„Roter Himmel“ von Christian Petzold: Ein dunkles Sommermärchen
Kino Schlechte Laune im Angesicht der Katastrophe: Im Zentrum von Christian Petzolds „Roter Himmel“ steht Leon, ein miesepetriger junger Autor, der alles um sich herum verkennt. Ein Spiel zwischen Leichtigkeit und Tiefe, Paradies und Dystopie
Unter all dem Gemotze: Leons (Thomas Schubert) Faszination für Nadja (Paula Beer) ist in jeder Sekunde zu spüren
Foto: Christian Schulz/Schramm Film
Der Sommer flirrt, das Häuschen an der Ostsee liegt im Schatten eines kleinen Wäldchens. Man sitzt bei Wein und Essen im Garten, spricht über Heine, geht im Meer schwimmen, man neckt und liebt sich in fluiden Konstellationen. Und all das während Waldbrände wüten, die zunächst abstrakt in der Ferne bleiben, sich aber nach und nach stärker ins Zentrum der Geschichte brennen.
Im besagten Zentrum von Christian Petzolds neuem Film Roter Himmel steht Leon (Thomas Schubert), ein ruppiger Jungautor im Kreativloch, dem die Sinnlichkeit und der Müßiggang der sommerlichen Hitze gehörig am Allerwertesten vorbeigehen. Er ist mit seinem Kumpel Felix (Langston Uibel) zum Arbeiten hierhergekommen und fläzt deshalb am Strand miesepetrig in langen K
epetrig in langen Klamotten auf der Decke. Schwimmen will er nicht. „Ich muss arbeiten!“, lautet sein permanent vorgebrachtes Mantra. Schubert, der bereits in Wintermärchen, Jan Bonnys radikaler Introspektive in eine rechte Terrorzelle, fantastisch war und der zuletzt in Bonnys Netflix-Serie King of Stonks sein komödiantisches Potenzial unter Beweis stellte, spielt den jungen Mann herrlich rotzig.Eingebetteter MedieninhaltLeon will an der Ostsee eigentlich seinen zweiten Roman – betitelt Clubsandwich (!) – finalisieren und reagiert gereizt, als Felix ihm offenbart, dass sie nicht alleine in dem Haus sein werden, das dessen Familie gehört. „Die Russin geht mir so was von auf den Sack!“, wütet Leon schon bald. Gemeint ist Nadja (Paula Beer), die nur wegen ihres Namens in Leons russische Schublade einsortiert wird. Die ungewollte Mitbewohnerin vergnügt sich nachts unüberhörbar bei Musik mit Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) und schwebt als Frohnatur in rotem Kleid durchs Bild. Paula Beer gibt der so sympathischen wie geheimnisvollen Frau eine unwiderstehliche, zeitlose Aura.Roter Himmel ist auf den ersten Blick der bisher „leichteste“ Film von Christian Petzold. Die Stimmung ist tragikomisch, die Farben leuchten sommerlich, die Einstellungen verharren nicht in minutenlagen Plansequenzen, sondern haben etwas Spielerisches. Wie auch der Einsatz von Musik, die sich hier atmosphärisch über die Bilder legt. Wunderbar etwa Tarwaters rhythmisch-repetitiver Song Be Late, den Leon einmal heimlich auf dem Plattenspieler in Nadjas Zimmer anmacht. Das Lied In My Mind der jungen österreichischen Popband Wallners ist die Hymne des Films.Strenger VibePetzold, der als Regisseur der Berliner Schule zugerechnet wird, hat es schon früher verstanden, jenen künstlerisch-strengen Vibe der von Kritikern so getauften Stilrichtung in ein formalästhetisch eigensinniges Kino zu überführen, das anspruchsvoll und sinnlich zugleich ist. Seine Filme sind, wie seine Figuren, Grenzgestalten.Man denke an Nina Hoss, die in Barbara eine DDR-Ärztin spielt, die nach einem erfolglosen Ausreiseantrag in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird. Oder an Transit, Petzolds Anna-Seghers-Verfilmung, in der er die Geschichte eines Deutschen, der während des Zweiten Weltkriegs vor den Nationalsozialisten nach Frankreich flieht, vom äußeren Anschein her in die Gegenwart verlegt und dabei Damals und Heute in einen produktiven Dialog treten lässt. Zuletzt holte er in Undine den Mythos um die Sagenfigur ins Berlin des 21. Jahrhunderts. Es war der erste Teil einer geplanten Trilogie, dem Element des Wassers gewidmet, wenn man so will, dem Petzold nun mit Roter Himmel das Element Feuer folgen lässt. Auf der diesjährigen Berlinale gab es dafür den Großen Preis der Jury, wobei viele Roter Himmel als Favoriten für den Goldenen Bären auf dem Zettel hatten.Petzold hat nach eigenem Drehbuch einen Film gemacht, der, ohne dass er auf irgendeine Weise aufdringlich daherkäme, voller vieldeutiger Bilder steckt. So ist unter all dem Gemotze von Leon in jeder Sekunde zugleich seine Faszination für Nadja zu spüren. Atemberaubend etwa jene Szene, in der er die junge Frau eines Nachts aus dem Fenster beobachtet, wie sie mit fluoreszierenden Schlägern mit den beiden anderen Jungs Federball spielt. Sieht sie ihn? Leon schaut die ganze Zeit zu, und wir mit ihm: dem Leben, dem Treiben im Garten. Aber zugleich scheint er nichts zu sehen. Weder erkennt er, wer Nadja wirklich ist, dass sie nicht nur als Eisverkäuferin jobbt, noch, dass Felix und Devid sich näherkommen. Er kreist um sich selbst und sein Buch und weiß insgeheim, dass sein Verleger Helmut (Matthias Brandt), der sich für einen Besuch angekündigt hat, es ihm um die Ohren hauen wird. „Siehst du irgendwas, was um dich herum passiert?“, brüllt Nadja ihn einmal an.Liebe und Katastrophe, Paradies und Dystopie liegen nahe beieinander in Roter Himmel, sie spiegeln sich und sie bedingen einander. Die Katastrophe bahnt sich an, die Löschhubschrauber donnern über das Haus, und einmal beobachtet das sommerliche Quartett in einer fast schon surreal anmutenden Szene vom Vordach aus die scheinbar noch fern lodernden Flammen. Konsequenzen werden daraus nicht gezogen. Roter Himmel ist damit auch eine so unterhaltsame wie tragische Analogie auf unsere Gegenwart und unseren Umgang mit der Klimakatastrophe.Zugleich – und die Präzision und Kunstfertigkeit, mit der Petzold diese verschiedenen Erzählebenen ineinanderschiebt, ist einzigartig – ist Roter Himmel auch wieder ein sehr filmischer Film über die Kunst des Sehens beziehungsweise des Nicht-Sehens und über die Kunst des Erzählens. Es ist ein Film der Blicke und Gesten, ein Film, in dem es auf mehreren Ebenen unter der Oberfläche lodert. Und wenn sich am Ende, so überraschend wie einleuchtend, eine literarische Erzählebene über die Bilder schiebt und deren Wirkung auf eindringliche Weise verdoppelt, verschlägt es einem schlichtweg die Sprache.Placeholder infobox-1
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