Es ist schon ein paar Jahre her, da habe ich bei einem Verlag ein Buchkonzept eingereicht. Der Arbeitstitel hieß „Die Kunst des Gebens“. Ich wollte dafür mit Menschen sprechen, die im weiteren Sinn gastronomisch tätig sind. Die Idee entstand nach dem Sommer 2015, als Willkommenskultur anfing, zu einem Begriff zu werden. Gastlichkeit oder neudeutsch „Hospitality“, das ist doch nicht nur was Ehrenamtliches, darunter fallen doch Pflegeberufe genauso wie Tätigkeiten in karitativen Einrichtungen, dachte ich. Und: Leib und Seele werden doch nicht nur von Essen und Trinken zusammengehalten, sondern vor allem in der Zuwendung, die sich darin ausdrückt. Gastronomische Tugenden wollte ich dort verorten, wo man sie am wenigsten vermutete. Aber wo sie v
e vielleicht noch am besten gepflegt werden.Ich brauchte einige Zeit, um diese Perspektive zu entwickeln. Wenn ich mir die ersten Folgen dieser Kolumne ansehe, dann ging es um Bratkartoffeln und Risotto, um Spargelschäler oder Küchenmaschinen. Der Koch schrieb über Zubereitungsmethoden, Küchenwerkzeug, manchmal sogar über die Etikette bei Tisch. Im Laufe der Jahre thematisierte ich Esskultur, Ernährungspolitik und nahm die Emanzipation des Geschmacks in den Fokus. Der Linken wird immer nachgesagt, sie habe keinen. Das ist selbstverständlich ein Irrtum. Es wurde nie langweilig, mir jedenfalls nicht. Und wenn der Appetit des Publikums mal nachließ, gab es ein bewährtes Rezept: Themen wie Fleisch und Lebensmittelpreise sorgen immer für Aufmerksamkeit.In den über dreihundert Folgen dieser Kolumne schrieb ich über Gastronomie aber selten, und fast nie über einzelne Restaurants. Diese Spalte hier sollte keine Gastrokolumne sein, wie so viele, die sich über den Koch und seine Teller beugen, als seien es Werke eines Künstlers: Handschrift, Timbre, Autorenküche – mit diesen Begriffen lässt sich der Zeitgeist des letzten Jahrzehnts in Gourmetrestaurants am besten umschreiben, in dem Küchenchefs Popstar-Rang erhielten. Wer das Gemüse schnitt oder bediente, war vielen von ihnen aber lange herzlich egal. Sie entwickelten die Kulinarik weiter, in der Gastronomie aber blieb einiges liegen. Es war Hybris, das färbte ab und rächte sich: Schon vor der Pandemie zeichnete sich ab, dass der Personalmangel für das ganze Gewerbe existenziell werden würde. Nehmen wir mal an, dass sich in Deutschland zum Allgemeinwissen entwickelt hat, was „al dente“ bedeutet. Aber was bringt das, wenn niemand mehr da ist, um Nudeln an den Tisch zu bringen?Mich beschäftigt die Frage mehr denn je, auch wenn mein Buchkonzept damals keinen Gefallen fand. Gastronomische Aspekte sind für mich jüngst immer wichtiger geworden, erst in der Kolumne, aber dann auch im richtigen Leben. Kurz gesagt: Der Koch interessiert sich fürs Kellnern, ja, auf einmal sogar für das Wirtsein. Der Grund ist auch: Es gab da einen Gasthof, er war frei. Dort werde ich mich künftig ganz handfest und überhaupt nicht theoretisch mit der Kunst des Gebens auseinandersetzen.Daher verabschiede ich mich heute von ihnen. Ab nächstem Monat wird Johannes J. Arens mich hier vertreten. Ich kenne ihn seit Langem, er ist Kulturwissenschaftler, er beobachtet von Köln aus nicht nur, was in Deutschland auf die Teller kommt, sondern auch in Frankreich. Er ist ein vortrefflicher Autor, und ich freue mich sehr, dass er vorübergehend übernehmen will. In der Zwischenzeit beschäftige ich mich mit dem Innenleben von Schankanlagen, Großküchenlüftungen, habe mit Lebensmittelkontrolleuren zu tun und werde Gäste aus einer völlig anderen Perspektive kennenlernen. Ach, es hat schon angefangen. Deswegen weiß ich: Davon wird zu berichten sein.