Wissenschaft vom Fluchen

Malediktologie Schadenszauber: Der Fluch ist eine Strafe. jemand reagiert mit einem Fluch auf ein Unrecht. Der Verfluchende erlebt sich dem Täter gegenüber ohnmächtig.

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Fluchen, Schimpfen bis der Arzt kommt, als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, kann es so etwas geben? Ja!, das gibt es. Der Fachterminus für diese Wissenschaftsrichtung heißt "Malediktologie".

Der Begriff leitet sich ab vom lateinischen "maledicem" ( = schlecht sprechen/schimpfen ).

Zugegeben dieser Wissenschaftszweig ist noch jung, kam aber zu Zeiten des Vietnamkrieges der USA 1962- 1975

"Make Peace not War!"

1973 wie gerufen in Gestalt und Profession seines Begründers, dem deutschstämmigen Philologen Reinhold Ama, Jahrgang 1936. Wie es sich für einen Malediktologen von Kindesbeinen an schickt - in Niederbayern, zünftig im Marktflecken Fürstenzell geboren, ziemlich genau zwischen Aldersbach, wo unser FC- Blogger Wolfram Heinrich haust, und Passau gelegen, heute in Kalifornien/USA lebt.

Ihm zur akademischen Seite sprang dessen amerikanischer Wissenschaftskollege Timothy Jay am Massachusetts College of Liberal Arts.

Jays Forschungen gelten dem psychologischen Aspekt des Fluchens.

Reinhold Aman erforschte das Fluchen nicht nur in allen denkbar undenkbar akademischen Gebieten, sondern dazu, urbi et orbi, die Kultur des Fluchens in 220 Sprachen über einen menschheitsgeschichtlichen Zeitraum von 5000 Jahren.

Mittlerweile hat der Forscherdrang, befeuernd, auch Malediktologen in Frankreich Dominque Largorette (Universität de Savvoie, in Chambèry, Oksama Havryliv in der Ukraine auf den Plan gerufen

Dank deren Forschungsarbeiten ist das Fluchen weltweit längst kein Buch mit "Sieben Siegeln" mehr, sondern wurde als offenes Buch einer bestimmten Kultur hier, unbestimmten Kultur da, zutage gefördert. Inzwischen ist die Malediktologie zu einem Schwerpunkt der Allgemeinen Sprachwissenschaften in aller Welt geworden.

Dabei nehmen insbesondere, neben dem Bereich Psychologie, der Zweig der Psycho- und Soziolinguistik gerne wissenschaftliche Anleihen aus der Malediktologie.

Die Untersuchungen gelten zum einen der historischen Entwicklung des Fluchens/Schimpfens, zum anderen deren psychologischer Funktion, Bedeutung und Wirkung.

Wer hätte das vor fünfzig Jahren gedacht, da wird also der heftige Gebrauch von Wörtern, die man wohl erzogen, besser nicht verwendet, in den Rang eines Forschungsgegenstandes erhoben.

Auffällig ist, dass seit dem ausgehenden Mittelalter die Gelehrsamkeit des Verhinderns von Ausbrüchen des Fluchens, des Schimpfens, sei es durch Verbote, Strafandrohungen bis zur Todesstrafe (Hexenverfolgungen/Teufeslaustreibungen) Schadensersatzansprüche von Papst, Bischof, Kaiser, Könige, Fürsten Prälaten, Popen, im Vordergrund aller Erörterungen steht und nicht mehr das Fluchen, Schimpfen selber als gruppendynamischer Akt der Gemeinschaftlichkeit beworben wird.

Beschwerdechöre gibt es inzwischen hierzulande allerorten, Fluchchöre dagegen mitnichten.

Fluchen, im Zustand gefühlter Ohnmacht, um doch im Gemeinschafts- Gefühl der Allmacht anderen zu schaden.

Im Anbeginn der Geschichte des Fluchens geht es weniger um das Schimpfen Einzelner, um Alltagsärger abzubauen, sondern im parareligiösen Bereich um das gemeinschaftiche Ver- Fluchen anderer durch einen sogenannten "Schadenszauber" auf lateinisch "Maleficium" .

Interessant ist dabei, dass zu den Hochzeiten der 68-er Studentenbewegung, 1962- 1973, das "Malefizspiel" als moderner Geschwist des "Mensch Ärgere Dich nicht- Spiels" in und für Wohngemeinschaften in West. Berlin erfunden, hoch im Kurs stand, um gemeinschaftlich in kleinen Gruppen ab zwei Personen, Gegenspielergruppen auf deren vorwärtsstürmenden "Siegeszug" Barrikaden in den Weg zu schlagen.

Das "Malefizspiel" war so etwas wie ein Gegenzauber einer ganzen Generation von erwachsen gewordenen Kriegs- , Nachkriegskindern, hüben und drüben, die sich von ihren Vätern, Müttern, Lehrern, Dozenten, Pastoren, Pfarrern, Jugendleitern, Trainern, durch gemeinschaftlichen "Schadenszauber" im "Kalten Krieg" verwunschen fühlten, unter sich als "Peer- Group" gemeinschaftlich einen fidel unterhaltsamen Gegenzauber präsentieren und erleben wollten.

Ver- Fluchen ist eine ritualisierte Form , eine bestimmte Person, eine "Lage" von unsichtbarer Hand, z. B. den Kapitalismsu, im Gefühl der Ohnmacht, durch ein gemeinschaftlich organisiertes Parteigefühl der Allmacht zu bestrafen, ganz nebenbi womöglich einen Missetäter zur Sühne, zum Selbstzerwürfnis, Selbstzerknirschung, Seltstanzeige, Sündenbekenntnis, gar zur Unterwerfung zu bewegen.

Das galt solange als eine ziemlich sichere Bank, solange Verfluchende und Verfluchte gleichmaßen an diesen Bann des Fluchens als soziale Sanktion glaubten.

Der Fluch- Forscher Maximilian Oettinger , der insbesondere den Fluch in der christlichen und jüdischen Religion zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht, konnte fünf Axiome ausfindig machen, die es für einen wirksamen Fluch braucht:

1. Der Fluch ist eine Strafe. jemand reagiert mit einem Fluch auf ein Unrecht, das ihm von namenloser, namentlicher Seite widerfahren ist.

2. Der Verfluchende erlebt sich dem Täter gegenüber ohnmächtig.
Alle rechtlichen Mittel sind ergebnislos ausgeschöpft, der Fluch wird damit zum allerletzten Mittel der Bestrafung.

3. Im Moment des Verfluchens entlädt sich ein angestauter Affekt (s. dazu nach dem Berliner Mauerfall am 9. November 1989, der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 das Buch "Der Gefühlsstau" von Joachim Maaz in Halle) . Damit wird der Fluch psychohygenisch auf rein emotionaler Ebene zu einer Art Ersatzhandlung mit dem unbändigen Ziel unverhältnismäßiger Rache.

4. Um wirksam verfluchen zu können "Wessi- Ossi- Wossi" braucht es der wlligen Helfer einer Fluchgemeinschaft. Ohne den ernsten Willen und Glauben an diesen, wirkt kein Fluch. Selbst der Verfuchte muss, mit einem Mindestmaß an sittlichem Rest- Anstand, Moralgefühl, an die Wirkung des Fluches glauben, ansonsten droht dieser wirkunglos ins Leere zu verpuffen. Die jüdischen und christlichen Flüche waren öffentliche Sprechakte. Diese wurden vor Zeugen laut und vernehmlich ausgeprochen, dem Verfluchten unmissverständlich namentlich kundgetan.

5.Als Oberster Schirmherr und unanafechtbarer Unterstützer des Fluches werden Gott, Höhere Mächte, das Universum; der Papst, erhabener Kaiser, König, Fürst, Warlord, der Führer, der Vorsitzende, das Vaterland, je nach ideologischer Partei- oder Religionsgemeinschaft "unfehlbar ex cathedra" angerufen.


Als eine der ersten Textüberlieferungen des Verfluchens gilt das 1. Buch Moses, 3, 14- 19 und 1. Buch Moses 9, 24- 28 im Alten Testament der Bibel. Dort verflucht Noah seinen Enkel Kanaan

1. Buch Moses, 3, 14- 19
14 Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens. 15 Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse. 16 Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen. 17 Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. 18 Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes musst du essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück.

1. Buch Moses 9, 24- 28
"24 Als Noach aus seinem Rausch erwachte und erfuhr, was ihm sein zweiter Sohn angetan hatte, 25 sagte er: Verflucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern. 26 Und weiter sagte er: Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems, Kanaan aber sei sein Knecht. 27 Raum schaffe Gott für Jafet. In Sems Zelten wohne er, Kanaan aber sei sein Knecht.1 28 Noach lebte nach der Flut noch dreihundertfünfzig Jahre. 29 Die gesamte Lebenszeit Noachs betrug neunhundertfünfzig Jahre, dann starb er."

Als Strafwunder in den Evangelien des Neuen Testaments gilt Jesus Fluch gegen einen Feigenbaum.

Matth. 21, 16- 22
Die Verfluchung eines Feigenbaums
18 Als er am Morgen in die Stadt zurückkehrte, hatte er Hunger.5 19 Da sah er am Weg einen Feigenbaum und ging auf ihn zu, fand aber nur Blätter daran. Da sagte er zu ihm: In Ewigkeit soll keine Frucht mehr an dir wachsen. Und der Feigenbaum verdorrte auf der Stelle. 20 Als die Jünger das sahen, fragten sie erstaunt: Wie konnte der Feigenbaum so plötzlich verdorren? 21 Jesus antwortete ihnen: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, dann werdet ihr nicht nur das vollbringen, was ich mit dem Feigenbaum getan habe; selbst wenn ihr zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, wird es geschehen. 22 Und alles, was ihr im Gebet erbittet, werdet ihr erhalten, wenn ihr glaubt."


Der sprachmächtig deutsche Dichter Ludwig Uhland (1787- 1862) suchte in seinem folgenden Gedicht "Des Sängers Fluch", säkularisiert, der Aufklärung verpflichtet, selbst noch im Nachherein einer Fluchgemeinschaft wider den gottlosen Tyrannen beizutreten

Des Sängers Fluch

Es stand in alten Zeiten ein Schloß so hoch und hehr,
Weit glänzt' es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,
D'rin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich.
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar:
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmucken Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk' unsrer tiefsten Lieder, stimm' an den vollsten Ton,
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz;
Es gilt uns heut' zu rühren des Königs steinern Herz."

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
Der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.

Da schlug der Greis die Seiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll.
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit,
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit;
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott,
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib.
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,
Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all' der Hörer Schwarm;
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.

Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis,
Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:

"Weh' euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

"Weh' euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiecht,
Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.

"Weh' dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!
Umsonst sei all' dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms;
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört;
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwund'ner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings, statt duft'ger Gärten, ein ödes Heideland:
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand;
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch:
Versunken und vergessen! - das ist des Sängers Fluch.

von Ludwig Uhland

http://www.autoren-gedichte.de/uhland/des-saengers-fluch.htm
Gedichte von Ludwig Uhland ( 1787 bis 1862 )
Des Sängers Fluch

http://aman.members.sonic.net/schilders.1.html
Maledicta

http://de.wikipedia.org/wiki/Malediktologie
Malediktologie

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Geschrieben von

Joachim Petrick

Aktuelles: Meine sichere Route- Refugee-Airlift - Petition "Luftbrücke für Flüchtlinge in Not" an die MdBs des Bundestages erhofft Debatte

Joachim Petrick

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