Was ist eigentlich New Work? Das Neue Arbeiten war viel mehr, als heute draus gemacht wird
Arbeit Mehr als Home-Office, Kickertische und Laptop-Nomaden in Lissabon: Das Konzept des New Work hat eine lange Geschichte, die viel mehr ist als seine jüngste neoliberale Verengung
Ein Werk von General Motors steht 1984 im US-Staat Michigan kurz vor der Schließung. Tausende Arbeiter*innen sind vom Verlust ihres Jobs bedroht. Sie versammeln sich, um der Frage auf den Grund zu gehen, wie ihre Arbeit und ihre Leben zukünftig aussehen sollen. Mitinitiiert wird das Treffen vom Zentrum für Neue Arbeit des Philosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann, der über die Versammlung sagt: „Wir wollten herausfinden, welche Arbeit sie wirklich, wirklich tun wollten.“ Eine Arbeit wirklich, wirklich tun zu wollen, das ist seither die verkürzte Definition von „New Work“. Die Idee entstand also in der Industriearbeit: in der „Vehicle City“ Flint.
Wenn die IG Metall für die 4-Tage-Woche kämpft, ist es dann auch R
r Industriearbeit: in der „Vehicle City“ Flint.Wenn die IG Metall für die 4-Tage-Woche kämpft, ist es dann auch „New Work“?Heute wird Bergmanns Mantra der Arbeit, die man „wirklich, wirklich will“, auf Dutzenden Powerpoint-Folien engagierter New-Work-Coaches und bunten Instagram-Kacheln wiederholt. Es entsteht der Eindruck, dass jede und jeder nur einen sinnvollen Job finden muss, um ein glücklicher, freier Mensch zu werden. „Wir sollen nicht der Arbeit dienen, sondern die Arbeit soll uns dienen.“ Wer länger darüber nachdenkt, merkt, dass dieser Tipp nur für eine sehr kleine Elite umsetzbar ist. Hübsche Folien von New-Work-Berater*innen werden selten den Sachbearbeitenden eines Betriebs gezeigt. Noch seltener den hart schuftenden Reinigungskräften, die sich ihren Job nach Machbarkeit aussuchen müssen statt nach Sinn. Und auch nicht den Werksarbeitenden in der Stahlindustrie, die gerade tatsächlich mit der IG Metall für eine 32-Stunden-Woche kämpfen.Dabei speiste sich Bergmanns Ansatz genau aus ihrer Realität, der Realität der Arbeiter*innenklasse. Seine Vorstellung war, dass die schwere Lohnarbeit irgendwann vollständig durch Technisierung ersetzt werden könne. In seinem Buch Neue Arbeit, Neue Kultur berichtet er, wie das Center for New Work – die Versammlungsstätte der General-Motors-Arbeiter*innen – eine Alternative zu den drohenden Entlassungen vorlegte. Sie gingen davon aus, dass alle Arbeiter*innen selbst bei fortschreitender Technisierung mindestens sechs Monate im Jahr voll beschäftigt werden könnten. In den übrigen sechs Monaten sollte das Center for New Work gemeinsam mit den Arbeitenden herausfinden, „welche Arbeit sie wirklich, wirklich tun wollen“, und ihnen dabei helfen, diese auch zu finden.Frithjof Bergmann, geboren in Sachsen-Anhalt, aufgewachsen in Österreich, gewinnt einen Aufsatz-Wettbewerb der US-Botschaft in Wien und darf für ein Studienjahr in die USABergmanns Idee, eine bessere Zukunft der Arbeit zu gestalten, muss vor dem Hintergrund seiner Geschichte betrachtet werden. Er wird 1930 in Sachsen-Anhalt als Sohn einer jüdischen Mutter und eines evangelischen Pfarrers geboren. Mitte der 1930er Jahre zieht die Familie nach Österreich, um vor der Bedrohung durch die Nazis zu fliehen. Kurze Zeit später sind sie auch dort nicht mehr sicher. Die Mutter fingiert einen Selbstmord und entgeht mit der Familie, verkleidet als Krankenschwester, der Deportation. Der Teenager Bergmann jobbt in dieser Zeit als Landarbeiter.1949 nimmt Bergmann an einem Schulwettbewerb der US-Botschaft in Österreich teil. Er schreibt einen Aufsatz zu dem vorgegebene Thema: „Die Welt, in der wir leben wollen“, und gewinnt ein Studienjahr in den USA. Bergmann studiert Philosophie in Princeton und jobbt als Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter. Später lehrt er an Universitäten wie Stanford, Berkeley und Michigan. In Interviews und Texten sagt Bergmann, dass ihn das Böse der NS-Zeit und später das Scheitern des Sozialismus stark beeinflusst habe und er sich sehr früh fragte, wie menschliches Zusammenleben besser gelingen kann. Im Mittelpunkt seiner kapitalismuskritischen Idee steht deshalb nicht die Abschaffung der Lohnarbeit, sondern die Freiheit eines jeden Menschen, parallel zur Lohnarbeit einer sinnstiftenden Tätigkeit nachzugehen.Anders als der klassische Lohnjob, der Arbeiter unterwirft, sollte die Neue Arbeit dem Menschen dienen, ihm Energie verleihen. Ziel war nicht die Befreiung von Arbeit, sondern deren Transformation. Bergmann entwarf ein dreisäuliges Teilzeitmodell: Die erste Säule stellt die Lohnarbeit dar. Die zweite Säule, die Neue (Lohn-)Arbeit, die jemand „wirklich, wirklich will“. Die dritte Säule nannte Bergmann die High-Tech-Eigen-Produktion. Die brauche es, weil Säule zwei ohne materielle und ökonomische Unabhängigkeit kaum möglich sei. Aus seinen Erfahrungen als Landarbeiter und eines Versuchs, mittels Selbstversorgung die strengen Winter New Hampshires zu überstehen, lernte er, dass Gemüseanbau technische Unterstützung benötigt, wenn er nicht zum Knochenjob ausarten soll. Projekte des Center for New Work beschäftigten sich deshalb mit Permakultur, Gartenbau in Containern und dem Bau kleiner Gebäude aus Alltagsgegenständen.Es gebe drei Säulen der Arbeit, sagt Bergmann. Aber was ist mit der Care-Arbeit?Wie diese Dreiteilung – klassische Lohnarbeit, Neue Arbeit und Selbstversorgung – in einer Werkwoche untergebracht werden kann, bleibt unklar. Und was ist eigentlich mit der Sorgearbeit? Es ist bemerkenswert, dass die grundlegende Aufteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern nicht hinterfragt wird. Bergmann führt in seinem Buch zwar auf, dass Frauen als Erste verstünden, worum es bei New Work geht, aber seine Schlussfolgerung ist überraschend konservativ: Frauen „wissen, dass es andere Formen der Arbeit gibt, und dass Lohnarbeit zumeist eine Last und zermürbende Mühle ist und andere Arten der Arbeit unvergleichlich befriedigender sind – wie etwa das Aufziehen von Kindern (...)“. Was er nicht sagt: Das Aufziehen von Kindern macht nicht satt. Und jeder engagierte Hausmann und Vater kann berichten, wie anstrengend und unbefriedigend Sorgearbeit mitunter ist.Für Alleinerziehende ist „New Work“ nach Frithjof Bergmann keine Option. Auch bleibt unklar, woher jeder erwerbstätige Mensch ein Stück Land bekommen soll, um sich selbst zu versorgen, insbesondere in Zeiten der Klimakrise.Die heutige neoliberale Verengung des ursprünglich weiter gefassten Begriffs von New Work, die durch Effizienzsteigerung und Selbstverantwortung bessere Arbeit verspricht, beginnt ebenfalls in der Automobilindustrie. Nach 1945 gibt es in Japan weniger sozialphilosophische, dafür aber opportune Gründe, Arbeit zu verändern: Das Land wird zu dieser Zeit von US-amerikanischer Isolationspolitik blockiert. Das Unternehmen Toyota muss mit sehr knappen Ressourcen haushalten und führt aus der Not die „Just-in-time-Produktion“ ein: Produziert wird nur nach Auftragslage, um die Anhäufung von kostspieligen Lagerbeständen zu vermeiden.Der ursprünglich weit gefasste Begriff „New Work“ wird im Neoliberalismus verengtNach dem Zweiten Weltkrieg ist Japan US-amerikanisch besetzt. Die Besatzer erlassen neue Arbeitsgesetze, um die Positionen der Arbeiter*innen zu stärken. Gewerkschaften setzen einen stärkeren Kündigungsschutz durch und erreichen eine Gewinnbeteiligung für Beschäftigte. 1947 führt der krisengebeutelte Autobauer Toyota „Kanban“ ein: Das sogenannte Pull-Prinzip organisiert den Herstellungsprozess eines Fahrzeugs um den eingehenden Auftrag herum. Damit wird die Idee, nur zu produzieren, was wirklich gebraucht wird, verfeinert. Unter dem Begriff Kaizen (Kai = Veränderung, Zen = zum Besseren) implementiert Toyota außerdem die Partizipation von Arbeitenden: In regelmäßigen Feedbackschlaufen machen sie Vorschläge zur Verbesserung ihrer Arbeitsabläufe. Die Idee dahinter war ursprünglich nicht, die Arbeitsbedingungen zu erleichtern: „Das Konzept des Produktionssystems von Toyota war zu Beginn die gründliche Beseitigung von Verschwendung“, schreibt der Produktionsleiter Taiichi Ohno 1988.Toyota unterscheidet sich damit radikal von US-amerikanischen Produktionssystemen in der Autoindustrie. Bei Ford und General Motors wurden die Arbeitsschritte am Fließband so minimiert, dass die Arbeiter*innen nicht mehr nachdenken mussten und möglichst durch Maschinen ersetzt wurden. Hier galt Akkordarbeit. Beides Gründe für die Massenentlassungen in den 1980er Jahren, mit denen sich Bergmanns Center for New Work beschäftigte. Toyota tat das Gegenteil: Mitarbeitende hatten die Möglichkeit, das Fließband zu stoppen, wenn es ein Problem gab, um es direkt zu lösen. Die Einbeziehung der Mitarbeitenden erhöhte die Effizienz und beschleunigte die Produktion. Gute Arbeitsbedingungen als Mittel zum Zweck: für mehr Wachstum. Das Konzept hatte Erfolg. 2008 wurde das Unternehmen Toyota zum weltgrößten Automobilhersteller vor General Motors.Geht es bei New Work um bessere Arbeit für die Arbeitenden? Oder um Effizienzsteigerung und höhere Profite?Das alles ist heute unter dem Begriff New Work zu verstehen: die Veränderung der Arbeit durch Technisierung, die Einbeziehung der Mitarbeitenden in den Produktionsprozess, die Orientierung an Kundenwünschen, ressourcenschonende Produktion, das Streben nach Unabhängigkeit und Sinnhaftigkeit der Arbeit, der Wunsch nach weniger Arbeitszeit – und seine Kehrseite: die Angst vor zu wenig Fachkräften, die auch heute während der Tarifkämpfe in der Stahlindustrie und bei den Lokführern diskutiert wird. Sie fordern eine 32-Stunden-Woche. Worum geht es hier? Um mehr Effizienz, also eine Verbesserung der Produktion, die den Unternehmen dient – also ein kapitalistisches Konzept? Oder geht es um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um mehr Macht über die Arbeit und Zeit für Arbeiter*innen, also um ein kapitalismuskritisches Konzept?In New Work vermischen sich diese historisch widersprüchlichen Perspektiven. Und obwohl Gewerkschaften Elemente daraus für sich entdecken und einige Akademiker*innen medienwirksam ihre sinnvollen Jobs feiern, ist es noch nicht gelungen, New Work als politische Bewegung für alle zu begreifen. Dafür bedarf es auch der Berücksichtigung des Fachkräftemangels, der in den Ausbildungsberufen weitaus größer ist als in der Wissensarbeit, wo New Work heute von einer kleinen elitären Minderheit dominiert wird. Laut Destatis haben 46,6 Prozent der Menschen einen Ausbildungsberuf gelernt, nur 18,5 Prozent sind Akademiker*innen. Um ernst zu nehmende Kraft zu entfalten, muss New Work von denen mit politischem Leben gefüllt werden, von denen es mal miterdacht war: von einer (neuen) Arbeiter*innenbewegung. Diesmal aber unter Einbeziehung der Perspektiven von Frauen, Zuwanderern, Menschen mit Behinderung und Alten.Placeholder authorbio-1
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