Hauptsache Drauf

Connewitz Was geschah an Silvester am Connewitzer Kreuz? Wir wissen nur: Nicht das, was die Polizei behauptet.

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Von Unmenschen spricht Torsten Schultze, Polizeipräsident in Leipzig, und von einem geplanten Hinterhalt im Interview mit der ZEIT. Auch der obligatorische Hinweis auf den G20-Gipfel darf nicht fehlen. Und ja, die Parallelen sind frappierend. In beiden Fällen werden die Abläufe nie endgültig geklärt werden; in beiden Fällen gilt auch: Die Polizei streute massiv falsche Informationen. Alles andere sind mehr oder weniger fundierte Spekulationen.

Ein Einkaufswagen als Kampfsignal

Zu den wenigen gesichterten Informationen gehört ein brennender Einkaufswagen. Dieser wurde, das ist unstrittig, auf das Connewitzer Kreuz geschoben. Ob es sich um mehrere Personen oder eine Einzelne handelt, scheint unklar. Was genau die Polizei darunter versteht, dass dieser Einkaufswagen in Richtung einer Gruppe von Polizist*innen geschoben wurde, bleibt wohl ihr Geheimnis. In dem Video, welches die Leipziger Internetzeitung gesichtet hat, ist in jedem Falle keine Einsatzeinheit zu sehen. Dass sich irgendwo in Schubrichtung eine Einsatzeinheit befunden habe, ist natürlich nicht auszuschließen. Folgt man den Aussagen der Zeug*innen, gab es quasi keine Richtung, in der keine Einheit gestanden habe.

Dies aber, so Schultze, sei der Hinterhalt gewesen, der gestellt wurde, um Polizeieinheiten zu attackieren. Beim Versuch zu handeln, so Schultze, seien die zwei Beamten von ihrer Gruppe getrennt worden. Nur, folgt man der LIZ, kippte der Einkaufswagen einfach in den Straßenbahnschienen um. Die Auseinandersetzung fand an anderer Stelle statt. Das dürfte auch Schultze bekannt sein; auch wenn ihm, wie er im Interview betont, eigentlich nicht wirklich irgendetwas bekannt ist. Es bleibt also zu fragen, warum ein Polizeipräsident in einem Interview vor allem über seine Unkenntnis des Sachverhaltes redet, dazwischen längst zurückgezogene Falschbehauptungen aufwärmt, um ein Szenario eines wohlgeplanten Bürgerkriegs zu zeichnen, wo doch keine der bisherigen Informationen dieses nahelegen.

Gekipptes Kampfesglück

Wer, wie eine rechte Phalanx von Jungen Nationalisten, Unionspolitikern, AfDlern und rechten Kommentatoren es tut, nun das Bild von Gut gegen Böse zeichnet, mit den schillernden Rittern in Polizeirüstung auf der einen, und dunklen linken Outlaws auf der anderen Seite, wird dem Konflikt nicht gerecht. Denn die Frage, wie rechts die Polizei ist, lässt sich in Leipzig recht leicht beantworten: Sehr. In Zeiten der rechtsradikalen Legida-Aufmärsche fantasierten die Leipziger gerne mal das dreifache der tatsächlichen Teilnehmer*innenzahlen herbei, was den Veranstaltungen mehr Bedeutung verlieh. Darüber hinaus gab - und vermutlich: gibt - es gute Vernetzungen zwischen Polizei und Naziszene. In diesem Kontext sollen auch personenbezogene Daten in die Naziszene weitergereicht worden. Die Auseinandersetzungen zwischen der linken Szene und der Polizei haben in Leipzig also durchaus einen persönlichen Charakter.

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Darstellung in der LIZ auch besser verstehen: In Unterzahl geraten wendete sich das Kriegsglück der zwei ausgebrochenen Beamten, statt auszuteilen, mussten sie einstecken. Das muss nicht gut geheißen werden und es entschuldigt vor allem in keiner Weise, dass nicht von dem Beamten abgelassen wurde. Auch der - sicherlich vollkommen berechtigte - Hinweis, dass Polizist*innen ähnlich handeln, hilft dort nicht. Fremdes Fehlverhalten berechtigt nicht zu eigenem Fehlverhalten. Aber es wirft wohl ein realistischeres Bild auf die Situation am Connewitzer Kreuz: Kein Terrorismus, kein Hinterhalt, kein Mordversuch - eine banale Auseinandersetzung.

Glückssuche im Autoritären

Tatsächlich bedenklich ist der Ruf nach autoritären Maßnahmen im Nachgang. Vergessen scheinen die Berichte über Nazinetzwerke in verschiedenen Dienststellen, die Waffenlager und Todeslisten, welche ehemalige und aktive Polizisten und Soldaten gemeinsam angelegt haben. Denn im Fall Connewitz gilt: Jegliche Kritik an der Polizei verbietet sich, sogar die banale Feststellung, dass die Polizei falsche Informationen verbreitete, wird aus bürgerlichen Kreisen mit aufrichtiger Empörung als Majestätsbeleidigung zurückgewiesen. Das ist nicht nur eine bemerkenswerte Auffassung der eigenen Kontrollfunktion, es nimmt auch jede Möglichkeit, sich ernsthaft mit polizeilichem Fehlverhalten zu befassen. Folgt man den Aussagen von Juliane Nagel, die, im Unterschied zu den meisten Kommentator*innen tatsächlich vor Ort war, war eine möglichst angespannte Stimmung das Ziel des Polizeieinsatzes. Das wäre nicht unüblich. Würde aber natürlich dabei stören, das Szenario eines neuen Linksterrorismus zu verbreiten.

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