Die Mafia ist kein Fremdkörper

Interview Öffentliche Gelder, Giftmüll, Drogenhandel: Mafia-Expertin Petra Reski im Interview über die Geschäfte der Mafia in Nordrhein-Westfalen und ihren neuen Roman

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Neapel und das umgebende Kampanien ersticken im Müll. Über Jahrzehnte hinweg verscharrten Mafia-Clans der Camorra systematisch Giftmüll unter der Erde. Einer der Clans unterhielt auch Verbindungen nach Dortmund, nach Frankfurt, Berlin und Baden-Baden, wie ein Ende 2013 veröffentlichtes Vernehmungsprotokoll aus dem Jahr 1997 zeigt. Mafia-Expertin Petra Reski spricht im Interview über die Organisierte Kriminalität in Deutschland und ihren soeben erschienenen Roman "Palermo Connection".

Frau Reski, wurde Giftmüll aus NRW illegal von der Mafia in Kampanien entsorgt?

Das ist anzunehmen. Der Giftmüll kommt aus der ganzen Welt. Warum nicht aus Nordrhein-Westfalen. Die illegale Giftmüllentsorgung ist ein Haupterwerbszweig der Camorra. Die italienischen Mafiaorganisationen haben sich schon lange auf die Manipulation öffentlicher Aufträge spezialisiert. Ein italienischer Regisseur hat einen sehr spannenden Kinofilm darüber gedreht: „Ein ruhiges Leben“.

Laut Unterlagen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz wurden bis vor wenigen Jahren legal Tausende Tonnen Müll - auch Giftmüll - aus NRW nach Italien exportiert...

Man sollte sich fragen, wo die geendet sind. Dazu müsste man in Italien recherchieren. Allerdings wurde das Problem in jeder Hinsicht verbuddelt. 1997 hat der damalige Innenminister Giorgio Napolitano, heute Staatspräsident, dafür gesorgt, dass Unterlagen wie die Aussagen des abtrünnigen Camorra-Bosses Carmine Schiavone unter Verschluss blieben. Nachforschungen wurden immer nur von einzelnen betrieben.

Sind die Kontrollen in Deutschland also nicht streng genug hinsichtlich der Abfallentsorgung?

Das liegt nahe - und Mafiaorganisationen wie die Camorra leben davon. Mir wurde mal erzählt, wie ein Mafioso in Deutschland ein altes Bundeswehrgelände aufkaufte, dessen verseuchter Boden hätte entsorgt werden müssen. Er baute stattdessen Altenheime darauf und kassierte zweierlei öffentliche Gelder: für die Entsorgung und für die Altenheime. Der Boden wurde aber nicht saniert und die Altenheime wurden auf verseuchtem Gelände gebaut. So etwas ist in Deutschland möglich.

Köln, Düsseldorf, Duisburg, Leverkusen gelten als starke Mafia-Standorte: Wo ist die Mafia in Nordrhein-Westfalen besonders stark und mit wem hat man es da jeweils zu tun?

In Duisburg sind es die Clans Pelle-Romeo und Nirta-Strangio, neben etlichen anderen. Das sind die stärksten 'Ndrangheta-Clans in Deutschland. Deren Hochburg war ursprünglich in Duisburg, später kam dann Ostdeutschland hinzu. In und um Dortmund sind verschiedene Clans der Cosa Nostra aktiv: unter anderem die der Vitale in Solingen.

Der Unterschied zur 'Ndrangheta besteht darin, dass die Cosa Nostra Mitglieder schickt, die auch über Jahrzehnte hier leben, die 'Ndrangheta hier aber selbst Clans bilden und Leute anwerben kann. In Dortmund war lange der Camorra-Clan der Licciardi aktiv – von denen viele andere gelernt haben – und die bis heute unter anderem gefälschte Lederjacken an der Tür verkaufen. Wie vor 20 Jahren. Als ich das gehört habe, konnte ich es erst gar nicht glauben. Das klingt fast zu folkloristisch.

In welchen Geschäftsfeldern nisten sich hierzulande Mafia-Organisationen mit Vorliebe ein?

In allen Bereichen, die öffentliche Gelder betreffen. Das ist ihre Spezialität. Das machen sie seit 40 Jahren. Seitdem europaweit Bauvorhaben ausgeschrieben werden, ist das ein wichtiger Geschäftszweig. Wenn beispielsweise ein Bahnhof saniert wird, drängt die Mafia mit ihren Subunternehmen in das Projekt. Windenergie, Sonnenenergie: überall, wo öffentliche Gelder fließen.

Es steckt schon ziemlich viel Heuchelei dahinter, wenn sich deutsche Auftraggeber hinter der Aussage verstecken: Wir haben nur den günstigsten Anbieter genommen. Schließlich wissen alle, dass eine Tonne Stahl, Zement, Holz einen bestimmten Weltmarktpreis hat, den man mit legalen Mitteln nicht unterschreiten kann. Also weiß man dann, dass da etwas faul ist. Auch in Nordrhein-Westfalen haben sich Bauunternehmer auf diesen Standpunkt gestellt.

Haben Sie den Fall in Rheine verfolgt? Der Spiegel hat berichtet, dass ein dort ansässiger Unternehmer der 'Ndrangheta-Familie Arena dabei geholfen haben soll, einen der größten Windparks Europas auf Sizilien zu bauen – um Geld zu waschen.

Arena ist ein großer, sehr präsenter Clan in Deutschland. Und die Aktion mit dem Windpark ist kein Einzelfall. Meine Interpretation der Geschichte: Die Familie Arena ist sehr verstimmt darüber, dass ihre Gelder lahmgelegt wurden, als der Windpark beschlagnahmt wurde, und nun wollte sie ihren deutschen Komplizen zeigen: mitgefangen, mitgehangen.

Ich persönlich habe allerdings große Vorbehalte gegenüber Geschichten, die von Francesco Sbano recherchiert werden. Als Produzent von propagandistischer Mafia-Musik hat er sich vor allem damit verdient gemacht, ein falsches, weil folkloristisches Bild der Mafia zu zeichnen.

Teile ihres Buches „Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ mussten geschwärzt werden. Schützen deutsche Gerichte Persönlichkeitsrechte mehr als die Pressefreiheit?

Ich habe das als Niederlage des deutschen Rechtssystems empfunden, vor allem was die Pressefreiheit betrifft. Verdachtsberichterstattung ist praktisch unmöglich. Ich habe vor Gericht mehrere BKA-Berichte und staatsanwaltliche Ermittlungsunterlagen vorgelegt. Ich hatte wohl mehr Material über einzelne Personen zusammengetragen, als die Polizei hatte.

Ich fand es kurios, dass das einfach vom Tisch gewischt wurde. Unsere Zeugen, darunter mehrere Antimafia-Staatsanwälte aus Italien, wurden vom Gericht abgelehnt. Solch ein Vorgang ist ein Freibrief für die Mafia. Auch andere Autoren sind verklagt worden: Francesco Forgione, Jürgen Roth.

Ist das der Grund, warum ihr neues Buch fiktional ist?

Ich wollte vor allem eine neue Form ausprobieren und etwas mehr Freiheit in jeder Hinsicht. Man kann in einem Roman sogar noch besser zeigen, wie das Mafiasystem funktioniert. Dazu ist es nicht einmal notwendig, Namen zu nennen. Protagonistin ist eine Staatsanwältin aus Palermo – sie führt einen Prozess und kommt in Kontakt mit einem deutschen Journalisten, der nach Italien kommt, um zu recherchieren.

Der Roman heißt „Palermo Connection“ und erscheint bei Hoffmann & Campe. Im Moment arbeite ich schon am nächsten Buch, wieder ein Roman. Ich will auch Leser erreichen, die nicht unbedingt Sachbücher lesen. Die Form hat sich geändert, nicht aber die Substanz. Das Thema Mafia ist ja vor allem psychologisch spannend.

Sieben Jahre nach den Mafia-Morden in Duisburg: Hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung der Mafia seitdem verändert?

Nein, die Morde wurden komplett verdrängt. Bei Duisburg denkt man heute nur noch an die Love-Parade-Katastrophe. Für die Deutschen reduzierten sich die Morde auf die Feststellung: Italiener haben Italiener ermordet. Solange keine Gewalt gegen Deutsche ausgeübt wird, macht man sich keine Sorgen.

Das ist in Norditalien nicht viel anders. Da hält man die Mafia für ein süditalienisches Problem. Das Thema Geldwäsche bleibt für die Deutschen sehr abstrakt. Jeder Wohnungseinbruch beunruhigt mehr. Man bedenkt nicht, dass auch der wirtschaftliche Wettbewerb verzerrt wird, weil kein anständiger Unternehmer mit den Summen konkurrieren kann, die von der Mafia investiert werden.

Das Problem der Geldwäsche wird in Deutschland häufig heruntergespielt. „Die Gesetze sind so gut, so etwas passiert hier nicht“, heißt es dann. Wie sehen Sie das?

BKA-Chef Ziercke hat in Italien einmal gesagt: Die Gesetze müssten gestärkt, der Straftatbestand der Mafiazugehörigkeit in das deutsche Recht eingeführt werden. Das würde er als politischer Beamter in Deutschland allerdings nie sagen. Mir scheint, dass Deutschland auch ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass die Gelder weiter fließen. Die Beweislastumkehr, dass also ein Investor nachweisen muss, dass sein Geld aus sauberen Quellen stammt, ist in Italien Standard. Hier gibt es so etwas nicht. Da müssen Sie sich nur mal mit Polizisten unterhalten, wie frustriert die darüber sind. Die Strafen für Wirtschaftskriminalität sind außerdem sehr gering.

Wie beurteilen Sie Bestrebungen eine europäische Staatsanwaltschaft einzurichten?

Sie wäre wichtig und wünschenswert, auch weil sich Mafiaorganisationen auf den Betrug europäischer Fördergelder spezialisiert haben. Ich bin allerdings auch skeptisch, denn dafür wäre eine europäische Gesetzgebung notwendig. Es gibt bislang noch zu wenig politische Einigung und damit auch keine wirtschaftliche.

Wie müssten Gesellschaft und Politik auf die Mafia reagieren?

Man muss sich das Bild der Mafia klarer machen: Sie ist kein Fremdkörper in der Gesellschaft. Das sind nette Menschen, die dich auch mal einladen, dir einen Gefallen tun und dich dann irgendwann darum bitten, diesen Gefallen zu erwidern. Sie verbandelt sich mit der sogenannten anständigen Gesellschaft. Das klar zu machen, ist auch Aufgabe der Journalisten. Für Verbindungen der Mafia in Politik und Wirtschaft gibt es auch in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Beispiele.

Sie sagen auch Rocker-Clubs arbeiten mit der Mafia zusammen – wie kann man sich das vorstellen?

Prostitution, Drogenhandel: Die Rocker unterhalten die Bordelle, die Prostituierten werden von der Mafia geliefert, genau wie die Drogen. Der Einzelverkauf wird beispielsweise den Rockern anvertraut, die 'Ndrangheta liefert die Ware und das Rohmaterial. Einfallstore für Kokain nach Europa sind Spanien und Rotterdam. Das Rauschgift kommt aus Holland nach Deutschland – im Ruhrgebiet wird es nicht nur verkauft, hier befinden sich auch sogenannte Relaisstationen, wo es zwischengelagert wird. Von hier aus geht es in die ganze Welt.

Zwischen den einzelnen italienischen Mafiaorganisationen und anderen kriminellen Banden besteht kein Konkurrenzverhältnis – man einigt sich immer. Für die Mafia ist es kontraproduktiv, wenn es zu Gewalt kommt. Ende der 1980er Jahre hat die Schutzgelderpressung oft die Polizei auf den Plan gerufen, wenn italienische Pizzerien angesteckt wurden. Daraus hat die Mafia gelernt.

Das Interview ist in gekürzter Fassung am 7. Juli in der Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten erschienen

Aufmacherfoto: biky/ imago

Foto: Shobha
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