Hans-Jürgen Urban von der IG Metall: „Diese Sparpolitik führt in ein Mehrfach-Desaster“
Interview Protest gegen schlechte Regierungspolitik ist etwas Positives, sagt IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban – Druck brauche es aber auch CDU und CSU, die eine Reform der Schuldenbremse blockieren
Demonstration von Landwirten in Saarbrücken, 8. Januar 2024
Foto: BeckerBredel/picture alliance
Sein Leitbild einer Mosaik-Linken, die trotz all ihrer Konflikte gemeinsam für eine Alternative zum gegenwärtigen Kapitalismus kämpft, scheint weiter von der Realisierung entfernt als sein Einsatz für eine ökologische Transformation der Industrie: IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban, der jüngst mit Freitag-Autor Stephan Hebel das Buch Krise. Macht. Arbeit. veröffentlicht hat, weiß, was sich aus dem Konflikt der Ampel-Koalition mit den Bauern lernen ließe und wie aus Unzufriedenheit mit schlechter Regierungspolitik Ermutigung für eine gerechtere Zukunft werden könnte.
der Freitag: Herr Urban, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse ist jetzt wieder „Sparpolitik“ angesagt. Sind die besch
eder „Sparpolitik“ angesagt. Sind die beschlossenen Kürzungen aus Ihrer Sicht wenigstens halbwegs gerecht verteilt?Hans-Jürgen Urban: Nein! Es gibt Kürzungen, die mit Sicherheit die Falschen treffen. Etwa beim Bürgergeld droht eine sozialpolitische Rolle rückwärts. Das Bürgergeld sollte die Arbeitsmarktintegration durch Unterstützung und positive Anreize fördern. Jetzt fällt die Politik mit den verschärften Vorschriften in eine negative Sanktionspolitik zurück. Hier sieht man, was rauskommt, wenn die Politik sich selbst Fesseln anlegt. Durch das Festhalten an der Schuldenbremse bringt sich die Regierung in eine Situation, in der sie zwischen Pest und Cholera wählen muss. Das ist fatal. Die Politik muss die Weichen neu stellen, sich völlig neu orientieren und in großem Umfang investieren. Doch gegenwärtig erleben wir eine Politik des Durchwurschtelns, mit tiefen sozialen Schleifspuren.Sie meinen den riesigen Investitionsbedarf in Sachen Klimaschutz und öffentliche Infrastruktur? Das Irre ist doch: Im Grunde bestreitet den niemand. Aber zugleich haben wir seit 2009 die Schuldenbremse in der Verfassung. Bei allen Umfragen ist immer noch eine Mehrheit in der Gesellschaft dafür. Wie kommen wir da wieder raus?Die Wirtschaft, ja die gesamte Gesellschaft steht vor der Jahrhundertaufgabe, die gegenwärtige Produktions- und Lebensweise zu dekarbonisieren. Vor dieser Aufgabe kann niemand davonrennen, und man kann, oder besser gesagt: man sollte sie auch nicht den Märkten überlassen. Die Transformation muss politisch gesteuert und mit öffentlichem Geld ausgestattet werden. Ansonsten sind soziale Härten programmiert. Das zerreißt die Gesellschaft und es gefährdet die Demokratie. Denn die Verlierer dieser Entwicklung wenden sich von der Politik ab. Oder sie greifen zu Protestformen, die dann von rechts gekapert werden können.Aber wie kann dieser Gefahr begegnet werden?Die gleiche Investitionsoffensive, die ich für die ökologische Transformation fordere, ist unverzichtbar, um das Ganze so zu steuern, dass der Prozess nicht massenhaft Verlierer:innen produziert. Die Politik wird ihren Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust nicht stoppen können, wenn sie das nicht begreift. Hinzu kommt die ökonomische Vernunft. Wenn der Staat am falschen Ende spart und die Ausgaben einfach zurückfährt, endet das in einer noch höheren Verschuldung und in einer verrotteten Infrastruktur. Wenn die Politik mit dieser Kombination aus falschem Sparen und völlig unzureichenden öffentlichen Investitionen so weitermacht, droht ein Mehrfach-Desaster: das ökologische Desaster und das ökonomische gehen Hand in Hand, und das soziale Desaster droht am Ende auch noch in einem Demokratie-Desaster zu enden. Auch deshalb muss aus der Gesellschaft endlich ein viel größerer Druck gerade auf die Unionsparteien und ihre destruktive Opposition ausgeübt werden, denn die Schuldenbremse kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wieder aus der Verfassung gestrichen werden. Da dies vermutlich Zeit in Anspruch nimmt, sollte mit einer Reform der Schuldenbremse begonnen werden. Notwendig ist auf jeden Fall eine aggressive Argumentationsoffensive von links.Von einer Argumentationsoffensive sind wir aber noch weit entfernt, oder? Was unternimmt denn die IG Metall in dieser Richtung?Wir sind insbesondere in der Industriepolitik aktiv, weil das unser Feld ist. Wir thematisieren und mobilisieren für einen Brückenstrompreis und zeigen, wie wir öffentliche Mittel verantwortungsvoll verwenden wollen, um in der Grundstoffindustrie die ökologische Transformation zu begleiten. Wir sagen: Damit das öffentliche Geld nicht in die Dividende der Aktionäre oder in die Boni der Vorstände fließt, muss es an Bedingungen gebunden werden: Unternehmen müssen nachweisen, dass das Geld wirklich in die Dekarbonisierung investiert wird, und es muss mit dem Ausbau von Mitbestimmung und Beschäftigungs- wie Standortzusagen verbunden werden. Am Ende handelt es sich um eine Verteilungsfrage. In der aktuellen Haushaltsplanung werden große Einkommen und große Erbschaften wieder verschont. Das ist völlig inakzeptabel, und die Gewerkschaften sollten es viel offensiver thematisieren als bisher.Zuletzt polarisierten gerade die Straßenproteste der Bauern die Republik. Die Rücknahme von Subventionsstreichungen für Agrardiesel zu fordern, das ist nun sicher kein Zukunftsprogramm für eine Agrarwende. Haben Sie trotzdem Verständnis für die Wut der Bauern?Also, ich bin wirklich kein Experte für die Finanzsituation der Bauern. Deswegen möchte ich mich dazu nicht im Detail äußern. Aber was man lernen kann, ist: Eine Politik, die ohne Konzept einfältig auf Streichen vorhandener Leistungen setzt, handelt sich eine Menge Ärger ein. Und man kann auch sehen, wie legitimer Protest von politischen Trittbrettfahrern von rechts gekapert wird, oder wie zumindest dieser Versuch unternommen wird.Wenn sich irgendwo Protest auf der Straße artikuliert, versuchen rechtspopulistische Kräfte mehr oder weniger erfolgreich, ihn für sich einzunehmen. Diese Befürchtung ist so etwas wie das neue Paradigma der gesellschaftlichen Linken geworden. Das ist vielleicht berechtigt, aber auch irgendwie lähmend, oder? Brauchen wir nicht eigentlich viel mehr Protest, mehr Bambule auf der Straße, und zwar mit Einmischung linker und fortschrittlicher Kräfte, also dessen, was Sie die „Mosaik-Linke“ genannt haben, einschließlich der Gewerkschaften?Wir als Gewerkschaften führen offensive Tarifrunden, wir haben mit über 50.000 Mitgliedern für einen fairen Wandel vor dem Brandenburger Tor und vor dem Finanzministerium für den Brückenstrompreis demonstriert. Es gibt Bewegungen, aber diese Bewegungen finden nicht zusammen. Woran das liegt? Das ist eine große Frage. Vielleicht fehlt eine Kooperations- und Koordinierungskraft mit gesellschaftlicher Ausstrahlung. Die politische Linke ist offensichtlich mit anderen Dingen beschäftigt und kann sich nicht einmal auf gemeinsame Politikziele verständigen. Intellektuelle mit Charisma sind auch nicht so reichlich gesät.Um den Begriff der „Mosaik-Linken“ noch mal aufzugreifen: Ist es nicht so, dass man momentan das Gefühl hat, das Mosaik splittert immer weiter und man kriegt es nie mehr zusammengesetzt?Ja, die Zusammenfügung dieses „Mosaiks“ zu einem linken Akteur ist ein anspruchsvolles Unternehmen, das nicht ohne innere Konflikte, ohne Kontroversen und nur mit einer guten Portion „Kollisionstoleranz“ machbar ist. Und genau daran scheitert es gegenwärtig. Die Linke hat bisher keine konstruktive Konfliktkultur herausgebildet. Der kleinste Konflikt sprengt immer wieder vorhandene Bündnisanfänge. Die Ampel-Koalition ist es offensichtlich auch nicht. Es war auch nicht zu erwarten, dass man mit der FDP an der Seite sozialökologische Transformationspolitik machen kann. Auch die einstige Hoffnung auf Rot-Rot-Grün ist schnell gescheitert: an den Wahlergebnissen und am Willen der Parteien.Sehen Sie irgendwo am Horizont einen Lichtblick, einen Akteur, oder ein Ereignis – irgendetwas, das uns aus dieser Situation herausbringen könnte?Wenn die Menschen mit einer schlechten Politik unzufrieden sind, ist das doch eher positiv als negativ. Selbst Wut kann Positives bewirken. Wichtig ist, dass der Unzufriedenheit Aufklärung antwortet und dass aus Wut linke Wut wird. Linke Wut bedeutet, sich nicht auf Sackgassen wie Rassismus, Antisemitismus und etwa faschistoide Narrative einzulassen. Linke Wut ermutigt dazu, mit glaubwürdigen Reformalternativen zu verdeutlichen, dass die sozial-ökologische Transformation kein Katastrophenprogramm mit unzumutbaren Kosten ist, sondern dass sie die Perspektive eröffnet, den Globus intakt und die Gesellschaft zusammenzuhalten. Gelingt das nicht, wächst die Gefahr, dass Gesellschaft und Politik nach rechts kippen.Placeholder infobox-1
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