Das Unrecht des Selbstgerechten

Wendt Auf die Verfehlungen des Rainer Wendt kann man mit Häme reagieren. Damit bagatellisierte man jedoch den polizeilichen Rechtsaußen.

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Ups! - Das war zumindest mein erster Gedanke, als bekannt wurde, dass sich Rainer Wendt seit nun mehr zehn Jahren für einen Job bezahlen lässt, den er nicht ausübt. Da war also wieder einer, einer dieser Law-and-Order-Schreihälse, denen vor lauter Wut and Profilierungsdrang leider nicht mehr auffiel, dass sie sich selbst irgendwo zwischen Grauzone und Kriminalität selbst bereicherten. Das ist in Deutschland bekanntlich keine Schande. Uli Hoeneß sitzt wieder in Amt und Würden, Schäuble passt auf, dass auch keine Million zu viel über den Tisch geht und Alice Schwarzer darf weiterhin pathetisch die Moralstimme der Nation darstellen. Zumindest, wenn es um irgendetwas mit Frauen geht. Warum sollte es also bei Wendt anders laufen?

Leise wegtreten, Problem vertagen

Anders laufen dürfte es dann, wenn Wendts Verfehlungen justiziabel werden. Einen vorbestraften Polizisten als Vorsitzenden der DPolG, das wäre sicher auch für die Rechtsaußengewerkschaft zu viel. Vor allem dann, wenn das Strafmaß eine Entlassung aus dem Polizeidienst notwendig machte. So erfreulich der Abgang Wendts für das politische Klima in Deutschland auch sein mag, es verdeckt jedoch das Problem, welches der Personalie Wendt inhärent ist und welches seit zehn Jahren häufig Beachtung findet, aber kaum zu anhaltenden Diskussionen führt: Wie in einem Rechtsstaat mit einer Personalie wie Wendt - vor allem politisch - umgehen?

In der BRD gibt es gut 300.000 Polizistinnen und Polizisten. Die DPolG vertritt nach eigenen Angaben etwa 94.000 von ihnen. Das wäre beinahe ein Drittel. Eine kleine Spartengewerkschaft innerhalb der Polizei, wie häufig suggeriert wird, ist sie kaum - wenn auch merklich kleiner als die GdP. Gleichwohl: Es gilt zu bedenken, dass etwa 1/3 der deutschen Polizeibeamtinnen und -beamten sich von dieser Gewerkschaft vertreten fühlen. Und dass diese Gewerkschaft ihren Vorsitzenden mit einem Wahlergebnis bestätigt, wie wir es zumeist aus Ländern wie Weißrussland kennen - oder eben der Wahl zum CDU-Vorsitz. Dies vor Augen sollte man an zehn gemeinsame Jahre mit Rainer Wendt zurückdenken.

Der Rechtsstaat hindert nur

Betrachtet man die gewerkschaftspolitische Karriere des Rainer Wendt, so bekommt man schnell den Eindruck, dass er wahrscheinlich jedes Grundrecht schon einmal als hinderlich für die Polizeiarbeit betrachtet hat. Ein Zaun sollte man um Deutschland bauen, mit Gummigeschossen Demonstrationen auflösen und überhaupt müssten polizeiliche Maßnahmen weh tun, damit sie auch wirken. Dass Rainer Wendt den, inzwischen als rechtswidrig eingestuften, Einsatz im Rahmen von Stuttgart 21 begrüßte und löblich fand, ist in diesem Sinne nur folgerichtig. Man könnte Wendts Forderungen als populistisch abtun, ihm den nötigen Intellekt absprechen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen oder ihm allgemeines Desinteresse im Umgang mit Inhalten unterstellen, die seinem eigenen Weltbild widersprechen. Dies alles wäre wahrscheinlich richtig, gleichwohl würde man dem Problem damit nicht gerecht.

Denn wenn Wendt Gerechtigkeit durch Lynch - oder zumindest Vergeltungsjustiz fordert, den deutschen Polizisten an sich als den Heroen darstellt, der die Gesellschaft vor ihrem Untergang durch die freiheitlich-demokratische Grundordnung schützt, so tut er dies nicht am Kneipentresen oder im Rahmen einer doch deutlich zu lang andauernden Familienfeier, sondern als relevante Stimme im öffentlichen Diskurs, als besonders Berechtigter, weil er in Anspruch nehmen darf, für viele Weitere zu sprechen.

Die Polizei und der Rechtsstaat

Wendt tut dies staatlich gefördert. Der zweifelhafte Deal, der über die politischen Lager hinweg getragen wurde, stellt die finanzielle Grundlage für seine Dauerpräsenz dar. Und noch einmal: Wendt darf für sich in Anspruch nehmen, für fast ein Drittel der deutschen Polizeibelegschaft zu sprechen. Wenn Wendt mit rechtsradikalen Medien kooperiert, so tun dies 94.000 Polizistinnen und Polizisten. Wenn Wendt die Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen will, so tun dies 94.000 Polizistinnen und Polizisten. Wenn Wendt Grundrechte abschaffen will, so tut er dies im Namen von 94.000 Polizistinnen und Polizisten. Wendts möglicher Fall bringt zwar mit sich, dass es einen markanten rechten Hetzer weniger zu ertragen gilt. Er befreit uns aber nicht davon, dass wir uns dazu verhalten müssen, dass fast ein Drittel der deutschen Polizei den Rechtsstaat, den sie als Exekutive zu vertreten und verteidigen hat, als für ihre Arbeit hinderlich betrachtet oder gar in weiten Teilen abschaffen will. Mit diesem Problem haben wir uns zu befassen, unabhängig davon, ob sich ein egozentrischer Hauptkommisar ein paar hundertausend Euro eingesteckt hat, die ihm nicht zustehen.

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