Kein Weg vorbei

Marschsaison in Nordirland Der Kampf um kulturelle Hegemonie tobt weiter

Nun marschieren sie wieder. Dunkel gewandete vierschrötige Herren, eine Schärpe um den Oberkörper, einen Regenschirm unterm Arm und die unvermeidliche Melone auf dem Kopf, schreiten gravitätisch voran. Sie halten Banner hoch, auf denen an eine glorreiche Vergangenheit erinnert wird. Es folgen Spielmannszüge, deren Darbietungen vom dumpfen Klang riesiger Pauken dominiert werden. Prägten nicht auch die Farben des Union Jack das Bild, dürften sich deutsche Zuschauer ein wenig an heimische Schützenfeste samt der entsprechenden Umzüge erinnert fühlen. Doch was wie eine leicht skurrile folkloristische Darbietung anmutet, ist tatsächlich eine politische Demonstration. Am 12. Juli, dem Höhepunkt der nordirischen Marschsaison, erinnern die Mitglieder des protestantischen Oranier-Ordens an die Schlacht am Boyne im Jahre 1690, als Wilhelm von Oranien dem abgesetzten katholischen König James II. eine vernichtende Niederlage zufügte und damit die protestantische Vorherrschaft im nördlichen Teil Irlands besiegelte.

Während die meisten Briten diese Rituale mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Amüsement betrachten, sind sie für die Nordiren, ganz gleich welcher der beiden Bevölkerungsgruppen sie angehören, blutiger Ernst. Die seit Jahren währende Auseinandersetzung um die Marschroute in der mehrheitlich protestantischen Stadt Portadown spricht Bände. Dabei geht es nur oberflächlich um die wenigen Minuten, in denen der Oranierumzug die von Katholiken bewohnte Garvaghy Road passieren würde. Auf dem Spiel steht die kulturelle Hegemonie in der britischen Provinz, die seit mehr als 30 Jahren im Blick der Weltöffentlichkeit steht.

Seit nämlich eine Bürgerrechtsbewegung gegen die Jahrhunderte lange Unterdrückung der katholischen Minderheit durch die protestantische Mehrheit aufbegehrte. Die Folgen sind bekannt. Ein nicht erklärter Krieg, der zwischen 1969 und 1998 mehr als 3.200 Menschenleben kostete. Und dann sollte, nach etlichen gescheiterten Anläufen, doch endlich Frieden sein zwischen katholischen Nationalisten (eher gemäßigt) und Republikanern (eher militant) auf der einen und protestantischen Unionisten (eher gemäßigt) und Loyalisten (eher militant) auf der anderen Seite. Man bildete eine parteienübergreifende Regierung, in der unter dem unionistischen Ministerpräsidenten David Trimble sogar der Republikaner Martin McGuinness, der sich zu seiner IRA-Vergangenheit bekannt hat, als Erziehungsminister seinen Dienst tat. Ein fragiles Konstrukt, das von Radikalen auf beiden Seiten attackiert wurde und nun, nach Trimbles Rücktritt am 1. Juli, vielleicht gänzlich zum Scheitern verurteilt ist.

Denn so sehr die Nordiren die halbwegs friedlichen Zustände seit dem Karfreitagsabkommen 1998 schätzen, so wenig scheint das Vertrauen unter den Bevölkerungsgruppen gewachsen. Dies mag daran liegen, dass die IRA - wie auch die paramilitärischen Gruppen auf protestantischer Seite - bislang nicht dazu zu bewegen war, auch nur eine einzige Waffe abzugeben. An genau diese Frage hatte Trimble sein politisches Schicksal geknüpft. Paradoxerweise führte am Rücktritt kein Weg vorbei, wollte er den bröckelnden Rückhalt für seine Politik des Ausgleichs in der eigenen Partei wenigstens halbwegs stabilisieren. Denn auch in der UUP gibt es keine eindeutige Unterstützung für den nordirischen Friedensprozess. Viele Protestanten ahnen, dass ein friedliches Zusammenleben auch bedeutet, auf lange Sicht einen Teil ihrer kulturellen und religiösen Identität aufzugeben. Die Furcht, dass eine, in absehbarer Zeit durchaus wahrscheinliche, katholische Bevölkerungsmehrheit irgendwann den Norden mit der Republik Irland vereinigen wird, sitzt tief. Auch ein Modernisierer unionistischer Politik wie David Trimble entstammt dieser Tradition und ist natürlich Mitglied im Oranier-Orden, dessen Identität zu einem nicht unbeträchtlichem Teil aus einem giftigen Anti-Katholizismus besteht.

Nun scheint sein politischer Spagat fürs erste gescheitert. Da stimmt die Tatsache, dass sich die Repräsentanten der republikanischen Seite kaum in einer grundsätzlich anderen Situation befinden dürften, nicht hoffnungsfroh.

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