó den Sommerurlaub in Anes Heimatdorf. Einen Anlass zur Reise bietet, neben vielem anderen, die Taufe eines neuen Familienmitglieds.
Im flirrenden Sonnenschein zwischen den Häusern und Feldern des spanisch-baskischen Dorfes erzählt die baskische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren in ihrem Debüt
Debüt 20.000 Arten von Bienen konzentriert und einfühlsam von dem Coming-of-Age eines Transkindes. Hauptdarstellerin Sofía Otero wurde bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung ausgezeichnet. Die Neunjährige, die das Kind zurückhaltend zwischen Verunsicherung und Aufbruch spielt, ist damit die jüngste Gewinnerin in der Berlinale-Geschichte.Mit dem so naturalistischen wie poetischen Blick, der ruhigen Erzählweise und der Konzentration auf Kinder erinnert 20.000 Arten von Bienen an Alcarràs von Carla Simón, der im letzten Jahr den Goldenen Bären erhielt und in gewisser Weise auch von einem schmerzlichen Abschied handelte. Würden alle auf Cocós Bedürfnisse reagieren wie Großtante Lourdes (Ane Gabarain) fiele der Abschied vom binären Denken allerdings weniger schmerzvoll aus. Die Imkerin nimmt das Kind mit zu den Bienen, erklärt ihm, was Faulbrut ist, erläutert, wie wichtig die Königin für die Brummer ist und dass die Larven, wenn sie schlüpfen, ihre Haut verlieren – eine von vielen vieldeutigen Analogien in diesem Film. Und sie ist die Erste, die das Kind als das wahrnimmt, als das es sich fühlt, und es mit weiblichem Pronom anspricht. In einer wunderbaren Szene, in der die beiden in einem Waldsee baden, nachdem Cocó sich zuvor immer vor dem Schwimmen geziert hat, sagt Lourdes lächelnd: „Dein Mädchenschniedel muss sauber sein.“20.000 Arten von Bienen erzählt von der Identitätssuche des Kindes zwischen drei Frauen aus drei Generationen, die alle, um in der Metapher des Films zu bleiben, eigene Arten mit eigenen Wertesystemen darstellen. Neben der progressiven Tante steht die christlich-traditionelle Oma Lita (Itziar Lazkano). „Verpass ihm eine Jungsfrisur“, mahnt sie ihre Tochter, weil das Enkelkind von den Nachbarinnen im Dorf wegen der langen braunen Haare für ein Mädchen gehalten wird. „Gott macht uns perfekt“, ist noch so ein Satz von der Oma, der sich ins Gedächtnis brennt. Was heißt schon perfekt?Die Dritte im Bunde ist Mutter Ane, eine Frau auf der Flucht nach vorne. Sie werkelt in der alten Werkstatt des verstorbenen Vaters, der es als Bildhauer zu Ruhm gebracht hat, um dort etwas Künstlerisches für ihre Bewerbung als Dozentin an einer Kunstschule herzustellen. In der Ehe mit ihrem in der französisch-baskischen Heimatstadt verbliebenen Mann, einem Choleriker, kriselt es. Männer zeichnen sich in 20.000 Arten von Bienen durch Abwesenheit aus. Sogar die Skulptur des Heiligen Johannes, die Anes Vater einst anfertigte, ist zum wiederholten Male verschwunden und wird von der Familie überall gesucht.Eingebetteter MedieninhaltGeschickt verknüpft die baskische Regisseurin, die auch das Drehbuch geschrieben hat, das Porträt der Mutter in der Neuerfindungsphase mit Cocós Entwicklung. Ane ist liberal und sagt Cocó, dass sie sein könne, wie sie wolle. Doch die Dringlichkeit erkennt die Mutter erst spät. Intuitiver reagieren da die Kinder. Als eine neue Freundin Cocó nackt sieht, blickt sie auf ihren Unterleib und sagt keck: „Ein Schulfreund hat eine Mumu.“ Immer wieder begibt sich die Kamera von Gina Ferrer García auf Cocós Augenhöhe, blickt durch die Augen des Kindes auf das Geschehen und nimmt dabei in Kauf, dass die Erwachsenen auch mal nur bis zur Brust zu sehen sind.In einem vor allem in den sozialen Medien von einigen Seiten mit Hass und Hetze betriebenen Diskurs um Geschlechtsidentitäten, um das Recht auf Selbstbestimmung von Queeren und Tansmenschen, liefert 20.000 Arten von Bienen einen komplexen, ruhigen, so bedachten wie dringlichen filmischen Beitrag. Anders als Oskars Kleid, Hüseyin Tabaks deutsche Mainstreamkomödie über ein Tanskind, sucht Solaguren weder den schnellen Effekt noch den dramatischen Overkill. In der Ruhe und in der Konzentration und in den vielen sprechenden Bildmetaphern von 20.000 Arten von Bienen liegt die Kraft dieses Films.Cocó wünscht sich schließlich einen Namen für sich, den sie ironischerweise in der Kirche findet: Lucia, angelehnt an die Heilige Lucia, „Die Leuchtende“. In jeder Filmsekunde sind die Herausforderungen auf ihrem Weg dorthin zu spüren, in den Blicken und kleinen Gesten, in Geringschätzigkeiten und blindem Traditionsbewusstsein. Und zugleich zeigen Menschen wie Lourdes oder Cocós Freundin auf, wie viel leichter es mit Zuhören, Einfühlungsvermögen und Rücksicht gehen kann – alles Dinge, die einem aufgeheizten Diskurs, der auch politische Gräben markiert, guttun würden. Am Ende von 20.000 Arten von Bienen stehen ein großer Schrecken und eine Geburt, wie sie passender für diesen schönen Film nicht sein könnte.Placeholder infobox-1