Nervöse Märkte

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Die Märkte müssen wieder Vertrauen fassen. So oft schon hat die Börsenreporterin von b-tv in den letzten Monaten diesen Spruch gehört. Nach dem live übertragenen Interview mit dem Analysten der Ostwestfälischen Landesbank fasst sie selbst Vertrauen zu diesem angegrauten Fachmann, den sie schon häufig vor dem Mikrofon hatte, und stellt ihm endlich die Frage, die sie schon lange bewegt.

„Sie sprechen immer wieder von diesen Märkten und ihren Befindlichkeiten, als hätten Sie persönliche Kontakte zu ihnen. Stimmt das?“

Der Finanzexperte überzeugt sich, dass das rote Lämpchen an der auf ihn gerichteten Kamera erloschen ist, tritt dann sehr nah an die attraktive Frau heran.

„Ja, das kann man tatsächlich behaupten. Ich kenne die Märkte persönlich.“

„Warum werden die denn immer gemeinsam genannt, wie siamesische Viellingle?“

Um der Blondine noch etwas näher kommen zu können, senkt er seine Stimme weiter.

„Ein schöner Vergleich, den sie da benutzen. Stimmt schon, allein trifft man keinen von ihnen an, immer nur im Rudel. Das hat eben etwas mit jenem ach so wichtigen Vertrauen zu tun, einzeln könnten sie das nie aufbringen, nur ganz dicht beieinander.“

Nun schaut die Reporterin doch etwas verunsichert auf den Mann, dessen Nasenspitze fast schon ihre Wange berührt.

„Und, äh, wo sind sie denn eigentlich anzutreffen? Ich will ja nun nicht so naiv sein zu fragen, wo sie wohnen.“

„Ha, wieder so eine nette Metapher, sie sind wirklich eine professionelle Journalistin. Fast könnte man behaupten, dass die Märkte in der Wall Street wohnen. Viele glauben das auch. Und dann eben noch so Zweitwohnungen in Tokyo, Frankfurt, Hongkong. Aber wenn man sie da besuchen will, ist nie jemand da, es gibt nur einen Briefkasten.“

Eigentlich bereut die Reporterin schon ihre Neugier, will darum mit einer aggresiv vorgetragenen Bemerkung das Gespräch abbiegen.

„Na ja, also wenn diese Märkte, ihre Bekannten, um nicht zu sagen Freunde, nirgendwo zu Hause sind, ist das wohl der Grund, dass sie auch keine Hausordnung einhalten müssen. Eigentlich hinterlassen sie ja jede Menge Dreck. 2008 war die Schweinerei besonders groß. Aber mal feucht durchgewischt hat da keiner von den Herrn.“ Sie überlegt kurz. Ja, der Markt, also eindeutig männlich. Glück gehabt. „Da müssen dann immer die Regierungen ran, damit die Märkte sich wieder beruhigen wegen des selbst produzierten Auswurfs. Doch die Regierungen machen es ja im Endeffekt auch nicht selbst, sondern wir, also ich vielleicht nicht und sie nicht, aber die kleinen Leute eben.“

„Wunderbar, wie Sie das so sagen! Auch wenn es nicht stimmt. Was glauben Sie denn, wie wir Banker täglich Dreck wegschaufeln. Und Sie selbst sind doch auch bei den Reinigungsaktionen dabei. Jeden Morgen zehn vor Neun schauen Ihnen Hundertausende Kleinanleger auf die gar nicht so kleinen, äh, Augen und hoffen, gute Nachrichten zu hören oder zumindest nett verpackte schlechte, das können Sie doch hervorragend.“

Im Versuch, Abstand zu gewinnen, sagt sie: „Dass sie, also die Märkte, sich manchmal so daneben benehmen wegen ihrer Nervosität, liegt ja vielleicht an der Nähe, am andauernden beieinanderhocken. Das kennt man ja von U-Bootbesatzungen, Klöstern, Raumstationen oder Ehepartnern. Vielleicht sollten sie mal eine Auszeit voneinander nehmen?“

„Diese Frage kommt häufig von Laien. Damit meine ich sie jetzt natürlich nicht, sie transportieren ja nur Gefühlslagen ihrer medialen Klienten. Aber wir Psycho-Analysten wissen natürlich, dass sowas gar nicht geht. Da sollten sich eigentlich schlecht bezahlte Reinigungshelfer gar nicht einmischen. Das trägt nur zur Nervosität der Märkte bei, wenn da jeder eine Meinung haben darf.“

„War ja nicht so gemeint. Aber da sie schon auf Ihren Beruf eingehen: Von den Märkten kenne ich zwar alle Fieberkurven, aber kein Gesicht.“

„Genau. Das ist eben auch so ein Irrtum, etwa Ackermann oder Strauss-Kahn für Gesichter der Märkte zu halten. Solch ein Fehler kann nur Amateuren unterlaufen. Diese Leute werden nie nervös, zeigen voller Vertrauen das Victory-Zeichen und andere Dinge. Ganz anders die Märkte, wegen ihrer Verunsicherung sind sie so scheu und sieht man sie nie korrekt abgebildet.“

„Aber Sie haben welche direkt gesehen?“

Sie bemerkte, dass er gerade mit den Fingern ein V formen wollte, ihr dann aber doch lieber einen leichten Klaps auf den Po gab, der im anthrazitfarbenen Nadelstreifenkostüm steckte.

„Ja schon. Aber mal eine andere Frage. Haben Sie heute abend schon was vor?“

„Ich glaube ja. Ich habe da so eine Einladung, will wen kennenlernen.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jens kassner

Subjektives zu Politik, Kultur und anderen schönen Dingen

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