Wird das globale Steuerregime jetzt gerechter?

Globale Mindeststeuer Was genau ändert sich mit der Reform? Welche Pfadabhängigkeiten und Ungleichheiten bleiben bestehen? Ein Blick in die Geschichte der globalen Steuerpolitik gibt Aufschluss.

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Mit dem Jahr 2024 kommt die globale Mindeststeuer. 15% müssen große, multinationale Konzerne auf ihre Gewinne fortan zahlen. „Durchbruch“, „Meilenstein“ und das „größte globale Steuerabkommen seit einem Jahrhundert“ wurde die Konvention genannt, die unter dem Dach der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verhandelt wurde. Andererseits wurde sie auch scharf kritisiert unter anderem von vielen der 138 unterzeichnenden Staaten. Viele davon haben die Konvention mittlerweile in nationale Gesetze gegossen, darunter etwa die Länder der EU, die Schweiz, Großbritannien, Australien, Japan, Vietnam oder Kanada. Mit dem Jahreswechsel ist die Mindeststeuer in diesen Ländern in Kraft getreten. Sie soll durch eine tiefgreifende Reform bestehender internationaler Regeln den Wettlauf nach unten beenden, Steuereinnahmen global gerechter verteilen und dabei mehr Einnahmen für alle generieren. Die OECD rechnet global mit jährlichen Mehreinnahmen von 150 Milliarden Euro. Um zu verstehen, was genau sich jetzt ändert und ob die Reform hält was sie verspricht, ist ein Blick zu den Anfängen der globalen Steuerpolitik hilfreich.

Geschichte des globalen Steuerregimes

Das globale Steuerregime, geht im Grunde genommen auf ein Problem des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zurück. Die Einführung der Einkommenssteuer in vielen einkommensstarken Ländern führte um die Jahrhundertwende erstmals zu der Möglichkeit der Doppelbesteuerung. Das gab es bei bisherigen Einnahmequellen von Staaten wie etwa Zöllen oder der Besteuerung von Landbesitz so nicht. Einkommen hingegen, die bei der Produktion von Waren im einen Land und dem Verkauf in einem anderen Land generiert wurden, konnten durch gleichzeitige Besteuerung in beiden Jurisdiktionen doppelte Abgaben für Unternehmen bedeuten. Insbesondere die internationale Handelskammer (ICC) monierte, das „Übel der Doppelbesteuerung“ sei eine Gefahr für freien Warenaustausch und internationale Wirtschaftsaktivitäten.

Um dieses Problem zu lösen brauchte es internationale Kooperation und Regeln dafür, in welchem Fall ein Staat auf Steuereinnahmen verzichten musste und wann sie ihm zustanden. Mit dem Völkerbund gab es nach dem ersten Weltkrieg eine feste Institution, die sich dem Vorhaben annahm und in den 20er Jahren die Grundlagen der globalen Steuerpolitik des letzten Jahrhunderts schuf. Anfangs versuchte man noch eine multilaterale Lösung zu finden, also eine Lösung der alle beteiligten Staaten zustimmen konnten. Schnell wurde jedoch deutlich, dass die Steuerpolitiken der Länder schlicht zu unterschiedlich waren und außerdem starke Interessenunterschiede bestanden, die sich nicht in einem einzigen Kompromiss vereinen ließen.

Die wohl wichtigste Konfliktlinie bestand zwischen Ländern, die Unternehmen am Hauptsitz besteuern wollten und Ländern, die Unternehmen am Ort der wirtschaftlichen Aktivitäten besteuern wollten. Hat etwa ein britisches Ölunternehmen eine Niederlassung in Mexiko, ist Großbritannien daran interessiert, die Einkommen aus diesen Investitionen besteuern zu können. Mexiko hingegen hat ein klares Interesse daran, wirtschaftliche Aktivitäten auf mexikanischem Boden auch in Gänze selbst zu besteuern. Da es nicht möglich war, sich auf eine einzige multilaterale Lösung zu einigen, wurden 1928 stattdessen mehrere nicht-bindende Modellverträge geschaffen. Diese dienten als Vorlage für zwischenstaatliche Verhandlungen und gaben jeweils Spielraum für bilaterale Kompromisse. Auf Grundlage der Modellverträge ist im Folgenden ein Netzwerk zwischenstaatlicher Abkommen entstanden.

Insgesamt hat das Hauptsitzprinzip mehr Gewicht bekommen, wobei eine vollumfängliche Aufgabe der Besteuerung vor Ort gleichwohl als unrealistisch angesehen wurde. Stattdessen wurde meist vereinbart, dass unbewegliche, permanente Niederlassungen im Gastland besteuert werden, während Dividenden und Zinssätze auf diese Investitionen am Hauptsitz besteuert werden. Das funktioniert im Regelfall über Steuergutschriften am Hauptsitz. Großbritannien besteuert also das Ölunternehmen und zieht dabei ab, was bereits in Mexiko besteuert wurde. Mexiko besteuert hingegen bloß, was es mit Großbritannien in einem Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart hat.

Nachdem die Entscheidung für die Aufteilung der Besteuerungsrechte getroffen ist, ist die Berechnung der jeweiligen Länderanteile unterschiedlich denkbar. Einerseits könnte ein Unternehmen Gewinne und Verluste aller einzelnen Tochterunternehmen in einer einzelnen Bilanz zusammentragen. Welche Anteile davon welches Land besteuern darf, ließe sich im Folgenden über Formeln errechnen. Durchgesetzt hat sich hingegen die getrennte Buchführung, bei der alle Unternehmensteile als einzelne Entitäten behandelt werden und diese getrennt Gewinne und Verluste machen. Diese Möglichkeit wird als präziser erachtet, ermöglicht allerdings auch die Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer. Dazu gleich mehr.

Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm die OECD die Arbeit vom Völkerbund. Auch die Vereinten Nationen (UN) erarbeiteten Vorschläge, die die Interessen der Länder des globalen Südens besser reflektierten. Der Einfluss der UN blieb jedoch hinter dem der OECD zurück. Einkommensschwächere Länder mahnen seither die Ungerechtigkeit des globalen Steuerregimes an, wobei die vorrangige Hauptsitzbesteuerung noch immer eines der zentralen Themen ist. Auch Versuche eigene Modellverträge zu entwickeln, die das Prinzip der Besteuerung vor Ort stärker machten, konnte an der generellen globalen Verteilungsungerechtigkeit nichts ändern.

Gewinnverschiebung und Steuerwettbewerb

Darüber hinaus ermöglichte die Architektur aus etablierten Normen und Verfahrensweisen, dass Unternehmen Teile ihrer Gewinne in Länder mit niedrigeren oder inexistenten Steuersätzen verschieben konnten. Eine Möglichkeit dazu liegt in der Vermietung von Lizenzen und Patentrechten durch Tochterfirmen in Steuerparadiesen. Liegen zum Beispiel Patente auf bestimmte Bohrtechniken und Lizenzrechte an Logos des britischen Ölkonzerns bei der Tochterfirma auf den Bahamas, dann können Gewinne anderer Konzerngesellschaften durch diw Anmietung dieser Patente und Lizenzen kleingerechnet werden. Festzustellen, welches Unternehmen wie viel Geld wohin verschoben hat, stellte sich zum Beispiel aufgrund von Bankengeheimnissen lange Zeit als fast unmöglich dar. Für Deutschland konnte das ifo Institut 2021 den Verlust für den Fiskus erstmals auf Grundlage der sogenannten länderbezogenen Berichte von Unternehmen und einem Vergleich hypothetischer und beobachteter steuerpflichtiger Gewinne beziffern. Je nachdem wie viele Unternehmen mit einbezogen werden kommt das ifo Institut somit auf Verluste zwischen 1,6 – 5,7 Mrd. Euro für den Haushalt.

Darüber hinaus kann die vorrangige Hauptsitzbesteuerung dazu führen, dass Unternehmen entscheiden ihren Hauptsitz in ein Land mit niedrigeren Steuern zu verlegen. Steuersätze werden somit ein relevanter Faktor des globalen Standortwettbewerbs. Das gibt Staaten einen klaren Anreiz die Besteuerung von Unternehmen wettbewerbsfähig, also im Vergleich zu anderen Staaten möglichst gering, zu halten. Der daraus folgende „Wettbewerb nach unten“ lässt sich anhand allgemein fallender Steuersätze ziemlich eindeutig nachvollziehen. So stellte die Nichtregierungsorganisation Tax Foundation aus den USA 2022 in einer Studie fest, dass die Körperschaftssteuer im weltweiten Durchschnitt seit den 80er Jahren von 40% auf 23% gesunken ist.

Diese möglichen Probleme waren den Vordenkern des Regimes in den 20er Jahren nicht unbekannt. Auch die Politik war nicht tatenlos. Automatischer Informationsaustausch über Finanzkonten, die gerade erwähnten länderbezogenen Berichte oder die 2017 eingeführte Lizenzschranke zur Verhinderung der Gewinnverlagerung sind nur einige Beispiele dafür. Die OECD Konvention soll diese Maßnahmen nun teilweise ergänzen oder ersetzen.

Funktionsweise der globalen Mindeststeuer

Die Konvention besteht aus zwei Säulen, die unterschiedliche Ziele und Maßnahmen enthalten und auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten implementiert werden. Die erste Säule betrifft die Besteuerung großer multinationaler Digitalkonzerne. Die bisherige Definition der unbeweglichen, permanenten Niederlassung war nicht anwendbar auf Marktplätze oder wirtschaftliche Aktivitäten im Internet. Während Unternehmen wie Google, Meta oder Amazon auch ohne physische Präsenz in einem Land Gewinne machten, waren diese vor Ort schwierig besteuerbar. Dazu soll mit der ersten Säule ein Mechanismus eingeführt werden, der die Gewinne dieser Unternehmen formelbasiert auf Staaten aufteilt. Das gilt für die ersten 7 Jahre nur für Unternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro, danach soll diese Grenze eventuell auf 10 Milliarden Euro herabgesetzt werden. Die Implementierung soll vermutlich bis 2025 abgeschlossen werden.

Die zweite Säule betrifft die hier vorrangig besprochene globale Mindeststeuer. Diese gilt für Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro. Das Land des Hauptsitzes eines Unternehmens darf, insofern andere Länder regionale Gewinne von Tochterunternehmen nicht mit mindestens 15% besteuert haben, eine Zuschlagsteuer erheben. Falls das Land des Hauptsitzes das nicht tut, dürfen das ab 2026 andere Länder tun. Dazu wird es notwendig werden, dass Unternehmen zusätzlich zur bisherigen getrennten Buchführung der einzelnen Unternehmensteile auch eine gemeinsame gesellschaftsweite Kalkulation aufstellen. Seit der Grundsatzeinigung der OECD im Juli 2021, haben weitere technische Verhandlungen stattgefunden. Die EU hat sich am 15. Dezember 2022 auf eine Richtlinie geeinigt, die in Deutschland mit einem Gesetz am 10. November 2023 umgesetzt wurde. Zum 01. Januar 2024 ist die zweite Säule in einer ersten Welle von Ländern in Kraft getreten. Davon noch ausgenommen sind die USA, bei denen vor der Wahl keine Bewegung mehr zu erwarten ist sowie China, wo bisher nicht ganz klar ist, wie genau es weiter gehen wird.

Von vielen Kommentator*innen wird die jetzt in Kraft getretene zweite Säule als Erfolg und großer Schritt in der internationalen Steuerpolitik gefeiert. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine ganze Reihe an Niedrigsteuerstaaten wie Irland, die Niederlande, die Schweiz oder Barbados zugestimmt haben. Bemerkenswert ist sicherlich auch die teilweise Abkehr von bisherigen Kernelementen wie der alleinigen getrennten Buchführung oder im Fall der ersten Säule dem Prinzip der unbeweglichen, permanenten Niederlassung.

Auswirkung und Kritik

Für den deutschen Fiskus rechnet das ifo Institut für die Mindeststeuer mit Mehreinnahmen von 1,5 – 1,7 Milliarden Euro. Das Finanzministerium schätzte die Zahlen etwas konservativer mit etwa 900 Millionen Euro ein. Weil das deutsche Gesetz vorsieht, bisherige Maßnahmen wie die Lizenzschranke in dem Zuge abzuschaffen, werden die Einnahmen in den folgenden Jahren nochmal schrumpfen. Während die Mehreinnahmen teilweise als vernachlässigbar kritisiert werden, wird vielfach auch auf den Charakter der Reform als ein politisches Projekt verwiesen. Die Erwartung ist, dass Unternehmen und Staaten ihr Verhalten den neuen Rahmenbedingungen anpassen werden. Ein Beispiel dafür sind etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, die bereits zum 01. Juni 2023 erstmals eine Körperschaftssteuer einführten. Für große, multinationale Unternehmen beträgt diese 15%.

Kritik an der Mindeststeuer kam insbesondere von Ländern des Globalen Südens. Sowohl die Positionen des Afrikanischen Steuerverwaltungsforums (ATAF) und der aus Asien kommenden Regionalen Steuer Koalition (TAFJA) wurden in den OECD Verhandlungen ignoriert. Stattdessen spiegelte der Verhandlungsprozess die Einwände von einkommensstarken Ländern mit niedrigen Steuersätzen wider, die innerhalb der EU oder der OECD ein Veto hätten einlegen können.

Viele der Länder in Afrika oder Lateinamerika haben Körperschaftssteuern in Höhe von 25-35% und die Einnahmen daraus spielen oft eine wesentlich größere Rolle als zum Beispiel in den Haushalten europäischer Länder. Wenn diese Länder jedoch nicht Standort vieler, großer Unternehmenshauptsitze sind, werden sie von der Mindeststeuer fiskalisch nicht profitieren können. Am meisten Mehreinnahmen haben perspektivisch bisherige Niedrigsteuerländer, die ihre Körperschaftssteuern nun auf 15% anheben. Mehr noch: Die Mindeststeuer wird Profitverlagerung aus Regionen mit höheren Steuersätzen nicht effektiv verhindern können. Die 15 % bergen somit die Gefahr zur „neuen Null“ zu werden, in deren Richtung sich der Wettlauf nach Unten weiter fortsetzt. Warum viele Länder der Konvention dennoch zustimmten, fasst ein Kommentar des ehemaligen argentinischen Finanzministers Martin Guzman's auf einer Pressekonferenz 2021 zusammen:

"Wir haben die Entscheidung zwischen einem schlechten Ergebnis mit dem Abkommen und einer noch viel schlechteren Situation ohne.“

Der französische Think Tank EU Tax Observatory kritisiert darüber hinaus, dass die Mindeststeuer neue Schlupflöcher schaffen würde. So ist es teilweise möglich, Unternehmen niedrigere Steuersätze als 15% Prozent anzubieten, insofern diese ausreichend realwirtschaftliche Aktivitäten im Land vorweisen können. Außerdem gehen Steuergutschriften nicht in die Berechnung bereits gezahlter Steuern ein. Das könnte Niedrigsteuerländer dazu bewegen fortan einfach großzügiger Steuergutschriften zu verteilen, obwohl sie auf dem Papier die 15% erheben.

Wie genau Staaten und Unternehmen ihr Verhalten anpassen werden, wird sich erst zeigen müssen. Auch wenn die Reform in einigen Aspekten eine Abkehr von bisherigen Pfadabhängigkeiten ankündigt, geben die neuen Schlupflöcher und die erneute Benachteiligung der Länder des Globalen Südens doch mindestens Grund zur Sorge. Vielleicht bleibt am Ende dennoch ein wenig Hoffnung, dass folgende Reformanstrengungen nicht wieder ein ganzes Jahrhundert auf sich warten lassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jeremy Oestreich

Masterstudent Politikwissenschaften. Schreibe hier über Themen, die mich aktuell bewegen.

Jeremy Oestreich

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