Siegeszug mit Würde

Der Koch Die Welt isst Franzbrötchen. Unser Kolumnist ebenfalls
Ausgabe 06/2017
Das wird man ja wohl noch backen dürfen: Die Franzbrotisierung des Abendlandes
Das wird man ja wohl noch backen dürfen: Die Franzbrotisierung des Abendlandes

Foto: Westend61/Imago

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, Gratulation. Nicht für die Eröffnung der Elbphilharmonie, nein, für ein anderes Kunstwerk. Das Franzbrötchen hat es in die ganze Republik geschafft. In München, in Berlin, in Leipzig, im billigsten Backshop sehe ich nun die süßen gerollten Teilchen mit Zimt und Zucker. Und das Bemerkenswerte daran: Es ist irgendwie so geschehen, wie im Flug unter dem Radar.

Die gastronomische Welt ist immer mehr von Trends und Moden bestimmt. Zu Jahresbeginn melden sich Berufene und erklären, was in wird. 2017 sollen es die Knochenbrühe, Algen, lila Gemüse oder alkoholfreie Cocktails werden, je nachdem, wen man fragt. Nur das Franzbrötchen, das hatten die Food-Fashionistas nie auf dem Zettel. Keine Social-Media-Kampagne, kein Twittersturm hat es unterstützt. Ist ja auch irgendwie hamburgisch, den Siegeszug mit Understatement voranzutreiben. Und der ist sogar dokumentiert. Ein Franzbrötchen-Fan sammelt auf einer Website Fundorte: von Schopfheim an der Schweizer Grenze bis nach Ahrenshoop an der Ostsee. Franzbrötchen-ähnliche Gebilde wurden zudem in der Mongolei, Argentinien und Singapur gesichtet.

Das Understatement steckt schon im Namen. Das Franzbrötchen hat mit Brot nichts zu tun. Es ist ein Mix aus einem französischen Croissant und einer skandinavischen Zimtschnecke. Hier könnte der Grund für die Popularität liegen. Skandinavien ist ja gerade ziemlich angesagt, die jüngere Generation definiert sich mit Schaffell und heißem Apfelsaft einen Zustand neu, den die Eltern mit „Gemütlichkeit“ meinten. Das Franzbrötchen, diese deutsche Zimtschnecke, ist ziemlich hyggelig.

Auch sympathisch: Um sein Aussehen schert es sich kaum. Es sieht so aus, als ob ein Bäcker einst beim hilflosen Versuch, ein Croissant zu rollen, frustriert auf den Teigfladen geschlagen hätte. Weil alle Mühe nutzlos blieb, füllte er das verunglückte Gebäck mit Zucker und Zimt. Ich kenne Menschen in der Hansestadt, die halten das „gedrückte“ Franzbrötchen für das eigentliche Nonplusultra. Dafür werden Zucker und Zimt zwischen einige Teiglagen gestreut und die Unterseite dann irgendwie nach oben gezogen und angedrückt, damit die Butter nicht aus dem Gebäck laufen kann. Optisch drängt sich dabei Donald Trumps Haarmatte auf, wenn er aus dem Bett kommt – und soll es wohl auch. Für die bekanntere Variante, das „gedrehte“ Franzbrötchen, wird der Teig mit Zimt und Zucker bestreut und aufgerollt. Die Rolle wird in Stücke geschnitten, die dann mit einem Löffelstiel in der Mitte eingedrückt werden.

Über die Geschichte des Franzbrötchens ist wenig bekannt. Eventuell hieß besagter Bäcker Thielemann und kam aus Altona. Eventuell brachten auch die Finnen das Gebäck an die Elbe. Das Franzbrötchen heißt dort Korvapuusti und sieht identisch aus. Nur mit einer Legende muss man aufräumen: dass Thomas Mann dem Brötchen in den Buddenbrooks ein Denkmal gesetzt habe. Der Hausarzt der Familie empfiehlt im Roman „Taube mit Franzbrot“, um sich von der Völlerei zu erholen. Franzbrot hieß im Norden schon immer das einfache französische Weißbrot, also ein Baguette.

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, ich mag euer Teilchen auch. Nur eines ist schade. Früher bin ich nach der Ankunft im Hamburger Hauptbahnhof gleich zum Bäcker gelaufen. Erst dann fühlte ich mich in Hamburg angekommen. Jetzt hab ich das Franzbrötchen meist schon im Zug verspeist.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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