Umsturz her!

Künstlerroman Markus Orths erzählt die Biografie des berühmten Malers Max Ernst
Ausgabe 36/2017
New Yorker Museumsfantasie: Max Ernst mit Dämonen aus seiner „Versuchung des heiligen Antonius“, 1946
New Yorker Museumsfantasie: Max Ernst mit Dämonen aus seiner „Versuchung des heiligen Antonius“, 1946

Foto: Claude Huston/Pix Inc./The Life Images Collection/Getty Images

„Sind Sie wahnsinnig?“ Museumsdirektor Schaefer ist empört. Da sollen die Besucher einer Kunstausstellung tatsächlich Plastiken zerstören. Mit so einem Unfug will er aber nichts zu tun haben. So findet die Frühjahrsausstellung der Kölner Dadaisten eben nicht wie geplant im Kunstgewerbemuseum statt, sondern muss in ein Brauhaus ausweichen. Doch auch hier endet die muntere Kunstzertrümmerung im Chaos. Die Ausstellung wird vorzeitig geschlossen und ihr Initiator, der mit 29 Jahren nicht mehr ganz junge Max Ernst, bekommt Klagen wegen Pornografie und Unruhestiftung an den Hals. Die Frage des Direktors hatte er übrigens mit einem programmatischen „Ich hoffe doch!“ beantwortet.

Im Mai 1920 ist der offizielle Kunstbetrieb noch leicht zu provozieren. Die Avantgarde versteht sich auf cleveres Marketing. Und es macht nichts, dass Besucher, die sich zufällig in den Lichthof des Brauhauses verirrt haben, die ausgestellten Kunstwerke als Sperrmüll titulieren: „Wenn dat Kunst is, dann könne mer dat auch.“ Die Rückführung von Kunst in Lebenspraxis, die der kürzlich verstorbene Romanist Peter Bürger ein halbes Jahrhundert später als die eigentliche Intention der Avantgardebewegungen identifizieren sollte, wird als Spektakel inszeniert. Ist es also das, was Max Ernst, der Dada-Max, meint, als er verkündet: „Unser Eifer erstrebt den totalen Umsturz“?

Vom Vater verflucht

Markus Orths, der die Geschichte der zweiten Kölner Dada-Ausstellung in zwei Kapiteln seines Künstlerromans Max plastisch rekonstruiert, kommentiert den Satz indirekt auf der vorhergehenden Seite: „Der Anfang des Jahres 1920 brachte ein furchtbares Hochwasser in Köln und die Gründung einer Partei namens NSDAP.“ Der „totale Umsturz“ kommt eben auf ganz andere, verheerende Weise, als es sich die Avantgardekünstler vorstellten. Dass es noch Schrecklicheres geben könnte als das Gemetzel des Ersten Weltkriegs, liegt jenseits ihrer artistischen Fantasie. Doch der Roman weiß mehr als seine Protagonisten.

Wir befinden uns im ersten Teil des Buches. Noch bevor die Kriegserfahrung dem jungen Künstler eine Orientierung vorgibt – Collagen, in denen Menschen von „entfesselten Maschinen“ verschluckt werden –, meint Max Ernst zu wissen, was er will. Seine Entschlossenheit führt zum Bruch mit dem Elternhaus – der Vater Philipp Ernst, Taubstummenlehrer und Hobbymaler, schickt ihm einen Brief, der mit dem Satz „Ich verfluche dich“ beginnt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Rebell selbst einen Sohn, Hans-Ulrich, genannt Jimmy. Dessen Mutter Luise Straus-Ernst, aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammend, ist ihm Geliebte und intellektuelle Gefährtin, doch zur Hausfrau taugt die promovierte Kunsthistorikerin nicht. Max meckert, so heißt es ironisch bei Markus Orths, lebt er doch „zum ersten Mal mit einer anderen Frau als mit seiner Mutter zusammen“.

Die Ehe hält nicht. 1922 ist Max Ernst auf dem Weg nach Paris, es beginnt eine Ménage-à-trois mit dem surrealistischen Dichter Paul Éluard und dessen Frau Gala, der späteren Muse Salvador Dalís. Vier Jahre später heiratet der Künstler ein zweites Mal. Die 15 Jahre jüngere Marie-Berthe Aurenche ist sehr katholisch und ziemlich exzentrisch. Sie will Max ganz für sich und lässt sich deshalb sogar von einer Prostituierten Nachhilfe in Liebesdingen geben. Die Ehe hält zehn Jahre, dann taucht „die schöne Engländerin“ Leonora Carrington auf. Die Tochter eines schwerreichen Textilfabrikanten ist noch ein wenig skurriler als ihre Vorgängerin. Nur wenige Jahre bleibt sie mit Max Ernst zusammen, als dieser 1940 im Zuge der deutschen Besetzung Frankreichs verhaftet wird, flieht sie nach Spanien. 2011 stirbt Leonora Carrington hochbetagt als anerkannte Künstlerin in Mexiko-Stadt, doch in den Nachrufen ist spätestens im zweiten Satz von ihrer kurzen Beziehung zu Max Ernst die Rede. Vielleicht ist die amerikanische Kunstmäzenin Peggy Guggenheim, von 1941 bis 1946 die dritte Ehefrau des Künstlers, die Einzige, deren Name nicht automatisch mit dem seinen in Zusammenhang gebracht wird, während Dorothea Tanning, mit der Max Ernst bis zu seinem Tod im Jahre 1976 verheiratet war, in seinem Schatten zu verschwinden droht. Eine Ausstellung ihrer Werke zu ihrem 100. Geburtstag fand natürlich im Max-Ernst-Museum statt.

Die Frau soll gut kochen

Auch Markus Orths’ Roman dreht sich, wie der Titel schon sagt, vor allem um „Max“. Der große Egozentriker steht im Mittelpunkt, ohne Zweifel ein Mann seiner Zeit. Jemand, der schon als 16-Jähriger proklamiert, er brauche keinerlei Autorität, um zu wissen, was er will. Und das ist, was seine Beziehungen betrifft, vor allem in späteren Jahren, ziemlich konventionell. Während Dorothea Tanning ihre Vorgängerinnen um deren exzentrisches Verhalten beneidet, wünscht sich der Künstler „eine normale Frau, gewöhnlich und geerdet“. Die Kochkünste und das haushalterische Talent seiner Gefährtin sind ihm wichtiger als künstlerische Ambitionen. Dass die Umwälzung der Geschlechterverhältnisse auch in Avantgardekreisen höchstens theoretisch auf der Tagesordnung stand, ist keine neue, aber auch keine überholte Erkenntnis. So lässt Theresia Enzensberger in ihrem Debüt Blaupause eine fiktive Bauhaus-Studentin im sperrigen Präsens von ihren Erfahrungen in einer männlich dominierten Welt erzählen. Markus Orths hingegen setzt auf süffige Multiperspektivität und weckt, in klassisch-realistischem Sinne, Empathie für all seine Figuren. Dabei bedient er sich einer bilderstarken, sinnlichen Sprache und jongliert, wie es sich für einen biografischen Roman gehört, gekonnt mit historischen Fakten und gut Erfundenem. Dezente Ironie sorgt dafür, dass die notwendige Distanz zum Erzählten nicht verloren geht, auch wenn man in jeder Zeile spürt, wie fasziniert der Autor von seinem Stoff ist. Und das ist ja nicht die schlechteste Voraussetzung für eine gewinnbringende Lektüre.

Info

Max Markus Orths Hanser 2017, 575 S., 24 €

Joachim Feldmann ist Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Am Erker

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