Ausstieg im Hinterzimmer

KOMMENTAR Der Durchbruch in den Atomgesprächen

Ob die klandestinen Geplänkel im Kanzleramt nun ein Ende haben könnten? Jetzt, da fast alles geklärt zu sein scheint und der letzte Meiler in den Zwanzigern vom Netz gehen soll. Wahrscheinlich nicht. Denn die eigentliche Hinterzimmertaktik hat erst vor kurzem begonnen. Wie, fragte man sich kurz nach der Regierungsübernahme, sollte so ein Atomkonsens überhaupt zu bewerkstelligen sein, wenn die Front der Energiebosse, die zusammenhielten, wie die Quarks im Nuklearkern, am Verhandlungstisch von den freien Radikalen der Koalitionsbank umwirbelt wird, mal Schröder, mal Müller, mal Fischer, mal Trittin? Die Manager von Veag, Viag, EnBW und RWE beeilten sich, nach Verhandlungsschluss alles wieder in Frage zu stellen. Börse und Aktienanleger dankten, wenn sie 45 Jahre Restlaufzeit forderten oder Unsummen von Terrawattstunden als Reststrommenge.

Aber dann bat der Kanzler nach den Gesprächen die Manager im März flugs zum Essen statt vor die Mikrofone und verlegte die Konsensgespräche auf Staatssekretärsebene, wo fortan Beamte, die der Atomwirtschaft schon mit einem Dienstherrn Fischer als hessischen Umweltminister im Nacken gesessen hatten, an Ausstiegsmodalitäten und nicht mehr am Krawattenknoten zupften. Auf einmal war zwischen die Koalitionäre kein Keil mehr zu treiben, während beim Gegenüber die langsame Kernzersetzung einsetzte. Die einen erhofften sich von der wieder erstarkten Union Rückendeckung für ein völliges Scheitern der Konsensgespräche, die anderen saßen aber schon längst am Rechenschieber und malten sich den strategischen Vorteil aus, sollten sie mit ihren Atommeilern nur ein bisschen länger am Netz bleiben als die Konkurrenten - darunter vor allem der RWE-Chef Dietmar Kuhnt, der die Laufzeit für das AKW Mülheim-Kärlich, das nie in Betrieb genommen werden wird, seinen anderen Atommeilern aufschultern will.

Und gerade, weil der Durchbruch in den Atomgesprächen erst möglich wurde, weil die Energiebosse nicht mehr mit einer Stimme sprachen, ist der Erfolg ein brüchiger und alles Ausgehandelte in Zukunft noch leichter kündbar. Das klandestine Klima wird sich fortsetzen, das belastete Wort Konsens aus dem Wortschatz gestrichen werden, breit lächelndes Händeschütteln vor Fotographen und Kameraleuten nicht zugelassen sein. Nur so können alle ihr Gesicht wahren. Dazu gehört auch, dass Trittin und Müller sich vor einer Atomnovelle hüten werden, die zum parlamentarischen Zankapfel und die Verhandlungen gerichtlich angreifbar machen würde. Das Ende der Atomkraft wird nicht mehr mit dem Aus für Biblis A in zwei oder drei Jahren besiegelt, wie es sich die Grünen lange gewünscht haben, sondern sich schleichend einstellen müssen: mit den Investitionsentscheidungen der Stromerzeuger für neue und erneuerbare Energien und das braucht weiter Dissensdruck.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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