Arbeit am Hochofen war immer anstrengend, und sie ist es bis heute geblieben – technischer Fortschritt hin oder her. Arbeitszeitverkürzung war auch deshalb immer ein Thema unter den Beschäftigten der Branche. Allein: Ein Thema zu haben, reicht nicht aus. Wünschen kann man sich viel, man muss es auch umsetzen können. Auch andere Berufsgruppen haben belastende Jobs. Der Trumpf, den Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter in der Hand haben, ist ihre Durchsetzungsmacht. Ein Streik im Stahlwerk ist ein wirksames Druckmittel. Wenn ein Hochofen ausgeht, wird das fürs Unternehmen richtig teuer.
Kein Wunder also, dass die Stahlbranche immer schon eine Pionierrolle im Kampf um kürzere Arbeitszeiten hatte. „In Duisburg war der Ofen aus, der ganz große Ofen b
3;e Ofen bei Thyssen“, sang Wolf Biermann über den Stahlarbeiterstreik im Ruhrgebiet vor genau 45 Jahren. Sechs Wochen lang, von Ende November ’78 bis Mitte Januar ’79, legten die Beschäftigten die Arbeit nieder.Ihre Hauptforderung, die Einführung der 35-Stunden-Woche, konnten sie damals nicht durchsetzen, aber die Spur war vorgegeben: Die Forderung wurde breit aufgegriffen, und fünf Jahre später setzten ihre Kolleginnen und Kollegen in der Druck-, Metall- und Elektroindustrie den Einstieg in die 35-Stunden-Woche in geltendes Tarifvertragsrecht um.Kämpfe um die Arbeitszeit sind nichts anderes als Lohnkämpfe, aber sie triggern stärkerAuch das ging nur mit heftigen Auseinandersetzungen. Und auch bei der aktuellen Forderung nach einer Verkürzung der regulären Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden, wie sie die IG Metall jetzt in der Stahlindustrie durchsetzen will, wird es nicht ohne Konflikt abgehen. Obwohl Kämpfe um die Arbeitszeit ökonomisch im Grunde nichts anderes sind als Lohnkämpfe, sind sie doch ungleich stärker aufgeladen mit Emotionen, Ideologie und Eskalationspotenzial. Kommt das Thema auf die Agenda, kochen sofort Ressentiments hoch: Um aus der Krise zu kommen, müssen „wir uns anstrengen“, ledert Unionsfraktionschef Friedrich Merz mit Blick auf die IG Metall, und dass es nichts werde mit der „Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche“. Stahlunternehmer Jürgen Großmann sieht Deutschland auf dem Weg in die „Genussgesellschaft“.Nun ist Jürgen Großmann als Alleingesellschafter des Stahlkonzerns Georgsmarienhütte, wie IG-Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler treffend bemerkte, ein Mann, der sich „jede Freizeit dieser Welt erkaufen kann“. Lohnabhängige haben diesen Luxus nicht. Sie müssen entweder machen, was man ihnen sagt, oder sich organisieren und gemeinsam Dinge ändern.Das Bedürfnis nach kürzeren Arbeitszeiten ist jedenfalls da, wie eine im Mai veröffentlichte Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt: 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend reduzierter Wochenarbeitszeit. Für fast drei Viertel (73 Prozent) würde das aber nur bei vollem Lohnausgleich infrage kommen. Womit wieder die Frage der Durchsetzungsmacht ins Spiel kommt: Die in der IG Metall organisierten Stahlarbeiter haben davon eine ganze Menge, genau wie die Lokführer von der Eisenbahn-Gewerkschaft GDL, die jetzt die 35-Stunden-Woche für sich reklamieren.Work-Life-Balance, das hört man oft. Doch das Pendel könnte auch wieder in die Gegenrichtung ausschlagenEs gibt noch eine andere Ebene, auf der sich entscheidet, ob sie erfolgreich sein werden, und das ist die Stimmung in der Öffentlichkeit und den Medien. Zeit ist Geld, sagt der ökonomische Alltagsverstand, aber in viel stärkerem Maße als ihr monetäres Gegenstück ist Arbeitszeit eine Machtfrage. Arbeitszeitverkürzung bedeutet Einschränkung des Direktionsrechts, drohender Kontrollverlust, wenn auch nur temporär, so doch fortschreitend. Das Thema triggert bei manchen Leuten geradezu hysterische Panikattacken. Von der 40- zur 35- zur 32-Stunden-Woche – wo soll das enden?Man darf diese Diskursgeplänkel nicht unterschätzen. Zwar hat die Work-Life-Balance in den letzten Jahren an Popularität in den Feuilletons gewonnen. Doch jetzt könnte das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Zu viele Krisen stehen im Raum, deren Ausgang völlig ungewiss ist. Dazu kommt das jüngste Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse, das verfassungsrechtlich, aber auch ideologisch die Richtung vorgibt, in welche wir uns bewegen. Wie kann man Arbeitszeitverkürzung fordern, wo wir einen Fachkräftemangel haben? Wo die Existenz von Deutschland als Industriestandort auf dem Spiel steht? Wo wir doch eigentlich alle länger und härter arbeiten müssten? Und, und, und. Die Aufzählung könnte man beliebig fortsetzen, und genau das wird in den nächsten Wochen auch geschehen, wenn die Konflikte Fahrt aufnehmen.