Noch so eine Generation

Eisenkinder Sabine Rennefanz scheitert am Porträt der ostdeutschen Wendekinder

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Die Liste der mit einem bestimmten Titel versehenen „Generationen“ ist um einen Eintrag reicher. Sabine Rennefanz hat ihr den Namen Eisenkinder gegeben. Der Untertitel nennt sich Die stille Wut der Wendegeneration. Ziemlich willkürlich wird damit die Altersgruppe eingegrenzt, die in der Zeit von Mauerfall und Vereinigung zwischen 8 und 16 Jahre alt war, im soziologischen Sinne also nicht einmal eine halbe Generation.

Nach dem Lesen des Buches ist aber ohnehin klar, dass es nicht um diese wasweisichwieviel Tausende Personen umfassende peer group geht, sondern vor allem um Sabine Rennefanz. Geboren in einem winzigen Kaff im Oderbruch, verschlief sie Schabowskis Nachricht über die neue Reisefreiheit in einem Eisenhüttenstädter Internat, wo sie in die Erweiterte Oberschule, also das Gymnasium, ging. Nach dem Abitur, zwei Jahre später, studierte sie zunächst in Berlin-West, dann in Hamburg Politikwissenschaften.

Was hat das alles nun mit der NSU-Zelle zu tun, die im einleitenden Abschnitt, gelegentlich zwischendurch, und nochmals im Endteil erwähnt wird? Schwer zu sagen. Rennefanz ist ungefähr so alt wie die drei terroristischen Neonazis. Und sie ist aus dem Osten. Aus diesen zwei Fakten wird eine Klammer konstruiert. Zu Beginn heißt es: Taucht ein Problem in Ostdeutschland auf, wird es gleich zum „typisch ostdeutschen“ Thema. Gibt es in Westdeutschland ein Problem, ist es gesamtdeutsch. Gegen diese Schematisierung anzuschreiben, damit auch gegen die Behauptung, die Taten von Mundlos, Böhnhard, Tschäpe seien in der ostdeutschen Sozialisation begründet, ist Anliegen der Autorin. Behauptet sie jedenfalls. Und erzählt darum ihren eigenen Lebensweg. Dieser führte sie, eher zufällig wegen einer WG-Mitbewohnerin, in Hamburg in die Anskar-Kirche, eine aggressiv evangelikale Freikirche. Bisher Ungläubige, lässt sie sich dort nicht nur taufen, sondern entfaltet auch einen missionarischen Eifer, der sie bis Karelien führt. Es war nur eine Frage, wer mich zuerst ansprach schreibt sie. Es hätte also auch Christian Worch sein können, ein anderer Hamburger. Und: Ich fiel in meine angelernte Rolle zurück, keine Fragen zu stellen.

Nach diesem Erklärungsschema hätten praktisch alle ostdeutschen Angehörigen dieser Altersscheibe auf irgend eine Weise radikal werden müssen. Keine Eisenkinder also, sondern Knete-Kinder. Dass auch Teenager 1989 an den Protesten beteiligt waren und eben unbequeme Fragen stellten, wird ausgeblendet, sieht man von einer leicht aufmüpfigen Freundin in der Abi-Klasse ab. Und die Behauptung, dass nun gerade diejenigen, die noch in der Entscheidungsphase für den weiteren Weg waren, am härtesten von den Umbrüchen getroffen wurden, ist nicht schlüssig. Hatten es etwa jene leichter, die gerade mit einem Studium fertig waren, das nun plötzlich keinen Wert mehr besaß?

Sabine Rennefanz, das schüchterne bis verklemmte Mädchen aus der tiefsten Provinz, auf das schon Eisenhüttenstadt beängstigend wirkte, macht aus ihrer Radikalisierung eine allgemeingültige Schablone. Damit zementiert sie letztlich das Klischee, das sie doch widerlegen wollte. Schon die Tatsache, dass alle ihrer Schwestern und Brüder in dieser Sekte Westler waren, widerspricht dem eigentlich.

Das Buch ist vor allem eine Autobiografie. Rennefanz, die für Blätter wie Die Zeit oder Berliner Zeitung gearbeitet hat, kann erzählen, ohne dass es langweilig wird. Sie hatte auch die Chance, daraus ein Thema zu machen, dass über ihre nicht sonderlich ereignisgeladene Story hinausreicht. Dafür hätte sie die Erfahrungen anderer christlicher Fundamentalisten, noch aktiv oder so wie sie ausgestiegen, einbeziehen müssen. Stattdessen baut sie die in keiner Weise plausible Verbindung zum Nationalsozialistischen Untergrund. Es lässt sich vermuten, dass ein Lektor des Verlages gesagt hat: Hey, Mädchen aus der östlichsten Provinz, wenn wir deine Geschichte drucken sollen, ist noch ein kräftiger Aufhänger nötig, vielleicht diese Nazis. Doch Sabine Rennefanz hat schon vor dem Buch einen Essay „Uwe Mundlos und ich“ geschrieben, der auch einen Preis erhielt. Offenbar ist diese Scheinanalyse einer Generation, die keine ist, und vor allem nicht so ist, ihr eigenes Werk.

Sabine Rennefanz

Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration

Luchterhand München, ISBN 978-3-630-87405-0

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Geschrieben von

jens kassner

Subjektives zu Politik, Kultur und anderen schönen Dingen

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