Dieser Film ist ein kinematografischer Schwelbrand: 148 Minuten, davon keine zu viel, in denen es unter der Oberfläche qualmt. Mit bestechender Ruhe und vibrierendem Suspense rollt der südkoreanische Regisseur Lee Chang-dong seine Geschichte auf, eine der außergewöhnlichsten Darstellungen einer Ménage-à-trois, die in den letzten Jahren den Weg auf die Leinwand gefunden hat.
Am Anfang steht ein zartes Funken: Vor einem Kaufhaus in Seoul drückt ein tanzendes Mädchen dem zurückhaltenden Jong-su (Yoo Ah-in) ein Promotion-Los in die Hand. Es ist Hae-mi (Jeon Jong-seo), eine alte Schulfreundin aus Jong-sus Provinzheimat; er erkennt sie nicht sofort, vielleicht weil sie sich einer Schönheitsoperation unterzogen hat. Auf die Wiederbegegnung folgen eine gemeinsame Zigarette und ein Abend in einer Bar, an dem Hae-mi dem alten Bekannten den Gefallen abringt, ihre Katze zu füttern, während sie selbst für ein paar Wochen nach Afrika reist. Schließlich kommt es zu zarten Küssen und erstem Sex in ihrer Wohnung.
Das ist, was sich an der Oberfläche abspielt. In Burning zählt jedoch vor allem das, was darunter passiert. Aus der Affäre zwischen Hae-mi und Jong-su entwickelt sich eine klassische Dreiecksgeschichte: Wieder zurück aus Afrika, hat Hae-mi nämlich den wohlhabenden Ben (gespielt von The-Walking-Dead-Star Steven Yeun) im Schlepptau. Jong-su ist alles andere als begeistert. Die arme Socke ist schwer verliebt, holt Hae-mi vom Flughafen ab und hat plötzlich den reichen Schnösel mit dem dicken Porsche vor der Nase. „Es gibt so viele Gatsbys in Korea“, beschwert sich Jong-su über den mysteriösen Ben, dem er nicht traut, der aber auch nicht unsympathisch scheint und sich darüber hinaus sogar für Jong-sus schriftstellerische Ambitionen interessiert. So schlüpft Jong-su kleinlaut in die Rolle des toleranten Freundes und verbringt Zeit mit dem Paar. Doch dann verschwindet Hae-mi spurlos. Und Jong-su fragt sich, ob Ben etwas damit zu tun hat.
Spuren ins Unkonkrete
Lee Chang-dongs Film war im letzten Jahr in Cannes ein großer Favorit, ging aber bis auf den Preis des Kritiker-Verbands Fipresci leer aus. Er basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, die ihrerseits auf William Faulkners Barn Burning Bezug nimmt. In Burning brennen allerdings keine Scheunen, sondern Gewächshäuser. Zumindest wenn man der Geschichte von Ben glaubt, der Jong-su im Grasrausch das irrwitzige Gezündel als eine Leidenschaft verkauft, der er regelmäßig nachgeht.
Aber fackelt Ben wirklich Gewächshäuser ab? Genau das ist es, was Lee Chang-dong in Perfektion versteht: Spuren zu legen, dem Zuschauer assoziative Angebote zu machen, einen Gedankenraum zu schaffen, der nie ganz konkret, nie heruntergebrochen wird auf Kategorien wie „wahr“ oder „falsch“. „Es gibt kein Richtig oder Falsch. Nur die Moral der Natur“, schwadroniert Ben. Die Spannung von Lees vielschichtigem Film ist fast hermetisch; sie ergibt sich aus dem komplexen zwischenmenschlichen Geflecht der Protagonisten, aus ihren Blicken, Gesten und Andeutungen und aus der suggestiven Atmosphäre des Films, aus seinen Bildern und Rhythmen.
Burning wird auf diese Weise zur Meditation über Wahrnehmung an sich, zur Reflexion über unsere Art, die Welt zu begreifen. „Ich kann Mandarinen essen, wann immer ich will“, erklärt die Pantomime lernende Hae-mi dem verblüfften Jong-su, während sie eine Luftmandarine schält. Alles entsteht aus dem, was wir sehen und hören wollen, aus einem sinnlichen Begehren, das Lee Chang-dong geschickt zu stimulieren weiß. Gibt es die Katze, die Jong-su füttern soll, wirklich? Er bekommt sie nie zu sehen, sosehr er in Hae-mis winzigem Apartment auch sucht. Und ist Hae-mi als kleines Kind tatsächlich in einen Brunnen gefallen, wie sie Jong-su erzählt? Gab es diesen Brunnen dort, wo sie gemeinsam zur Schule gingen, überhaupt?
Lee Chang-dong erzählt in Bildern voller Melancholie und Schönheit, die in ihrer zurückhaltenden Inszenierung umso mehr nachhallen. In einer der wunderbarsten Szenen des Films sitzt das Trio in der Abendsonne auf dem abgelegenen Hof von Jong-sus Vater in der Provinz. Sie teilen sich einen Joint. Plötzlich steht Hae-mi auf, reißt sich Top und Büstenhalter vom Körper und tanzt im Dämmerlicht halbnackt zum jazzigen Miles-Davis-Song Générique. Wir sehen sie von hinten, wie sie mit den Händen einen Vogel imitiert, während kurz die wehende Landesfahne zu sehen ist. Ein Moment der Freiheit an diesem kleinen Örtchen, das nahe der Grenze zu Nordkorea liegt. In ähnlicher Weise schwingen an der Peripherie der Ereignisse von Burning immer wieder gesellschaftskritische Töne mit, etwa zur schlechten Arbeitssituation für junge Menschen in Südkorea oder zur Ungleichbehandlung von Frauen. Er habe von der Wut junger Menschen erzählen wollen, erklärte Lee im Interview.
Burning ist gleichzeitig meisterhaftes Genrekino. Nach Hae-mis Verschwinden kanalisiert sich Jong-sus Misstrauen gegenüber Ben in obsessiv-investigativen Tatendrang. Ist Ben gar ein Serienkiller? So logisch die Kausalkette erscheint, die Jong-su sich nach und nach aus einzelnen Puzzlestücken zusammensetzt, so nachvollziehbar das kurze, heftige Feuer ist, in dem sich besagter Schwelbrand schließlich entlädt: Die filmische Welt wird für den Zuschauer bleiben, was die Welt allgemein für Jong-su ist – ein Geheimnis. Ein wundersames und tiefgründiges, wie nur das Kino in dieser reinsten Form es erschaffen kann.
Info
Burning Lee Chang-dong Südkorea 2018, 148 Minuten
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