Herbst-Stimmung in Rot

Italien Noch läuft die linke Opposition der linken Basis hinterher

Jeder noch so dramatische "Anstieg der politischen Temperatur" sei ihm völlig egal, antwortet Silvio Berlusconi auf Fragen von Journalisten. Vermutlich ist das nicht gelogen, die satte rechte Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments erlaubt dem italienischen Premier ein "Durchregieren", von dem andere Regierungschefs in der EU nur träumen können.

Auch unpopuläre Maßnahmen wie die von der zuständigen Ministerin Mariastella Gelmini als "Bildungsreform" etikettierten Einsparungen gehen da mühelos durch: Während den überfüllten Universitäten weitere 1,7 Milliarden Euro gestrichen werden sollen, drohen anderswo noch massivere Umbauten. Die Regierung will 87.000 Lehrerstellen kassieren, 4.200 Schulen schließen und die Unterrichtsstunden pro Woche beschneiden. Hinzu kommen ideologisch getränkte Ideen wie die Rückkehr zu Schuluniformen und Verhaltensnoten (beides soll die Disziplin heben). Abgerundet wird das alles durch den erklärten Willen des Berlusconi-Koalitionärs Lega Nord, "Sonderklassen" für Schüler mit Migrationshintergrund einzuführen. Der Protest dagegen führte am 30. Oktober zu einem landesweiten Schulstreik, bei dem vier von fünf Lehranstalten geschlossen blieben, während sich zugleich eine Million Menschen in Rom zur Demonstration sammelten.

Nur lässt sich die Krise der Linken vorläufig kaum mit Aktionen dieser Art eindämmen, so erfolgreich die auch sein mögen. Mehr als 600.000 folgten am 25. Oktober dem Ruf der Demokratischen Partei, die endlich entschlossen scheint, der Rechtsregierung Paroli zu bieten. Aber wie? Zwar habe Oppositionsführer Walter Veltroni die rechte "Kultur des Individualismus und Egoismus" wortreich angriffen, schreibt die Zeitung Il Manifesto, doch sei die vage "Botschaft der Zuversicht" auf den Slogan beschränkt geblieben: "Ein anderes Italien ist möglich." Veltroni ließ offen, wie er eine "neue Mehrheit" gegen Berlusconi zu formieren hoffe. Zwar sprach er von "Bündnissen", aber nicht den dabei möglichen Partnern. Aktivisten der bei den Wahlen vom April gescheiterten Regenbogenlinken trugen auf der Demonstration am 25. Oktober wohl Transparente mit der Aufschrift "Bewegt euch nach links!", doch nahm Walter Veltroni das Wort "links" kein einziges Mal in den Mund.

Von der außerparlamentarischen Linken ist besonders Rifondazione Comunista (RC) noch heftig damit befasst, den wegen der Präsenz in der Regierung Prodi verlorenen Kontakt zur Basis wiederherzustellen. Claudio Grassi, Exponent der Strömung Essere Comunisti (Kommunisten sein!) und die Nr. 2 der neuen Mehrheit um Paolo Ferrero, geriet in der Parteizeitung Liberazione ins Schwärmen über die zahllosen roten Banner mit Hammer und Sichel bei den jüngsten Demonstrationen und sprach von Schritten "zur Rekonstruktion der italienischen Linken".

Was Grassi jubeln lässt, ist für Nichi Vendola, den auf dem Kongress von Chianciano Terme Ende Juli unterlegenen Kandidaten der einstigen RC-Führung um Fausto Bertinotti, eher Anlass zur Sorge. Bisher sei es misslungen, der hegemonialen Rechten einen "sozialen Block" entgegenzustellen, der die sozialen Rechte aller verteidige und so neue Allianzen bringe, nicht zuletzt mit der Demokratischen Partei. Die von Vendola und Bertinotti gegründete überparteiliche Assoziation für die Linke kommt nur mühsam voran.

Bleibt die Hoffnung, dass die "Straße" der organisierten Linken neuen Schwung verleiht. Mit Verspätung hat sich auch die Arbeiterbewegung zurückgemeldet. Nach einem Generalstreik der gewerkschaftlichen Basiskomitees am 17. Oktober, dem sich auch viele Schüler und Studenten anschlossen, soll es am 12. Dezember einen landesweiten Streik der Metaller geben, ausgerufen von der kampfstarken Gewerkschaft FIOM, die seit langem über die Grenzen berufsspezifischer Klientelinteressen hinausblickt. Der landesweite Schulstreik an diesem 14. November wird von den drei wichtigsten Gewerkschaftsbünden CGIL, CISL und UIL unterstützt, die sich bisher nicht einigen konnten, wie in Zeiten eines virulenten sozialen Abstiegs - mit offiziell 7,5 Millionen Armen in Italien - eine gemeinsame Strategie greifen könnte.

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