Hetze von oben, Hatz von unten

Italien Die Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega toleriert Sturmtrupps, die für eine Welle an rassistischer Gewalt sorgen
Ausgabe 40/2018
Avanti Pöbel! Casa-Pound-Anhänger blockieren in Rocca di Papa eine Straße, um die Ankunft von Migranten zu verhindern
Avanti Pöbel! Casa-Pound-Anhänger blockieren in Rocca di Papa eine Straße, um die Ankunft von Migranten zu verhindern

Foto: Andreas Solaro/AFP/Getty Images

Aufmärsche von Rechten, rassistisch motivierte Gewalt – die Polizei sieht zu, die Regierenden reagieren verharmlosend. Das aus Chemnitz bekannte Muster scheint auch kennzeichnend für das, was sich derzeit in diversen italienischen Städten abspielt. Beispiel Bari. In der Hauptstadt der süditalienischen Region Apulien hatte das Netzwerk „Mai con Salvini“ (Niemals mit Salvini) für den 21. September zu einer Demonstration gegen die Politik der jetzigen Regierung aufgerufen. Dort ist Vizepremier Matteo Salvini von der Lega der unangefochtene starke Mann der italienischen Politik und als Innenminister verantwortlich für einen beinharten Kurs gegen Einwanderung, aber auch gegen jegliche linke Opposition.

In Bari eskalierte die Lage nach dem Ende der Demonstration, an der auch Eleonora Forenza, Europaabgeordnete der linken Bündnisliste L‘Altra Europa con Tsipras, und ihr Mitarbeiter Antonio Perillo teilgenommen hatten. Als sie einer von Rechten verfolgten jungen Eritreerin helfen wollten, wurden sie von einer Gruppe mit Stangen, Gürteln und Schlagringen angegriffen. Andere Linke eilten zu Hilfe, Perillo und ein weiterer Aktivist wurden erheblich verletzt. Die Polizei griff erst ein, als sich ein spontaner Protestmarsch formierte.

Später konnten 30 Anhänger der faschistischen Bewegung Casa Pound Italia (CPI) identifiziert werden, von denen acht unmittelbar an der Attacke beteiligt gewesen waren. Benannt ist die Organisation nach dem US-Schriftsteller und Mussolini-Bewunderer Ezra Pound (1885-1972). Nach eigenen Angaben hat sie 4.000 Mitglieder. Auf ihrem nationalen Fest Anfang September in Grosseto (in der ehemals „roten“ Toskana) bezeichnete CPI-Sekretär Simone Di Stefano seine Organisation als „Gewerkschaft der Italiener“: „Italiener zu sein, ist das wichtigste Element, das uns definiert – der Ausgangspunkt für die Neugründung der Nation.“

Mussolinis Phrasen

Die Wiedergeburt der geknechteten Nation gehört zu den klassischen Folien der faschistischen Ideologie. Auch die „Faschisten des dritten Millenniums“, so die Selbstbezeichnung von CPI, halten daran fest. Dass sie unter diesem Markenzeichen offen auftreten dürfen, ist ein Verstoß gegen ein Gesetz, das 1947 beschlossen, aber nie konsequent angewandt wurde: das Verbot, faschistische Parteien „in irgendeiner Form“ neuzugründen. Dass sich CPI als Erbin von Mussolinis Partito Nazionale Fascista begreift, ist offensichtlich. Zu ihren wichtigsten ideologischen Referenzpunkten gehört das im November 1943 beschlossene „Manifest von Verona“. Das 18 Punkte umfassende Pamphlet sollte seinerzeit die Bevölkerung der Repubblica Sociale von Salò dafür begeistern, den Krieg an der Seite Nazideutschlands fortzusetzen. Das Mittel dazu hieß soziale Demagogie: das Versprechen von Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung in den Betrieben, zum Wohl der Nation und jedes „Arbeitersoldaten“.

Das Bekenntnis zu den „revolutionären Werten“ des historischen Faschismus korrespondiert bei CPI mit moderner Performance: Rechtsrock, Hip Hop und Streetart; auch linke Ikonen wie Che Guevara oder Mexikos Subcomandante Marcos werden für die „nationale Sache“ vereinnahmt. Bei ihren Fernsehauftritten bemühen sich CPI-Kader, als „bravi ragazzi“ – gute Jungs – zu erscheinen. Sie tun das oft mit Erfolg, weil sich die Moderatoren kritische Nachfragen verkneifen. Generell scheut die Gruppe keineswegs das Licht der Öffentlichkeit. Ihre Zentrale in Rom, die Casa Pound, liegt in der Nähe des Bahnhofs Termini im migrantisch geprägten Esquilino-Viertel. Mitglieder diverser extrem rechter Gruppierungen haben dieses Hauptquartier 2003 besetzt. Seither werden sie vom Staat geduldet.

Auch in anderen Großstädten verfügt CPI über zentral gelegene Quartiere. So auch in Bari. Am 21. September war das CPI-Zentrum Sammelpunkt und Rückzugsort der Schläger. Ähnlich agierten die faschistischen „Squadre“ (Sturmtrupps) , die in den 1920er Jahren die Arbeiterbewegung buchstäblich zerschlugen. Noch einmal dienten nach 1970 faschistische Vereinslokale als Bastionen für den Straßenkampf. Dabei wurden etliche Linke von Faschisten getötet, so 1977 in Bari der junge Kommunist Benedetto Petrone.

Seit 2013 tritt CPI auch bei Wahlen an und ist auf kommunaler Ebene erfolgreich. In Bolzano/Bozen (Südtirol) gewann sie drei, in Lucca (Toskana) zwei Mandate. Im November 2017 gelang ein spektakulärer Erfolg im Wahlbezirk um Ostia, dem Strandbad von Rom: neun Prozent – das bisher beste Ergebnis. Anders auf nationaler Ebene: Bei der Parlamentswahl im März kam CPI nur auf 0,9 Prozent, die konkurrierende Forza Nuova (Neue Kraft) auf knapp 0,4 Prozent. Damit scheiterten beide Formationen klar an der Drei-Prozent-Hürde.

Augenscheinlich stimmen Wähler mit extrem rechten Neigungen lieber für die mit Berlusconis Forza Italia verbündeten Fratelli d’Italia (Brüder Italiens, benannt nach der ersten Zeile der italienischen Nationalhymne), die 4,3 Prozent erreichten – vor allem aber für die Lega. Deren Anführer Matteo Salvini umwirbt den rechten Rand unverhohlen. Nicht zufällig postete er am 29. Juli, Mussolinis Geburtstag, auf Facebook den in der faschistischen Rhetorik beliebten Satz „Molti nemici, tanto onore“ (viel Feind‘, viel Ehr‘). Drei Tage zuvor hatte er sich auf gleichem Wege bei seinen Sympathisanten bedankt: „Grazie, io non mollo“ (ich weiche nicht), eine weitere Standardphrase aus dem Repertoire des Duce. Salvini wolle damit ein „klares Signal an die extreme Rechte senden“, meint Federico Fornaro, Fraktionschef der linken Liberi e Uguali (LeU).

Prima gli italiani

Vorrangig jedoch ist es Salvinis Politik, die Faschisten in Begeisterung versetzt. „Prima gli italiani“ (Italiener zuerst) ist das Leitmotiv. Laut einem Ende September erlassenen „Sicherheitsdekret“ können Asylanträge ausgesetzt werden, wenn der Antragsteller als „sozial gefährlich“ gilt, etwa wenn ihm Drogenhandel oder Taschendiebstahl vorgeworfen wird. Asylbewerber sollen fortan in Auffangzentren interniert werden. Mutmaßlichen „Terroristen“ kann die italienische Staatsbürgerschaft entzogen werden. All das mache Italien sicherer, behauptet Salvini, für den „ausländisch“ und „kriminell“ Synonyme sind.

Nicht allein die katholische Bischofskonferenz CEI hält diesen Maßnahmenkatalog für verfassungswidrig. Ob das Parlament zustimmt und Staatspräsident Sergio Mattarella ein entsprechendes Gesetz per Unterschrift in Kraft setzt, ist zwar noch offen. Durch die monatelange Hetze von ganz oben fühlen sich Rassisten aber schon jetzt legitimiert, auf eigene Faust für „Ordnung“ zu sorgen. Einige begreifen sich als eine Art Miliz des Innenministeriums. Als Salvini im Sommer „sichere Strände“ versprach, vertrieben 20 CPI-Mitglieder mehrere ambulante afrikanische Händler vom Strand in Ostia, ihrer Hochburg. In Turin wurde die in Italien geborene Diskuswerferin Daisy Osakue, die nigerianische Vorfahren hat, von Jugendlichen mit Eiern beworfen und am Auge verletzt. Mindestens zehn Personen mit dunkler Hautfarbe wurden in diesem Sommer durch Schüsse aus Luftgewehren getroffen.

Dass die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe eindeutig zugenommen hat, streiten die dafür mitverantwortlichen geistigen Brandstifter rundheraus ab. Nicht nur Salvini, auch Beppe Grillo – wortgewaltiger Begründer der mit der Lega regierenden Fünf-Sterne-Bewegung – will keinen Rassismus erkennen: Es handele sich um eine Erfindung der Medien. Denen misstraut auch Salvini. Zum Glück habe er als Innenminister seine Quellen in den Ordnungskräften, sagte er am Tag nach den faschistischen Übergriffen von Bari, ohne allerdings eine „alternative“ Version der Ereignisse vorlegen zu können. Derweil kündigte Nicola Fratoianni, Sekretär der Linkspartei Sinistra italiana, eine parlamentarische Anfrage an: Er will wissen, was die Regierung zu unternehmen gedenkt, um neofaschistische Organisationen aufzulösen. Ein gut gemeinter Vorstoß, der allerdings reichlich spät kommt – 70 Jahre hatten Italiens Demokraten Zeit, die Rückkehr faschistischer Strukturen zu unterbinden. Sie haben die Chance nicht wirklich genutzt.

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