Verweile doch, du bist so schön!

Ton & Text Der Sound des Industriezeitalters und die permanente Wiederholung des Augenblicks: Tilman Baumgärtels „Schleifen“ erzählt die Kulturgeschichte des Loops

Man hätte es ahnen können: Ohne Berlin und Berghain geht gar nichts. Ein bisschen gefühlige Fan-Perspektive als Ein- und Ausstieg verweist auf die eigene Zeitgeist-Kompetenz. Das wirkt ein bisschen anbiedernd und unnötig billig und wird dem Thema nicht ganz gerecht. Vor allem, weil ausgerechnet die hohe Zeit des musikalischen Loops – die Gegenwart – in Tilman Baumgärtels sonst durchweg lesenswerter Abhandlung „zur Geschichte und Ästhetik des Loops“ kaum durchdrungen wird, schon gar nicht so detailversessen und interpretationsfreudig, wie das in anderen Abschnitten geschieht. Dass Loops heute eine Selbstverständlichkeit, ein nicht wegzudenkender Grundbaustein von Popmusik sind, ist denn auch die Grundprämisse dieses Buchs. Baumgärtel versucht zu ergründen, woher das kommt. „Schleifen“ ist dabei ganz konkret gemeint. Bandschleifen, zu endlosen Kreisen geklebte Tonbänder, sind die ersten Werkzeuge der bewussten Arbeit mit Loops. Nicht trennen lässt sich deren ständig wachsender musikkultureller Einfluss von der Entwicklung der Produktions-Technologien und der Ästhetik der Reproduktion. Vom Handwerkszeug der Popmusik also, die aus dem Benjaminschen Entschwinden der Aura des originären Kunstwerks eine ganz neue musikalische Ästhetik entwickelt.

Als Maschinenmusik wird Techno bis heute wahlweise geschmäht oder verehrt. Der heute dominierende Tanzmusikstil ist die massentaugliche Anwendung eines Verständnis des musikalisch zentral agierenden Loops, dessen Beginn Baumgärtel in der Mitte des 20. Jahrhunderts verortet, in die beginnende Blütezeit der Neuen Musik. Die löst sich gerade vom klassischen Orchester-Instrumentarium, sucht zeitgemäße Klänge und Strukturen, experimentiert mit Serialität und Repetition. Ein angesichts des technologischen Stands der Dinge einigermaßen handhabbares technisches Mittel dazu ist die Bandschleife. Erst, um Aufgezeichnetes permanent wiederholen zu können. Schnell, um innerhalb der Loops Klänge zu manipulieren, zu doppeln, zu verzögern und zu schichten. Aus der anfänglichen Arbeit gegen die Gebrauchsanweisung der Geräte, ihres Umbaus, ihrer Entfremdung vom eigentlichen Zweck – auch das ein grundlegendes Merkmal der sich entwickelnden Popmusik – werden irgendwann die ersten Echo-Geräte oder Effekt-Verstärker.

Ein kurzer Schritt ist es so – in Baumgärtels Interpretation – von den hochgradig experimentellen und kompliziert inszenierten Umlenkrollen-Versuchsanordnungen eines Pierre Schaeffer und Karlheinz Stockhausen zu Elvis, den Beatles und Donna Summer. Etwas zu flott gezogen scheint die Linie zwar und passend gemacht. Den soundtechnischen Trick des Sun Studios, mit dem der frühe Elvis so unverwechselbar klang, als Loop zu definieren, scheint ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Das dient aber natürlich der anekdotischen Lesbarkeit. Deutlich erhellender beim eigentlichen Thema sind die ausführlichen Kapitel zum fast vergessenen Loop-Instrumenten-Pionier Raymond Scott, die Arbeit des selbstverliebten La Monte Young, die Minimal-Szene um Terry Riley und Steve Reich. Gerade aus Popmusik-Sicht essenziell sind auch die breite Betrachtung der Pranksters um Ken Kesey und ihrer psychedelischen mit LSD und Soundloops befeuerten Acid Tests, die Transformation des Experimentellen in die Massenkultur durch das „Revolver“-Album der Beatles und den immer noch zwingenden Disco-Sound eines Giorgio Moroder, von dem es kein großer Sprung zum Techno-Aufbruch der neunziger Jahre ist.

Große Erklärungslücken bleiben trotzdem: Nur gestreift werden die Einflüsse der indischen und afrikanischen Musikkultur, deren repetitive und rhythmische Struktur den Loop schon seit Jahrhunderten pflegt. Praktisch ignoriert werden die afroamerikanischen Wurzeln, die extrem rhythmisierten Worksongs der Sklaven auf den Baumwollfeldern der Südstaaten als Wurzel des ebenfalls stark repetitiv agierenden traditionellen Blues. Die jamaikanische Dub-Kultur, ohne deren technologische und Sound-Vorarbeit die moderne Clubmusik schlicht nicht vorstellbar wäre. Oder eine Laurie Anderson, die in den Achtzigern den Anschluss der Avantgarde an die Popmusik schaffte. Aber vielleicht ist das auch ein bisschen zu viel verlangt für ein Werk, das erklärtermaßen als Themeneinstieg gedacht ist. Ein immerhin äußerst informatives und lesenswertes Buch über einen tatsächlich bis dato kaum beachteten (oder angesichts von moderner Sample-Technologie zu selbstverständlich genommenen) Eckpfeilers moderner Musikkultur. Nicht nur im Berghain.

Tilman Baumgärtel „Schleifen – Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“; Kulturverlag Kadmos, 352 Seiten; 24,90€

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